Ratgeber
Was die Abtastrate über digitale Musik und ihre Soundqualität sagt
von David Lee
Die besten Geräte kosten übermässig viel Geld, besonders im Audio-Bereich. Das ist kein Problem, solange Geniesser noch einen Unterschied hören. Durch den Fortschritt ist das immer seltener der Fall – und dann spielt uns das Gehirn einen Streich.
Es gibt Kopfhörer für fünf Franken. Bereits für wenig mehr bekommst du eine deutlich bessere Qualität. Zahlst du noch mehr, sagen wir 150 Franken, klingt es schon richtig gut. Bei 500 Franken auch. Bei 2000 Franken – auch. Und teurer geht immer.
Willkommen im High-End-Bereich: Dem Bereich, wo die Preise durch die Decke gehen. Doch wie sieht es mit der Leistung aus?
Generell – nicht nur bei Audio-Produkten – steigt die Leistung nicht linear zum Preis. Stattdessen steigt im oberen Bereich der Preis überproportional zur Leistung an. Grafisch dargestellt ungefähr so:
Das heisst nichts anderes, als dass High-End-Produkte im Allgemeinen ein schlechteres Preis-Leistungs-Verhältnis haben als Mittelklasse-Produkte. Der Zielgruppe ist das egal. Wer High End will und es sich leisten kann, weiss das und nimmt es in Kauf. Denn für die Liebe tut man alles – und die Liebe zur Musik ist die grösste und längste Liebe im Leben vieler Menschen.
So weit also alles in Ordnung. Wenn der 2000-Franken-Kopfhörer noch ein kleines bisschen besser klingt als der für 500 und es dem Käufer das wert ist, warum nicht?
Problematisch ist etwas anderes: Irgendwann gelangt man an einen Punkt, wo noch mehr Leistung nichts mehr bringt. Weil wir den Unterschied nicht mehr hören. Es gibt nun einmal physikalische Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit. Um bei den Kopfhörern zu bleiben: Mein aktueller Testkopfhörer, der Sennheiser HD 660 S2, kann Frequenzen bis 41,5 kHz wiedergeben. Damit leistet er zwar in gewisser Weise mehr als mein Beyerdynamic DT 990 Pro, der «nur» Töne bis 35 kHz wiedergibt. Nur: Schon 35 kHz hört kein Mensch. Selbst Fledermausohren hören da keinen Unterschied: Diese Ultraschallfrequenzen werden in den gängigsten Musikformaten gar nicht gespeichert und folglich auch nicht abgespielt.
An vielen Orten ist die Technik am Punkt gelangt, wo weitere Verbesserungen nichts mehr bringen. Die Auflösung vieler Smartphones ist höher als das, was ich ohne Lupe oder Lesebrille sehen kann. Wer nimmt eine Bildwiederholrate von mehr als 400 Hz überhaupt noch wahr? Oder über eine Milliarde Farbabstufungen bei HDR-Bildschirmen? Solche Beispiele gibt es zuhauf.
Doch zurück zum Audio-Bereich. Bei Kopfhörern spielt die Frequenzangabe keine grosse Rolle, sie ist kein Verkaufsargument. Sie steht bloss in den technischen Daten. Ein heiss diskutiertes Thema dagegen sind die Abtastraten.
CDs und viele unkomprimierte Audioformate haben eine Abtastrate von 44,1 kHz. Dieser Wert ist nicht zufällig gewählt: Gemäss dem Nyquist-Shannon-Theorem muss die Abtastrate doppelt so hoch sein wie die höchste Frequenz, die wiedergegeben wird. CD-Qualität ermöglicht also die korrekte Wiedergabe von Frequenzen bis knapp über 22 kHz. Das ist für das menschliche Gehör vollkommen ausreichend. 60-Jährige hören kaum noch über 10 kHz, Babys bis 20 kHz.
Höhere Abtastraten sind deswegen nicht komplett sinnlos. Denn sie ermöglichen nicht nur höhere Frequenzen, sondern auch präzisere Rekonstruktionsfilter. Der Rekonstruktionsfilter bestimmt, wie aus den digitalen Daten analoge Schallwellen erzeugt werden. Bessere Filter sind, im Gegensatz zu Ultraschall, zumindest theoretisch hörbar.
Doch auch hier hat der technische Fortschritt längst alles erledigt. Heute beherrschen selbst die billigsten Digital Analog Converter (DAC) Abtastraten von 96 kHz. Zum Beispiel dieser hier. Und auch die im Computer eingebauten DACs sind auf dieser Stufe.
Wer jetzt immer noch glaubt, das sei zu wenig, bekommt das Vierfache, also 384 kHz, zum Spottpreis.
Die Abtastrate ist nur ein Faktor von vielen bei der Bewertung eines DACs. Doch ähnliches liesse sich auch über die Bittiefe und andere Specs sagen. Heute gibt es keine DACs mehr, die eine schlechte Klangqualität liefern. Für diese Gerätekategorie würde ich das Preis-Leistungs-Diagramm von oben wie folgt anpassen:
Trotzdem kannst du weiterhin 5000 Franken oder 65 000 US-Dollar (Listenpreis des Boulder 2120) für einen DAC ausgeben. Du bekommst dafür eine Vielzahl von Anschlüssen, Einstellungsmöglichkeiten und Zusatzfunktionen. Der Grossteil des gigantischen Preisunterschieds rechtfertigt sich aber aus dem Versprechen, dass es noch besser klingt. Doch sind diese Verbesserungen nun hörbar oder nicht?
Um das zu prüfen, werden wissenschaftliche Blindtests gemacht. Dabei kommt fast immer das Gleiche heraus: Die meisten Menschen sind nicht fähig, unterschiedliche Abtastraten über 44,1 kHz zuverlässig zu erkennen. Ultraschall hört sowieso niemand, und die Unterschiede moderner Rekonstruktionsfilter hören nur geschulte Menschen unter ganz bestimmten Umständen.
Damit, so könnte man meinen, hätte sich die Sache erledigt. Doch erstaunlicherweise ist das Gegenteil der Fall.
In einer Studie aus dem Jahr 2000 wollen Forschende herausgefunden haben, dass Menschen Ultraschall zwar nicht bewusst hören, aber unbewusst psychisch und physisch darauf reagieren. Das ist schwer nachzuweisen. Der Befund steht auf wackligen Beinen und wurde seither auch nicht erhärtet. Doch wird er von Audiophilen immer mal wieder gern zitiert. Es gibt sogar ein Buzzword dafür: Hypersonic effect.
Und die Filter? Bei den Blindtests zu hohen Abtastraten lässt sich eine Menge kritisieren: Die Auswahl der Musikstücke sei falsch, die Lautstärke nur nach Gehör und nicht mit Messgeräten angeglichen oder das Equipment sei zu wenig gut, um die Unterschiede zur Geltung zu bringen.
Weil immer wieder solche Einwände hervorgebracht werden, gibt es immer wieder neue Blindtests. Und irgendwann, nach vielen, vielen Studien, findet dann endlich jemand heraus, dass man eben doch einen Unterschied hört. In der Studie, die das nachweist,
mussten allerdings spezielle Testsignale abgespielt werden, unter anderem weisses Rauschen. Mit Musik gibt es bis heute keinen schlüssigen Beweis.
Wie immer bei wissenschaftlichen Studien kann man sich gezielt die herauspicken, die mit der persönlichen Ansicht übereinstimmen. Das dürfte ein Grund sein, warum diese Diskussionen nie aufhören.
Es ist praktisch unmöglich, zu beweisen, dass etwas nichts bringt. Selbst wenn die Argumentation vollständig wasserdicht ist, kann immer jemand behaupten, er – oder viel seltener sie – höre doch einen Unterschied.
Und das ist nicht einmal gelogen. Die Leute, die beteuern, dass sie einen Unterschied hören, sagen in aller Regel die Wahrheit.
Simple technische Angaben wie «96 kHz» haben einen komplexen technischen Hintergrund, der für Laien kaum vollständig zu begreifen ist. Halbwissen führt oft zu falschen Annahmen. Es scheint daher vernünftig und naheliegend, sich auf das eigene Gehör zu verlassen. Letztlich zählt nur eines: Ob es in meinen Ohren besser klingt oder nicht.
Doch das ist gar nicht so einfach. Denn wir hören nicht bloss mit den Ohren, sondern auch mit dem Gehirn. Das Gehirn ergänzt fehlende Informationen oder erfindet neue dazu. Hast du ein anderes Wort verstanden, als der Gesprächspartner ausgesprochen hat, dann war es dein Gehirn, das etwas falsch ergänzt hat.
Das Gehirn versucht ständig, sich einen Reim zu machen auf das, was ihm die Sinnesorgane liefern. Wenn ich zwei verschiedene Kopfhörer oder zwei verschiedene DACs teste, versucht mein Gehirn sofort, den Unterschied zu verstehen. Wenn es sich darauf eingeschossen hat, den Unterschied zwischen einem 100-Franken-DAC und einem 1000-Franken DAC zu erkennen, dann erkennt es den. Egal, ob die Ohren ihn hören oder nicht. Ganz ähnlich beschreibt Audio-Experte Amir Majidimehr seine Erfahrungen in diesem Video bei Minute 31 bis 34.
Das ist der Grund, warum Forscherinnen und Forscher mit Blindtests arbeiten. Der Placebo-Effekt soll ausgeschaltet werden. Manchmal sind es sogar Doppelblindstudien: Die Person, welche die Probanden durch die Tests führt, weiss dann selber nicht, was gerade getestet wird. Dies, weil ihr Wissen unbewusst ihr Verhalten und somit die Probanden beeinflussen könnte.
Bei mir zuhause kann ich schon einen einfachen Blindtest in vielen Fällen nicht ausführen. Ich weiss, welchen Kopfhörer ich aufhabe, und dieses Wissen beeinflusst mich. Um zwei DAC blind zu vergleichen, müsste ich zwei identische Quellgeräte und Kopfhörer haben, und auf beiden Systemen müsste zeitgleich die gleiche Musik laufen. Und selbst dann weiss ich, welche zwei Geräte ich vergleiche und was sie versprechen.
Ähnlich dürfte es vielen ergehen, die überschwängliche Rezensionen schreiben zu Audio-Produkten, deren Nutzen zumindest fragwürdig ist. Als Beispiel picke ich den audiophilen Netzwerk-Switch von Aqvox heraus. Wie Linus Tech Tips aufzeigt, hat Aqvox einen D-Link-Router genommen, ein anderes Logo drauf geklebt, jede Menge Illuminati-Hologramme sowie einen Quarzstein eingebaut und das Ganze mit viel Voodoo-Blabla als audiophiles Non-Plus-Ultra vermarktet. Ab Minute 15:04 folgt eine Erklärung, wieso ein audiophiler Netzwerk-Switch schon von der Idee her nicht funktionieren kann.
Dennoch hat das Produkt bis heute viele überzeugte Fans und enthusiastische Testberichte vorzuweisen. Es ist erstaunlich, was Tester alles heraushören. Von einem «Zugewinn an Bühnengröße, Detailfülle, Dynamik und Durchzeichnung» ist die Rede, «die Instrumente gewinnen an Substanz, wirken farbiger und konturierter. Gleichzeitig bildet sich ein wunderschöner Raum um die einzelnen Instrumente.» Aber vor allem seien «die vorstehend beschriebenen klanglichen Eigenschaften des AQVOX Switch sofort und ohne größere Schwierigkeiten hörbar». Und die neue Version sei sogar noch besser.
Beide zitierten Testberichte berichten auch von einer obsessiven Beschäftigung mit dem Equipment und von Kontakten mit dem Hersteller – der eine Tester hat sich in einem langen Telefonat bequatschen lassen. Dieses Vorgehen ist das Gegenteil eines Blindtests: Eine ausgiebige Einstimmung des Gehirns auf das, was zu erwarten ist. Wer so testet, kann nicht behaupten, sich ausschliesslich auf sein Gehör zu verlassen.
Selbst in den Blindtests von Linus geben immerhin zwei respektive drei von zehn Testpersonen an, einen Unterschied zu hören. Von diesen bevorzugen jedoch 80 Prozent den unmodifizierten 30-Dollar-Switch gegenüber dem audiophilen 800-Dollar-Switch. Alleine schon das Wissen, dass man jetzt etwas zugeschaltet hat, was die Qualität erhöhen sollte, führt dazu, dass man tatsächlich eine Veränderung hört.
Wo die klar hörbaren Unterschiede verschwinden, gewinnen psychologische Faktoren an Bedeutung. Die seriösen Hersteller von High End Audio haben dadurch zwei Probleme. Erstens bringt der ganze Aufwand, den sie betreiben, keinen klar erkennbaren Mehrwert. Selbst wenn die messbare Leistung höher ist als bei der günstigeren Konkurrenz – sie ist nicht mehr wahrnehmbar.
Und zweitens, das ist fast noch schlimmer, ist ein solches Produkt in der Wirkung nicht mehr unterscheidbar von unseriösen Produkten. Und von denen gibt es viele – aus genau diesem Grund. Die High-End-Branche gerät dadurch in Verruf. Ich zeichne deshalb noch eine dritte, nicht ganz ernst gemeinte Version meines Preis-Leistungs-Schemas:
Es ist bittere Ironie, dass genau die Produkte, die am meisten Leistung bringen, mit denen verwechselt werden, die überhaupt keine Leistung erbringen. Kein Wunder, dass das Thema polarisiert.
Ich teste übrigens zurzeit einen teuren DAC von RME Audio. Der Hersteller macht einen überaus seriösen Eindruck, und tatsächlich höre ich einen Unterschied zu meinem 70-Franken-DAC. Aber es ist kein Blindtest. Ist es mein Gehirn, das den Unterschied fabriziert? Ich melde mich wieder, wenn ich mehr weiss.
Titelbild: Verstärker und Lautsprecher an der BAV Hi-End Show in Bangkok. Die «Kharma Enygma Veyron 2 Diamond» ganz aussen kosten 375 000 Euro. Quelle: Shutterstock/BrostockDurch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.