Hitzedistortion: Wie du gewellte mexikanische Leguane verhinderst
Stephanie hat einen Leguan in der Sonne gefilmt. Die Footage ist unbrauchbar. Der Grund: Eine Fata Morgana, die aus Natur, Technologie und Physik besteht.
«Du, ich hab mein Note 9 kaputt gemacht», sagt Videoproduzentin Stephanie Tresch vor einem Dreh.
Ich bete, dass dem nicht so ist, denn das wäre gefühlt das vierte Handy, das sie in diesem Jahr geschrottet hat. Ich frage nach: Warum ist das Handy kaputt?
«Mein Leguanvideo hat so Wellen», sagt sie.
Sie zeigt mir ein Video, das sie in Mexiko aufgenommen hat. Im dreisekündigen Video will sie einen Leguan zeigen, der auf einer Wiese so Leguansachen macht und sich eigentlich nicht um die Schweizerin mit dem Note 9 kümmert.
Ich stelle drei Dinge fest:
- Das Video ist mit der Tele-Linse des Note 9 aufgenommen
- Stephanie steht im Schatten, der Leguan als Kaltblüter hängt in der Sonne rum
- Es war ein richtig heisser Tag, denn im Hintergrund trommeln die Zikaden
«Gute Nachricht: Dein Handy ist nicht kaputt», sage ich und bin erleichtert.
Ein Lied von Eis und Feuer
«Ja, aber das Bild sieht trotzdem Scheisse aus», sagt sie.
Ich erinnere an einen Dreh in Berlin. Wir wollten an einem schönen Tag Fahrradfahrer und Fussgänger auf dem Gehsteig filmen. Als B-Roll Footage für andere Projekte. Denn wenn wir schon mit Sony-Kameras durch die Weltgeschichte reisen, dann nutzen wir die auch. Bei dem Dreh aber mussten wir unser Abendessen vorverlegen, denn der Boden vor dem Risa am Bahnhof Zoo flimmerte, wenn wir die Kamera draufhielten.
Der Effekt im Leguanvideo ist derselbe. Er betrifft nicht nur Kameras in Smartphones, sondern jedes Objektiv, vor allem aber Linsen, die zoomen können. Der Flimmereffekt ist auch mit blossem Auge erkennbar, aber ein menschliches Auge und ein Gehirn können den Effekt länger ausgleichen als das mechanische Auge einer Kamera ohne besonders cleveres Hirn dahinter.
Denn wenn die Sonne auf den Boden brennt, wird dieser erhitzt. Das erhitzt die Luft über dem Boden. Die heisse Luft steigt auf, die kalte Luft darüber sinkt. Das führt zu Verwirbelungen der Luft, die für Menschen unsichtbar sind. Da kalte Luft Licht anders bricht als warme, taucht das Flimmern auf. Eine Fata Morgana, übrigens, funktioniert ganz ähnlich.
Jetzt aber mit Smart
Wenn du mit einem Zoom arbeitest, dann verkürzt du die Bildkomposition. Sprich: Deine Kamera ignoriert Vorder- und Mittelgrund, konzentriert sich ganz auf den Hintergrund. Mit schnell wechselnden Luftverhältnissen kommt die Kamera nicht zurecht. Beim zweifachen optischen Zoom des Samsung Note 9 ist das nicht anders. Nur, dass dort noch die ganzen Smartphone-Funktionen versuchen, zu greifen. Ein Autofokussystem macht das bei stabilen Luftverhältnissen locker mit. Aber bei grossen Temperaturunterschieden kommt das System, je nach Intelligenz, an seine Grenzen.
Stephanie spekuliert: Eine Spiegelreflex- oder Systemkamera hätte das Flimmern aber nicht in dieser Form eingefangen, sondern entweder wäre alles verflimmert gewesen oder gar nichts.
Der Grund, warum Stephanies Leguan mit fast schon VHS-charmanten Streifen daherkommt, ist der, dass das Autofokussystem in der Phone-Kamera versucht, mit den Temperaturunterschieden klar zu kommen und die Verwirbelungen auszugleichen. Wenn die Kamera die obersten 20 Prozent des Bildes im Griff hat, dann sieht sie die Wirbel weiter unten. Dann werden die ausgeglichen, was dann wieder zu Unschärfe weiter unten führt. Auskontern, abwärts, auskontern, abwärts… die Kamera checkt nichts mehr und streckt die Waffen. Der Leguan wird verschwommen.
Das Ganze funktioniert nicht nur wenn du im Schatten stehst und der Leguan in der Sonne. Es geht auch andersrum. Wenn du im Winter die Motorhaube deines Autos als improvisiertes Stativ verwendest oder aus dem geheizten Auto heraus fotografierst oder filmst, dann tritt derselbe Effekt auf.
Im Winter aber bitte ohne Leguan, denn Kaltblüter und Kälte machen für recht statische Aufnahmen, denn ein Leguan verliert bei etwa 4 Grad Celsius die Fähigkeit, sich zu bewegen. Bei etwa 10 Grad werden die Tiere langsam, danach stehen sie einfach still. Sie sterben aber nicht gleich, wenn sie stocksteif gefroren sind. Das geschieht erst nach längerem Aufenthalt in der Kälte. Trotzdem: Lieber den Hund im Winter als Motiv wählen.
Es gibt in etwa drei Tricks, wie du das Problem beheben kannst:
- Geh näher ans Motiv heran
- Verschieb den Dreh bis sich die Luft abgekühlt hat
- Du kannst versuchen, den Blickwinkel auf dein Motiv zu verändern
So. Fertig. Stephanie und ich haben drüber geredet und ich hoffe, endlich zum produktiven Part des Drehs zu kommen.
«Machen wir denn jetzt Soundcheck», frage ich Stephanie.
«Müssen wir nicht. Die Kamera hat die ganze Zeit aufgenommen.»
Ah ja, danke, hätte ich gerne vorher gewusst.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.