
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«Hogwarts Legacy»: Spielen oder boykottieren?
Um «Hogwarts Legacy» brennt eine Debatte, ob das Spiel der Autorin J.K. Rowling von ihren transfeindlichen Ansichten getrennt werden kann. Ich habe bei «Harry Potter»-Fans und Gamenden nachgefragt.
Ihre Bücher begeistern Jung und Alt auf der ganzen Welt und die Filmadaptionen spülten Milliarden in die Kinokassen. Die Rede ist von der britischen Autorin J.K. Rowling und ihrer Fantasy-Saga «Harry Potter». Nun ist mit «Hogwarts Legacy» ein vielversprechendes Openworld-Spiel erschienen, das im wohl berühmtesten Zauber-Universum aller Zeiten angesiedelt ist. Grund zur Freude für Spiele- und Harry-Potter-Fans?
Nicht unbedingt. Seit der Ankündigung von «Hogwarts Legacy» wird das Spiel durch Rowlings transfeindlichen Aussagen in Mitleidenschaft gezogen. Zahlreiche Personen rufen zum Boykott auf. Denn auch wenn die Geschichten von «Hogwarts Legacy» nicht aus Rowlings Feder stammen und sich das Studio von der Autorin distanziert, hat sie diese Welt erschaffen. Als Rechteinhaberin verdient sie weiterhin mit und das Spiel dürfte beste Werbung für die Bücher und Filme sein. Was also tun? Soll die Game-Community das Spiel boykottieren? Sind Kunst und Künstlerin zwei verschiedene Paar Schuhe? Oder ist den Menschen die Debatte schlichtweg egal?
Schaut man sich die Vorbestellerzahlen auf Steam an, scheinen sich die meisten Spielenden für Antwort B und C entschieden haben. Dort belegt das Spiel den Platz Eins. Ich habe bei Menschen aus der Trans-Community sowie bei Fans in unserer Redaktion nachgefragt, wie sie zu dieser Debatte stehen.

Quelle: Avalanche Software
Viele Fans sind enttäuscht
Für Sigmond Richli von Transgender Network Switzerland, kurz TGNS, haben Rowlings Aussagen einen Einfluss darauf, wie «Harry Potter»-Fans, die auch trans sind, mit neuen Produkten des «Harry Potter»-Universums umgehen. Das betreffe nicht nur trans Personen. «Viele Menschen stellen sich gegen die transfeindlichen Aussagen von J. K. Rowling, etwa ein Teil des Casts der ‹Harry Potter›-Filme. Die Diskussion ist keine, die nur in der Trans-Community stattfindet.» Aber die Thematik bewegt sie natürlich besonders stark, auch weil es darunter viele «Harry Potter»-Fans gibt. «Viele queere Menschen berichten, dass die Buchserie für sie manchmal überlebenswichtig war, weil es so viele Figuren gab, mit denen sie sich identifizieren konnten. Die Welt von ‹Harry Potter› war für sie ein Rückzugsort. Deswegen sind viele so enttäuscht von J.K. Rowling», sagt Sigmond.
Sascha Rijkeboer ist eine Trans-Person, die sich zu den Fans dieser zauberhaften Welt zählt. «Rowlings Ansichten haben durchaus einen Einfluss auf mich: Neue Produkte wie Filme oder Bücher kann ich nicht gleich geniessen. Ich möchte sie nicht weiter unterstützen. Die Bedeutung von ‹Harry Potter› in meiner Kindheit und Jugend kann sie mir zum Glück nicht wegnehmen.»
Eine weitere Person, die TGNS für mich kontaktiert hat, hört auf den Namen Night. Sie zieht eine deutlichere Grenze. «Ich spiele keine ‹Harry Potter›-Spiele mehr, ausser ich habe sie schon gekauft. Selbst dort bleibt ein unangenehmer Beigeschmack.» Positiver, trotz getrübter Spielfreude, sieht es Henrik Amalia von Dewitz – und zwar Dank der Community. Auch sie ist eine Person, die auf Pronomen für sich verzichtet. «Die Hogwarts-Fangemeinschaft besteht aus so vielen tollen Menschen, welche sich sehr für die Inklusion von Trans-Menschen einsetzen.»

Quelle: Avalanche Software
Auch für Redaktions-TV-Guru Luca Fontana sind Rowlings Aussagen ein Dämpfer. «Ich bin sehr enttäuscht von J.K. Rowling und ihrer Widerspenstigkeit, sich reuig zu zeigen und sich von ihren mittelalterlichen Aussagen zu distanzieren». Trotzdem möchte er sich den Spass nicht nehmen lassen, in die Welt von «Hogwarts Legacy» einzutauchen. «Ich bin mit diesem Universum aufgewachsen seit ich als Zehnjähriger das erste ‹Harry Potter›-Buch las. Für mich geht ein Traum in Erfüllung. Nach über 20 Jahren kann ich mich endlich von einem Openworld-Game verzaubern lassen.»
Kritische Auseinanderserzung statt Boykott
Lassen sich Kunst und Künstlerin trennen? Die Meinungen gehen auseinander. Luca findet, dass das jede Person selber entscheiden muss. Für Sigmond von TGNS ist die Diskussion zu komplex für diesen Rahmen. Die Entscheidung für oder gegen «Hogwarts Legacy» sei jedoch eine individuelle.
Für Game-Redaktor Domagoj Belancic ist es schwieriger, je persönlicher die Kunst ist. «Ich kann mir zum Beispiel keine Lieder mehr von Kanye West anhören. Nach seinen antisemitischen Aussagen und seiner Liebeserklärung für Hitler kann ich diese persönlichen Inhalte von ihm nicht mehr geniessen.» Zu Rowling hat er sich noch kein definitives Urteil gefällt und «Hogwarts Legacy» wird er definitiv spielen – nicht nur aus beruflichen Pflichten. «Beim Spielen werde ich versuchen, den Diskurs um Rowling auszublenden und das Werk des Entwicklerstudios zu würdigen. Ich verstehe aber, wenn das andere Leute nicht können.»

Quelle: Wikimedia/Flickr/EasterEggRoll
Nicht als Gamerin, aber als Harry Potter-Fan bezeichnet sich Redaktionskollegin Coya Vallejo. Für sie sind Kunst und Künstlerin unweigerlich miteinander verbunden. Trotzdem findet sie, wir sollen den Werken kontroverser Kunstschaffender nicht blind den Rücken zukehren. «‹Harry Potter› ist ein Spezialfall. Die Saga ist längst über ihre Schafferin hinausgewachsen. Die Geschichte ist globales Kulturgut.» Dem pflichtet Henrik Amalia bei. «Kunst kann nicht wirklich von Kunstschaffenden getrennt werden, die Fan-Community jedoch schon. Die gemeinsamen Filmabende, Reenactments oder Bücherzirkel sind aufgrund von einzelnen tollen Menschen entstanden, welche ihre Freude am Thema mit anderen teilen und Communitys aufgebaut haben.»
Sascha fügt an, dass Kunst immer eine Vision der kunstschaffenden Person sei und damit Teil von ihr. «Andererseits ist es wichtig, Kunst als ein für sich stehendes Produkt zu betrachten und es ist das, was die Leute daraus machen.» Entscheidend sei, dass konstant darüber reflektiert werde. Zudem zeichnen die «Harry Potter»-Bücher ein anderes Weltbild als es J.K. Rowling auf Twitter und Co. propagiert, findet Luca. «In den Büchern geht’s um Freundschaft, um Nächstenliebe, um Rassismus und darum, die Vielfältigkeit der Welt zu feiern.» Darum bleibt er der Meinung, dass es sich weiterhin lohnt, das Werk zu lesen – auch wenn Negatives über die Autorin ans Licht kommt.
Verharmlost der Kauf von «Hogwarts Legacy» Rowlings Aussagen?
Definitiv, findet Night. Darum sei es auch so wichtig gewesen, dass sich die «Harry Potter»-Stars von J.K. Rowling distanzierten. Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint, welche das berühmte Schüler-Trio Harry Potter, Hermine Granger und Ron Weasley spielen, haben sich öffentlich für trans Menschen ausgesprochen.

Quelle: Ilona Higgins/Wikimedia
Für Henrik Amalia kommt es auf den Kontext an. Der finanzielle Support bilde aber eine klare Grenze. «Wenn die Person keinen zusätzlichen monetären Wert von der Unterstützung erhält, ist das Behalten eines Buches, einer CD oder DVD nicht automatisch ein Verharmlosen.» Die «Harry Potter»-Marke ist aber längst nicht fertiggemolken, das zeigte die Vorfreude auf «Hogwarts Legacy» deutlich. Das sieht Sigmond als Problem: «Dass immer mehr ‹Harry Potter›-Produkte auf den Markt kommen, trägt eindeutig zur Popularität von J.K. Rowling bei und verharmlost ihre transfeindlichen Aussagen.»
Etwas differenzierter sieht es Sascha. Entscheidend sei, wie mit der Problematik umgegangen werde. «Wenn die Gründe, warum diese Menschen umstritten sind, verschleiert oder umgeschrieben werden, dann werden die transfeindlichen Aussagen verwässert.» Auch Coya findet, dass es davon abhängt, wie die Werke in der Öffentlichkeit behandelt werden. «Sie müssen von einem ausgeglichenen Diskurs begleitet werden.» Dieser ist hoffentlich auch auf digitec.ch möglich.
Was denkst du über diese Thematik? Wie sollte damit umgegangen werden? Bleib bitte zivilisiert in den Kommentaren.
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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.