«Hattrick» – dieses Spiel spielst du locker zehn, zwanzig Jahre
Zehn Jahre lang spielte ich das Online-Fussballmanagerspiel «Hattrick». Dann machte ich zehn Jahre Pause. Seit gut einem Jahr bin ich wieder mit von der Partie. Eine Würdigung des ewigen Online-Games.
2003 melde ich mich für «Hattrick» an. Ein kostenloses Online-Game, von dem ich durch Kollegen erfahren habe. Im Spiel geht es darum, einen Fussballverein zu führen. Du kaufst und verkaufst Spieler, trainierst sie, machst eine Aufstellung, baust das Stadion aus, förderst den Nachwuchs, schliesst Verträge mit Sponsoren ab, verfasst Pressemitteilungen. Das Spiel ist überwiegend textbasiert, Grafik gibt es nur ganz rudimentär – etwa in Form von Spielergesichtern.
Das erste Spiel meines Vereins findet am 14. Juni 2003 statt. Obwohl die Leistung im Mittelfeld von Experten als «katastrophal» eingestuft wird, gewinnen wir 6:1. Das erste Tor schiesst ein Spieler namens Manuel Habenichts bereits nach sieben Minuten.
Zu dem Zeitpunkt ist mir noch nicht klar, dass «Hattrick» mein Leben verändern wird.
Doch die nächsten zehn Jahre verbringe ich absurd viel Zeit mit diesem Spiel. Es läuft in Echtzeit, immer samstags sind Ligaspiele. Diese verfolge ich live – das heisst, ich beobachte, wie nach und nach neue Textbausteine in den Matchbericht tröpfeln. Selbst das klappt nicht immer, da die «Hattrick»-Server oft überlastet sind.
Ich verliere die Bodenhaftung
Ohne ironischen Unterton rede ich von «meinen Fans» – dabei meine ich doch nur die virtuellen Fans meines virtuellen Vereins. In den Ferien ist meine grösste Sorge, dass ich kein Internet-Café finde, um die Aufstellung fürs nächste Ligaspiel einzugeben. Zuhause kommt es vor, dass ich den Wecker auf 3:30 Uhr nachts stelle, um auf dem Transfermarkt einen interessanten Spieler aus der Dominikanischen Republik zu kaufen. Der Kauf funktioniert wie eine Online-Auktion – mit einer Deadline.
Es ist nicht nur das Spiel selbst, das mich reinzieht, sondern auch die Community. Zu Beginn meiner Karriere als Vereinsmanager gibt es weder Facebook noch mobiles Internet und die Möglichkeiten, sich übers Internet auszutauschen, sind begrenzt. Doch «Hattrick» ist bereits so etwas wie eine Social-Media-Plattform. Spätestens nach drei oder vier Jahren logge ich mich meist nicht mehr ein, um meinen Club zu managen, sondern um mich mit anderen Leuten im Forum auszutauschen. Immer öfter über Dinge, die nichts mit «Hattrick» zu tun haben. Ich lerne neue Leute kennen, von denen ich manche regelmässig im echten Leben treffe. Es finden zwei grosse Fussballturniere in der Schweiz statt, bestehend aus Mannschaften von lauter Hattrick-Spielern. Auf die weibliche Form muss ich an dieser Stelle leider verzichten, es ist eine männerlastige Angelegenheit.
Seltsame Faszination
Seit gut einem Jahr spiele ich wieder «Hattrick». Denn das Game gibt es noch immer. 1997 in Schweden entstanden, ist es eines der ältesten Online-Games überhaupt, sogar älter als Google. So gesehen erstaunt es nicht, dass es textbasiert ist.
Die goldenen Zeiten des Online-Klassikers sind schon lange vorbei. Es gibt deutlich weniger Spieler als in den Nullerjahren und sie sind auch weniger aktiv. Doch seit über fünf Jahren hält «Hattrick» eine stabile Zahl von etwa 200 000 Usern. Vereinzelte Manager haben nie aufgehört und betreuen seit über zwanzig Jahren den gleichen Club. Andere steigen nach einer Pause wieder ein, so wie ich. Das Spiel ist gratis, doch die Mehrheit der User zahlt einen jährlichen Beitrag und erhält dafür Zusatzfunktionen wie ausführliche Statistiken. Die Zukunft des Spiels scheint nicht gefährdet und es wird auch immer noch weiterentwickelt.
Wie ist so etwas möglich?
Wie eine Zimmerpflanze
«Hattrick» ist ein extrem langsames und langfristiges Spiel. Ein Freund von mir hat es mit einer Zimmerpflanze verglichen. Man muss sie ab und zu giessen, vielleicht auch mal düngen oder umtopfen, aber in erster Linie braucht es Geduld: Die Pflanze wächst nicht schneller, wenn du daran ziehst. So ähnlich verhält es sich mit dem Fussballclub, den du über die Jahre hinweg aufbaust. Du kannst gar nicht so viel machen. Übertriebener Aktivismus, etwa auf dem Transfermarkt, kann sogar schädlich sein.
Die Spieler werden jede Woche durch Training besser – aber nur ein kleines bisschen und auch nur, wenn sie auf der richtigen Position gespielt haben. Mit fortschreitendem Alter sinkt ihre Lernfähigkeit und irgendwann werden sie sogar schlechter. Zudem heilen Verletzungen nur noch langsam oder gar nicht mehr aus. Hier gilt es, rechtzeitig Nachwuchstalente heranzuziehen oder einzukaufen.
Hattrick versprüht einen ganz eigenen Charme. Es war und ist ein Game, das sich selber nicht allzu ernst nimmt. Das erstreckt sich von comicartigen Spielergesichtern über humorvolle Spielberichte bis zu vollkommen bekloppten Fans. Dazu gehört meiner Meinung nach auch die hohe Zufallskomponente, die vielen ehrgeizigen Spielern ein Dorn im Auge ist.
Die Art, wie Hattrick rüberkommt, regt viele Spieler zum Scherzen an. Dafür bieten sich vielfältige Möglichkeiten. Manche leben ihr kreatives Talent mit dem Gestalten ständig neuer Logos aus, andere liefern sich verbale Schlachten via Pressemitteilungen. Du kannst deinem Stadion und dem Fanclub lustige Namen geben, die gut sichtbar sind. Leider wird das alles heute nicht mehr so intensiv genutzt.
Ausreizen bis zum Gehtnichtmehr
Typisch für «Hattrick» ist, dass es Manager immer wieder schaffen, dem Game neue Seiten abzugewinnen und es so interessant zu halten. Sie probieren aus, wie weit sie es bringen mit einem Team, das ohne Mittelfeld, ohne Sturm oder ohne Verteidigung spielt. Mit einem Team, das aus lauter alten Spielern besteht oder aus lauter Spielern, die «Polenböller» heissen. Ich selbst habe mehrere Spieler mit meinem eigenen Namen gekauft, obwohl diese nicht zu gebrauchen waren.
Mit der Taktik, ohne Verteidigung zu spielen, war ich übrigens erschreckend erfolgreich. Ich stiess bis in die zweithöchste Liga vor – das bedeutete, ich gehörte zeitweise zu den besten 40 von damals 40 000 Spielern in der Schweiz. Die von mir verwendete Taktik wurde als «Schweinetaktik» bezeichnet, weil viele Manager darin das billige Ausnutzen einer Designschwäche des Spiels sahen. Sie ist heute in dieser Form nicht mehr möglich.
Mein Lieblingsbeispiel für ein Hattrick-Spassprojekt ist der argentinische Rekordspieler Pedro «Apache» Zurita. Er ist 85 Jahre alt und schiesst noch immer in jedem Spiel mehrere Tore. Am 13. Oktober 2023 wurde der alte Krieger mit 83 Jahren in der letzten Minute des WM-Finals eingesetzt, das Argentinien dann auch gewann. Zurita ist eine lebende Legende: Über 1600 Pflichtspieltore, 38-facher Torschützenkönig, 255-facher Nationalspieler – er hält sämtliche Rekorde, die man sich denken kann.
Für einen Spieler über 40 bedeutet eine Verletzung das Ende der Karriere, da er sich nie mehr davon erholt. Um Zuritas Endloskarriere möglich zu machen, braucht es einen riesigen Aufwand. Nicht nur muss sein eigener Verein das Verletzungsrisiko minimieren, sondern auch alle seine Gegner. Zurita spielt in einer Liga, in der sämtliche Gegenspieler handverlesen sind. Jeder Spieler hat einen Charakter, der festlegt, ob er sich zu brutalen Fouls hinreissen lässt oder nicht. Zuritas Gegenspieler sind alle «introvertiert», d.h. sie begehen mit grösster Wahrscheinlichkeit kein Foul, bei dem sich der Altstar verletzen könnte. Dennoch wird es wohl irgendwann passieren.
Schwierig für neue User
Ursprünglich war «Hattrick» auf Anhieb verständlich. Es war ein simples Spiel, zumindest an der Oberfläche. Die darunter liegenden Mechanismen – etwa wie die Match-Engine funktioniert – mussten erst erforscht werden. Das war spannend.
Doch nach einigen Jahren war alles Wichtige allen bekannt. Um die langjährigen Manager bei der Stange zu halten, musste das Spiel komplexer werden. Das ist den Entwicklern gut gelungen: Heute ist das Spiel wesentlich interessanter und facettenreicher als zu Beginn. Zugleich ist es für Neulinge aber unübersichtlich und schwierig geworden – es schreckt vermutlich ab. Nach meinem Eindruck sind die allermeisten, die sich heute noch anmelden, keine echten Anfänger, sondern Wiedereinsteiger wie ich.
Mir macht das Spiel jedenfalls nach gut einem Jahr immer noch Spass, auch wenn ich weiterhin keine Chance habe gegen die Teams, die schon viel länger dabei sind. Ich freue mich über etwas anderes: Mein selbst trainierter Torwart hat es überraschend in die U21-Nationalmannschaft von Senegal geschafft.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.