Ideen, das Leben zu verbessern: Selber Kaffee machen
Ratgeber

Ideen, das Leben zu verbessern: Selber Kaffee machen

Pia Seidel
27.3.2023
Bilder: Pia Seidel

Ich habe schon immer an der Behauptung gezweifelt, dass meine Aufmerksamkeitsspanne abnimmt. Oder dass das Selbermachen vom Aussterben bedroht ist, weil wir lieber auf Knöpfe drücken. Und wenn an diesen Theorien doch etwas dran sein sollte, dann ist es höchste Zeit, ihnen entgegenzuwirken.

Meinen Punkt bestärke ich, indem ich mir Neues beibringe. Sachen, die mich garantiert davon abhalten, parallel auf einen Bildschirm zu starren. Wie zum Beispiel die traditionelle Filterbrühmethode mit der Hario V60. Dieser Filterkaffee ist kein Vergleich zu der Brühe, die deine Grossmutter vielleicht serviert hat. Es werden ein Filterkonus aus Keramik sowie das passende Papier mit einem Winkel von 60 Grad verwendet. Weil das Filterpapier keine Feststoffe vorbeilässt, klärt es die meisten Öle aus dem Kaffee, sodass nur sehr saubere Aromen übrig bleiben, die einem Tee gleichen.

Obwohl die Idee, mich dem «Slow Coffee» zu widmen, etwas Hoffnungsvolles hatte, machte sie mir zu Beginn auch Angst. Weil ich mich nach Jahren von meiner Espressomaschine trennen und mich neuen Gewässern sowie Equipment ausliefern musste. Heute kenne ich die Spielregeln und wünschte, jemand hätte sie mir gleich verraten. Wer sie beachtet, bekommt am Ende mehr als einen klareren, aromatischeren Kaffee.

1. Ein Motiv haben

Du solltest Espressogeschmack satthaben. Vom klobigen Look der Vollautomaten genervt sein. Oder genug vom Reinigen der Milchdüsen deines Siebträgers haben. Denn du brauchst einen guten Grund, wenn du dich dazu entscheidest, Filterkaffee von Hand aufzubrühen. Einer, der dich durchhalten lässt. Bei dieser Brühmethode sind nämlich Durchhaltevermögen und Geschick gefragt.

Für die Handfilter-Methode braucht es das richtige Mindset und Tatendrang.
Für die Handfilter-Methode braucht es das richtige Mindset und Tatendrang.
Quelle: Pia Seidel

Eine gute Tasse zu erhalten, ist anspruchsvoll, weil der Teufel im Detail liegt. Von der Kaffeebohne über Mahlgrad, Zeit, Wasserqualität, Temperatur und das Verhältnis von Kaffee zu Brühwasser – alle Variablen spielen eine Rolle. Es gibt zahlreiche Filtertypen und Rezepte, jede mit ihren Vor- und Nachteilen. Deshalb war ich manchmal versucht, aufzugeben. Mein Motiv, etwas Neues zulernen, hat mich jedoch davon abgehalten und gelehrt: Der Weg kann das Ziel sein.

2. Fehler sind etwas Gutes

Frag am Anfang nicht das Internet. Dort hat’s zwar zahlreiche Tipps und Tricks, doch die können überfordern. Gerade weil so viele Variablen miteinander zusammenhängen, existiert kein ultimatives Rezept. Ich habe deshalb die Masterclass des Zürcher Cafés Miró besucht, in der mit dem klassischen Hario-V60-Equipment gebrüht wird.

Vom Falten des Filterpapiers ...
Vom Falten des Filterpapiers ...
Quelle: Pia Seidel
... bis hin zum Brühen lernst du alles in der Masterclass des Zürcher Cafés Miró.
... bis hin zum Brühen lernst du alles in der Masterclass des Zürcher Cafés Miró.
Quelle: Pia Seidel
Coffee Tasting: Während des ganzen Kurses kannst du auch unterschiedlichste Kaffees probieren.
Coffee Tasting: Während des ganzen Kurses kannst du auch unterschiedlichste Kaffees probieren.
Quelle: Pia Seidel

Neben unterschiedlichen Methoden merke ich mir vor allem eine Sache vom Kurs: mit Absicht Fehler zu machen. So habe ich die Unterschiede herausgeschmeckt, wenn mal eine Variable anders war als sie sein sollte und konnte überhaupt erst beurteilen, was ein gutes Ergebnis ist. Wenn die Bohnen beispielsweise zu fein gemahlen sind, sickert das Wasser zu langsam durch den Filter.

3. Kein Schema F

Sei auf ein Zahlenwirrwarr gefasst. Auch nachdem du die Brühtechnik beherrschst, wird dich jede neue Kaffeesorte erneut auf die Probe stellen und dazu bringen, dein Rezept zu ändern. Weil ich mir Zahlen nicht mal kurzzeitig merken kann, habe ich angefangen, das Rezept mit dem besten Ergebnis für die jeweilige Bohne aufzuschreiben und an die Packung zu kleben. Ausserdem habe ich mir notiert, wann ich die Bohnen aufbrauchen sollte. Es wird empfohlen, ab dem Röstdatum sicher zwei Wochen zu warten, damit die Kaffeebohnen noch etwas CO₂ aus dem Röstprozess verlieren und besser schmecken. Danach sollten sie luftdicht verschlossen und innerhalb von Monaten aufgebraucht werden.

4. Spektakel auf Zeit

Sobald du den Dreh einmal raus hast, solltest du dich im Moment verlieren. Das Wiegen der Bohnen, das Mahlen, das Falten des Filterpapiers, der Kaffeegeruch – alles kann zum sinnlichen Erlebnis werden. Am meisten erfreut mein Auge das «Blooming».

Um einiges entspannender, als einem dröhnenden Vollautomaten zuzuschauen: Die blumigen Blubberblasen während des Bloomings.
Um einiges entspannender, als einem dröhnenden Vollautomaten zuzuschauen: Die blumigen Blubberblasen während des Bloomings.
Quelle: Pia Seidel

In der Pour-over-Szene ist es üblich, zu Beginn des Aufbrühens das Kaffeemehl erst einmal zu durchfeuchten. Der gemahlene Kaffee beginnt dann, Kohlendioxid freizugeben und wie ein Teig anzuschwellen. Weil du dreissig Sekunden abwartest, bis du die restliche Wassermenge dazugibst, hast du währenddessen Zeit, dem Prozess zuzuschauen.

5. Mehr Genuss

Weil jedes Gramm, jede Bohne und jeder Schritt zählt, messe ich dem Ergebnis jedes Mal mehr Wert bei. Sei dir bewusst, dass ein von Hand aufgegossener Kaffee auch aus diesem Grund um einiges besser ist als einer aus der Maschine. Es ist wie mit einem selbstgemachten Gericht, das einfach besser mundet als die Fertigpizza aus dem Backofen.

6. Neugewonnenes teilen

Mach den Kaffee nicht für dich allein. Es ist in etwa so wie mit dem Kochen. Das Zubereiten kann, muss aber nichts Geselliges sein. Ich lade auf jeden Fall noch lieber zum Kaffee bei mir zu Hause ein, seit ich selber brühe. Vielleicht weil ich es mehr Charme hat, deinem Gegenüber einen selbst zubereiteten Filterkaffee zu überreichen, statt nur auf einen Knopf zu drücken. Oder weil ich viele damit zu überraschen scheine, dass der Kaffee trotz ausbleibender Milchschaummuster mild schmeckt.

7. Outdoor-Brewing und mehr

Der Weg zum Filterkaffee verlangt vielleicht sogar noch mehr Geschick als der zum perfekten Espresso. Deshalb kannst du davon ausgehen, dass die Baristas in den Cafés, die Pour-over-Coffee anbieten, wissen, was sie tun. Tausch dich mit ihnen oder anderen Coffee-Snobs aus und frag sie nach dem geeigneten Rezept.

Brewing kann etwas Geselliges sein.
Brewing kann etwas Geselliges sein.
Quelle: Pia Seidel

Bei meinem Nachbarn und gelehrten Barista habe ich angefangen, zwei unterschiedliche Batches zu machen und miteinander zu vergleichen, um herauszufinden, welche Aromen uns mehr oder weniger gefallen. Bei schönem Wetter verlagern wir unser Brewing-Ritual auch mal auf die Terrasse.

Ein nuanciertes Argument für mehr Optimismus

Schon damals hat Kylie Minogue im Song «Slow» befeuert, langsamer zu tanzen und einen Beat zu überspringen. Jetzt verstehe ich, was sie damit gemeint hat. Mal einen Knopfdruck und Verhaltensmuster, die von einer effizienzgetriebenen Gesellschaft geprägt sind, zu verändern und was Neues auszuprobieren, wirkt Wunder. Vorausgesetzt du bist bereit, dich am Anfang neuen Ideen zu öffnen, etwas Würde zu opfern und von anderen Menschen zu lernen. Dann kann selbst jemand mit fast vorsätzlicher Gedächtnisschwäche wie ich Freude an etwas so Einfachem wie dem Aufbrühen eines Filterkaffees finden.

Die Kunst des langsamen Brühens hat mich anfangs eingeschüchtert, aber auch demütig gemacht.
Die Kunst des langsamen Brühens hat mich anfangs eingeschüchtert, aber auch demütig gemacht.
Quelle: Pia Seidel

In der Reihe «Ideen, das Leben zu verbessern» probiere ich, an den einfachen Dingen Freude zu finden, weil das eine der schwierigsten, aber lohnenswertesten Fähigkeiten ist, die es zu meistern gilt.

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Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit. 


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