Histogramm in Lightroom: Der Bug, der vermutlich ein Feature ist
Hintergrund

Histogramm in Lightroom: Der Bug, der vermutlich ein Feature ist

David Lee
9.2.2021

Ein Leser behauptet, dass ich bei einem Foto ein falsches Histogramm gezeigt habe. Habe ich etwas verwechselt? Nö. Es stellt sich heraus: Adobe ändert die Darstellung des Histogramms nach Lust und Laune. Aber warum?

Es ist schon ein Weilchen her: Im November behauptete Fotograf Thomas Kunz, er könne aus den Metadaten eines Bildes erraten, was drauf ist. Ich habe Tom darauf mit zehn Fotos auf die Probe gestellt. Und er ist grandios gescheitert.

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    von David Lee

Zu den Metadaten gehört das Histogramm. Ein Histogramm zeigt die Helligkeitsverteilung eines Fotos. Links ist ganz dunkel, rechts ganz hell. Dort, wo die Kurve hoch ist, befinden sich viele Pixel mit der entsprechenden Helligkeit. Das heisst zum Beispiel, dass ein Bild, das sehr dunkel ist, vor allem im linken Bereich hohe Werte aufweist. In Lightroom wird nicht nur die Gesamthelligkeit – in grau – angezeigt, sondern auch die von einzelnen Farben.

Das zweite Bild war überwiegend schwarz, mit einem kleinen Vollmond drauf.

Das zugehörige Histogramm, das ich Tom und später im Artikel zeigte, sieht so aus:

Nun behauptete ein Leser, dass dieses Histogramm «definitiv falsch» sei. «Nenn hier mal das lustige Programm, das dieses Histo raus gibt zu dem Bild.» Gerne: Das lustige Programm heisst Adobe Photoshop Lightroom und ist alles andere als ein Scherzartikel.

Allerdings fand ich selber auch, dass das irgendwie nicht stimmen kann. Ein Bild, dessen Fläche hauptsächlich schwarz ist, müsste viel höhere Werte im ganz dunklen Bereich haben. Habe ich die Zuordnung der Histogramme verwechselt?

Das Histogramm sieht überall anders aus

Eine Verwechslung der Bilder kann ich ausschliessen. Es ist mit Sicherheit das zugehörige Histogramm zu genau diesem Foto.

Für die Challenge habe ich jedes Bild in Lightroom im Bibliotheksmodus anzeigen lassen und dann einen Screenshot vom Histogramm gemacht. Auch im Entwicklungsmodus von Lightroom wird das Histogramm angezeigt, allerdings nicht genau gleich. Beim Mondbild siehst du ganz links einen hohen Ausschlag, den es im Bibliotheksmodus nicht gibt.

Dieser Ausschlag ist wichtig. In einem Histogramm liegt auf der x-Achse die Helligkeitsskala von ganz dunkel bis ganz hell. Die y-Achse gibt die Häufigkeit des jeweiligen Helligkeitswerts an. Je höher der Ausschlag, desto häufiger kommt im Bild der betreffende Helligkeitswert vor.

Gemäss dem Bibliotheksbild gibt es in diesem Foto nur sehr wenige ganz dunkle Werte. Das kann nicht stimmen.

Also lasse ich mir das Histogramm in anderen Anwendungen anzeigen. Der Bildbetrachter IrfanView gibt für das Vollmondfoto folgendes Histogramm aus:

Sieht ähnlich aus wie im Lightroom-Entwicklungsmodus, ausser dass hier nur die Farben Rot, Grün und Blau dargestellt werden. Doch mit den Statistiken darunter komme ich der Sache auf die Spur. Die Zahlen verändern sich, je nachdem, über welche Stelle im Histogramm ich mit dem Mauszeiger fahre. Beim höchsten Ausschlag von Rot zeigt es einen Rotwert von ungefähr 800 an – so, wie im Screenshot oben. Das bedeutet, dass 800 Pixel des Rotkanals genau diesen Helligkeitswert haben.

Das ganze Bild hat 3 387 000 Pixel. 800 Pixel entsprechen gerundet einem Anteil von 0,0 Prozent.

0,0 Prozent sind ein bisschen wenig für den zweithöchsten Peak. Die Kurve müsste eindeutig anders aussehen. No shit, Sherlock.

Fahre ich mit dem Mauszeiger ganz nach links, wo der höchste Peak ist, zeigt mir die Statistik für alle Farben eine Häufigkeit von 98,5 Prozent an. Etwa 3 350 000 Pixel sind komplett schwarz.

Nun ist dieser Peak aber nicht so viel höher als die anderen Peaks im Diagramm. Mit anderen Worten: Die Darstellungen des Histogramms in Lightroom und IrfanView sind falsch.

Photoshop und Affinity Photo zeigen das Histogramm richtig an. Hier ein Screenshot aus Photoshop. Ganz links befindet sich – kaum sichtbar – ein Peak, der ganz nach oben geht. Alle anderen Werte kommen im Verhältnis dazu kaum vor.

Bis hierher ist die Sache schon ziemlich merkwürdig. Aber es wird noch besser. Schraube ich im Entwicklungsmodus von Lightroom den Schwarzwert ganz herunter, kippt das Histogramm plötzlich in eine komplett andere Darstellung.

Diese Änderung je nach Werten ist der Grund, weshalb das andere Nachtbild in der Challenge unverdächtig aussieht. Dort war die aktive Einstellung so, dass das Histogramm normal angezeigt wird. Sobald ich die Schwarzwerte ändere, wechselt auch hier die Darstellung in einen irreführenden «Modus».

Was genau läuft hier und warum?

Zugegeben, «falsche Darstellung» ist etwas hart ausgedrückt. Das Problem ist, dass die Achsen im Histogramm nicht beschriftet sind. Offensichtlich wird bei der Darstellung in IrfanView und Lightroom die y-Achse oben abgeschnitten. Das Histogramm zeigt damit im Vollmondbild nicht das ganze Ausmass des Peaks. Das hat praktische Vorteile: Du siehst auch dann noch etwas im Histogramm, wenn die Helligkeitsverteilung extrem unausgewogen ist. In Photoshop dagegen erkennst du im Histogramm praktisch nichts.

Meine Vermutung: It’s not a bug, it’s a feature. Gerne hätte ich das von Adobe bestätigt erhalten, aber auf meine Rückfrage kam nichts. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, was bei dem Wechsel genau vor sich geht. Wechselt die Darstellung vielleicht von einer linearen auf eine logarithmische Skala?

Für die Challenge mit Thomas Kunz hätte ich das Histogramm aus Photoshop nehmen müssen. Denn Lightroom zeigt sehr dunkle Bilder, als wären sie normal hell. Kein Wunder, konnte Tom so nichts Schlaues aus dem Histogramm herauslesen.

Auch wenn das Histogramm nicht für Ratespiele gedacht ist: Ich finde es verwirrend, dass Adobe je nach Programm und Modus verschiedene Histogramme zum gleichen Bild ausgibt und sogar die Darstellung je nach Einstellungswerten umschaltet. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet.

Aber gut, wieder was gelernt.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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