Im Alter jung sterben?
22.5.2023
Der Alterungsprozess ist universell. Er betrifft uns alle. Die zugrunde liegenden biologischen Prozesse sind komplex. Deshalb sind wir noch weit weg davon zu verstehen, wie wir altern. Jetzt hat die Wissenschaft jedoch entscheidende Fortschritte gemacht.
Das Leben ist ein hochkomplexes Zusammenspiel zwischen unseren Zellen und den Informationen, die in unserer DNA und dem Epigenom gespeichert sind. Als Epigenom bezeichnet man chemische Veränderungen der DNA. Das Epigenom regelt die Aktivität von Genen und ist unter anderem am Entwicklungsprozess und der Differenzierung von Gewebe beteiligt. Während die DNA die biologische Hardware darstellt, kann man das Epigenom als Software bezeichnen. Ob wir aufgrund des Zerfalls der Hardware oder der Software (oder von beidem) altern, ist immer noch unbekannt.
Unsere DNA ist eine doppelsträngige Helix. Nimmt die DNA Schaden, kann dies zu Mutationen führen und den Alterungsprozess beschleunigen. Vor allem Brüche beider DNA-Stränge, sogenannte doppelsträngige DNA-Brüche, die 10 bis 50-mal pro Zelle pro Tag vorkommen, stehen im Verdacht, uns altern zu lassen [1,2]. An dieser Theorie kommen jedoch Zweifel auf. Dies darum, weil viele alte Zellen nur wenige Mutationen besitzen [3] oder Zellen von Mäusen mit hohen Mutationsraten, wenige oder keine Anzeichen vorzeitiger Alterung aufweisen [4].
Aus früheren Experimenten mit Hefe war bekannt, dass ein Verlust von epigenetischer Information einen Alterungsmechanismus darstellen könnte [5,6]. Solche altersassoziierten epigenetischen Veränderungen werden auch in mehrzelligen Organismen, wie Würmern, Fliegen oder Nacktmullen beobachtet. Viele dieser epigenetischen Veränderungen beruhen auf der Methylierung der DNA. Dabei handelt es sich um die chemische Modifikation der DNA durch eine Übertragung einer chemischen Verbindung, einer Methylgruppe. Diese Modifikation verändert die zugrundeliegende DNA nicht, sondern reguliert die Aktivität dieses DNA-Abschnitts, wobei die Methylierung typischerweise die Genexpression unterdrückt. Wieso das Epigenom sich mit zunehmendem Alter verändert, wissen wir nicht. Auch hier lieferten Experimente in Hefe den Forschern einen Hinweis. Vor allem Doppelstrang-Brüche [7] und die anschliessende Reparatur, die epigenetische Faktoren benötigt, schien ein starker Treiber dieser epigenetischen Veränderungen darzustellen.
Kann es also sein, dass Veränderungen in der Software uns altern lassen? Dieser Frage ging eine Forschergruppe nach. Sie wollten prüfen, ob epigenetische Veränderungen eine Ursache für das Altern von Säugetieren sind.
Die Experimente
Als erstes entwickelten die Forscher ein System, das Doppelstrang-Brüche in einzelnen Zellen und in mehrzelligen Organismen erzeugt, aber keine Mutationen auslöst. Hierzu fusionierten sie zwei Gene miteinander. Das eine stammt aus einem Schleimpilz und ist eine Endonuklease. Endonukleasen erkennen spezifische Stellen der DNA und schneiden beide Stränge. Sie führen somit zu Doppelstrang-Brüchen. Das andere Gen ist ein mutierter Östrogen-Rezeptor, der ausschliesslich durch Tamoxifen reguliert wird. Nun wurden diese fusionierten Gene in ein Plasmid transferiert. Plasmide sind kleine, ringförmige doppelsträngige DNA-Moleküle, die in Bakterien vorkommen. Man findet Plasmide aber auch in ein- oder mehrzelligen Lebewesen. Plasmide können sich unabhängig replizieren und können darum von einer Zelle auf eine andere übertragen werden. Daher finden Plasmide eine breite Anwendung in der Gentechnik, da sie als Vektoren genutzt werden, um genetisches Material in Lebewesen einzuschleusen.
Die Forscher zielten nun auf Stammzellen von Mäusen ab und wollten diese mit dem neuen Genmaterial ausrüsten. Stammzellen, die nun genetisch modifiziert waren, wurden in Blastozysten, Zellen im frühen Entwicklungsstadium von Mäusembryos injiziert. Die Blastozyste wiederum wird einer Maus implantiert, die als Leihmutter fungiert. Die so produzierten Nachkommen bestehen nun jedoch aus genetisch unterschiedlichen Zellen. Das nennt man in der Biologie auch Chimäre. Chimäre Mäuse können nun die eingefügten Gene an ihre Nachkommen weitergeben. Um nur solche Mäuse zu erzeugen, die die gewünschten genetischen Eigenschaften aufweisen, wurden sie mit normalen Mäusen rückgekreuzt. Die Forscher erzeugten somit eine Mauslinie, bei der sie durch das Hinzugeben von Tamoxifen, Doppelstrang-Brüche induzieren konnten. Normale Mäuse wurden als Kontrolle verwendet. Die jetzt genetisch veränderten Mäuse wurden im Alter von 4 bis 6 Monaten für 3 Wochen zusätzlich mit Tamoxifen gefüttert, um Doppelstrang-Brüche zu induzieren.
Das verwendete Untersuchungssystem und die entsprechenden Mäuse nannten die Forscher ICE (engl. inducible changes to the epigenome). Zuerst wiesen die Forscher nach, dass ICE doppelsträngige DNA-Brüche induziert, ohne, dass dabei Mutationen entstehen, um zu gewährleisten, dass nicht allfällig herbeigeführte DNA-Mutationen zum Alterungsprozess beitrugen.
Der nächste Schritt war die Analyse des Alterungsprozesses hervorgerufen durch Doppelstrang-Brüche. Anfänglich traten keine offensichtlichen Veränderungen im Verhalten, der Aktivität oder der Ernährung bei den ICE-Mäusen oder den Kontrollmäusen auf. Nach einem Monat stellten die Forscher jedoch kleine Veränderungen fest. 10 Monate nach der Intervention, zeigten die ICE-Mäuse dann die klassischen Anzeichen von hohem Alter wie zum Beispiel eine Reduktion des Körpergewichts, die Zunahme von Fettmasse unabhängig von der Ernährung und eine geringere Aktivität während der Nacht. Auch im Gehirn sowie in der Muskulatur waren Alterserscheinungen evident in ICE-Mäusen. Die Forscher verglichen deren epigenetisches Alter, ein Mass der Alterung der Zellmaschinerie, mit den Kontrollmäusen und beobachteten, dass die Rate der Zellalterung ungefähr 50% grösser war als in den Kontrollmäusen. Auch das Epigenom litt unter dem Alterungsprozess. In ICE-Mäusen fanden die Forscher einen Verlust an epigenetischer Information. Ein damit verbundenes Problem ist, dass epigenetisch gealterte Zellen, ihre Zellidentität verlieren.
Kann man die Software rebooten?
Jetzt wollten Sinclair und seine Mitarbeitenden [8] wissen, ob sie das Epigenom in vitro und in vivo zurücksetzen können. Somit könnten sie auch ausschliessen, dass Mutationen für die Alterung verantwortlich sind. Sogenannte Yamanaka-Faktoren (Oct4, Sox2, Klf4 und Myc) [9] lindern die Symptome des Alterns und verlängern die Lebensspanne in Mäusen [10,11]. In einer weiteren Studie wurde zudem gezeigt, dass das epigenetische Alter zurückgesetzt werden kann, um blinde Mäuse zu heilen, ein Prozess, der die Methylierung der DNA benötigt [12].
Diese Erkenntnisse zeigen, dass Zellen ein Backup von jugendlichen epigenetischen Informationen besitzen, die die Zellidentität wiederherstellen können [13]. Daher untersuchten die Forscher, was passiert, wenn man die Yamanaka-Faktoren Oct4, Sox2 und Klf4 (OSK) in ICE-Zellen exprimiert. Im Schnitt wurde das epigenetische Alter der Zellen um 57% verjüngt. Bemerkenswerterweise verjüngten sich Nieren und Muskeln nach nur 5 Wochen auf ein Alter, das der negativen Kontrollgruppe entsprach. Wie genau diese Verjüngung jedoch erfolgt, ist immer noch unbekannt.
Es scheint also so, dass Zellen von Säugetieren eine Art Backup ihrer epigenetischen Informationen in einem jugendlichen Zustand anfertigen. Das würde ihnen erlauben, dass sie sich selbst in einen jüngeren Zustand rebooten, wenn das Epigenom zum Beispiel zu viel Schaden genommen hat. Die Experimente von Sinclair und Kollegen haben aber auch gezeigt, dass man das Epigenom so manipulieren kann, dass wir den Alterungsprozess entweder beschleunigen oder reversieren können. Die ICE-Methode ist vielversprechend, da wir eine neue Möglichkeit erhalten, den epigenetisch assoziierten Alterungsprozess zu studieren.
Wer weiss, ob wir uns eines Tages mit einem Software-Reboot verjüngen.
Referenzen
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Claudio Viecelli
Biologe
Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.