Indiana Paddle & Surf: Die Board-Virtuosen vom Zürisee
Die Schweizer Marke Indiana kam mit Skateboards ins Rollen, surft auf der SUP-Erfolgswelle und hebt mit Foils ab. Dirigiert aus Oberrieden, will das kleine Unternehmen im Konzert der Grossen die erste Geige spielen.
Zuerst serviert der Dirigent Dar-Vida. «Wollt ihr?», fragt Maurus Strobel, CEO von Indiana Paddle & Surf, und greift selbst zum trockenen Snack. Der Zmittag fällt heute aus, im Showroom in Oberrieden am Ufer des Zürisees, wo die Bretter wie gigantische Haifischzähne zur Decke ragen. Es gibt viel zu tun, viel zu erzählen. Von Herzblut und Epoxidharz, das in die Boards geflossen ist. Von kleinen Details und grossen Erfolgen. Anderthalb Stunden Fachsimpelei verraten viel darüber, warum sich Indiana erfolgreich im Wassersport etabliert hat. Vor gut zehn Jahren machte die Skateboard-Marke den ersten Schritt «from the streets to the ocean», wie Strobel es ausdrückt.
Er sitzt nun in der Sonne und blickt auf Boote, die an Bojen schaukeln. Aus dem Wasser liessen sich locker ein paar passende Metaphern fischen, doch Strobel bringt die Musik ins Spiel. «Wir sehen uns ein bisschen wie ein Dirigent mit Orchester», sagt der Mann, der auch mal Inhaber einer PR-Agentur war, mit sicherem Gespür für druckreife Sätze. Es geht ihm um das Team und die gut eingespielten Abläufe, die es in aller Welt braucht, um in hoher Qualität zu produzieren.
Sein entspannter Look soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass akribische Arbeit dahinter steckt. Natürlich trägt der 45-Jährige weder Frack noch Fliege, sondern Sonnenbrille, T-Shirt und Firmen-Cap. Das Logo darauf, halb Board, halb Feder, soll für das leichte Leben stehen. «Viele sehen nur die Feder, nicht das Board», sagt Strobel. Den Kunden schwebt die Leichtigkeit vor, die sie sich wünschen. Den Machern dagegen springt sofort das Board ins Auge.
Früher rollten die Bretter vor allem über den Asphalt. Zweimal, 2004 und 2005, war Strobel Weltmeister im Slalom-Skateboarding. Als Teamfahrer und Kollege von Indiana-Gründer Christof Peller, der in seiner Waschküche in Herrliberg 1989 die ersten Skateboards entwarf. 2010 hoben sie gemeinsam Indiana SUP aus der Taufe.
Inzwischen widmet sich Peller wieder den Skateboards, während Strobel mit Indiana Paddle & Surf unter dem Dach der 2016 gegründeten White Wave AG den Wassersport verantwortet. Hört sich gross an. Doch das Kernteam im frisch bezogenen Büro besteht aus einer Frau und vier Männern. «Das ist immer noch ein kleines KMU», sagt Strobel. «Aber ich hätte niemals gedacht, dass es in diese Dimensionen geht.» Wie kam es dazu?
Aha-Erlebnis auf Hawaii
«Wir machen alles mit Boards» – das ist die kürzestmögliche Antwort auf die Frage nach der Erfolgsformel. Wie es gelang, «alles mit Boards» erfolgreich zu machen, ist eine längere Geschichte. Sie beginnt am Zürisee, führt über Hawaii nach China, spielt in Kroatien, erzählt von einer Erfolgswelle mit digitalem Makel, Containerschiffen, Luftfracht und der Transsibirischen Eisenbahn. Ihren Ausgang nimmt sie am Sehnsuchtsort aller, die auf Bretter und auf Brettern stehen.
«Das erste Mal Stand-up-Paddeln war ich 2008 auf Hawaii», erzählt Strobel, den es eigentlich zum Wellenreiten und Kitesurfen auf die Trauminsel Maui zog. «Die Wellen waren gerade nicht so hoch, da habe ich es ein paar Tage lang ausprobiert», erinnert er sich. «Das Board war ein Riesending und schwer zu wenden. In den Wellen bin ich schon etwas erschrocken, aber es hat Spass gemacht.» Das Erlebnis beeindruckt, und auf der Heimreise ist ein naheliegender Gedanke im Gepäck: «Wenn mir das gefällt, gefällt es bestimmt auch anderen.» Gedacht, getan. Mit ihren bestehenden Kontakten bringen die Skateboard-Experten 2010 die erste SUP-Linie auf den Weg. Zwei Hardboards der Marke Indiana.
Die frühen Stehpaddler sind Exoten. «Wie der Heiland, der übers Wasser geht» wurden sie beäugt, erzählt Strobel lachend. Dafür kann das Indiana-Orchester sich nach und nach einspielen, Misstöne sind bei den Proben zu verschmerzen: «Am Anfang haben wir Lehrgeld bezahlt. Wir hatten Produktionsprobleme, wir hatten Qualitätsprobleme, aber immer bei sehr kleinen Mengen.» Dann beginnt der Boom. Mit dem Aufkommen der inflatable SUP kann sich die Masse für den Sport begeistern. Die Bretter zum Aufpumpen sind der Schlüssel zum kommerziellen Erfolg, der für die Macher anfangs nicht absehbar war: «Wir hatten Freude daran und wollten Produkte, die uns Spass machen.»
Von den Inflatables halten die Board-Pioniere vom Zürisee zunächst nicht viel, doch das ändert sich schnell. «Sie sind besser zu transportieren und zu lagern, sind leichter und gehen nicht kaputt, wenn du eins fallen lässt», zählt der CEO die Vorteile auf. «Unsere schönen Epoxy-Boards haben dann ein Loch.» Also beginnt die Suche nach passenden Partnern. 2014 findet die Indiana-Crew eine Fabrik, die ihren Qualitätsvorstellungen entsprechend produzieren kann. Und das Geschäft zieht an. «Das war der Schritt vom Hobby zur professionellen Marke», erinnert sich Strobel. «Als die Mengen grösser wurden, hatten wir gute Produzenten. Wir hatten die Fehler schon gemacht.»
Erste Geige im Luftkammerorchester
Wer Lehrgeld bezahlt und seine Hausaufgaben macht, ist nicht automatisch erfolgreich. Zu gross ist der Markt, zu ähnlich auf den ersten Blick die Angebote. Welche Qualität in den bunten Brettern steckt, ist für Neueinsteiger kaum zu erkennen. Sie sehen den Preis, und der Preiskampf ist hart. Da ist es unbezahlbar, wenn sich ein unabhängiges Urteil als beste PR entpuppt. 2017 testet der «Kassensturz» neun SUP-Modelle unter 1000 Franken und kürt Indianas Family Pack zum Testsieger.
«Das war ein Meilenstein», sagt Strobel, und lacht beim Gedanken an die gefühlte Reaktion im Land: «Eine Schweizer Marke? Ui, krass! Muss ich kaufen!» Um die hundert Bretter waren nach der ersten Nacht weg. «Da ging direkt ein Mail nach China: Produziert, so viel ihr könnt!» Drei Wochen später ist das Family Pack ausverkauft, doch per Containerschiff und Luftfracht wird der Nachschub schnell in die Schweiz geschafft.
Die Reputation wächst, der Testsieg pumpt das Image besser auf als jede Kampagne. «Das war die Bestätigung, dass wir einen guten Job machen», sagt Strobel. Indiana spielt im Luftkammerorchester die erste Geige – wobei den Perfektionisten ein kleiner Makel fuchst: «Wir hatten mit Abstand das beste Board im Test. Aber es gab kein ‚sehr gut‘, weil wir das Manual nur zum Download angeboten haben.» Seither liegt jedem Board eine Anleitung bei.
Die Musik spielt weltweit
«Der Dirigent ist nur so gut, wie das Orchester besetzt ist», greift Strobel seine Musik-Metapher wieder auf. Er sieht sein kleines, agiles Unternehmen im Vorteil, wenn es darum geht, Paukenschläge in Form von neuen Produkten zu setzen. Wenn Wassersport-Trends anderes Material erfordern, wird bei Indiana sofort ausprobiert und optimiert. «Bei uns vergehen, wenn alles glatt läuft, von einer Idee bis zur Umsetzung etwa vier Monate», schätzt er. «Das geht aber nur, weil wir top erfahrene Shaper, Grafiker, Produktdesigner haben und uns auf die Factories verlassen können.»
Von Oberrieden aus wird dirigiert, was über die Welt verteilt passiert. Und das ist einiges, denn Foilen, der Wassersport mit dem Flügel unter dem Board, das es bei entsprechender Fahrt aus dem Wasser hebt, ist das nächste grosse Ding, bei dem Indiana Paddle & Surf mitmischt.
Von Konstanz bis China
Das Orchester wächst. Da ist Shaper Andi Widmann in Konstanz, der Race-, Touring- und Windfoilboards entwirft. Sein brasilianischer Kollege Johnny Cabianca, der in Spanien lebt und die Wave-SUP-Shapes macht. Der Australier Phil Grace, aus dessen Werkstatt die Surfboards und Allround-SUP-Shapes kommen. Gunnar Biniasch auf Fuerteventura, der die Surf- und Wing-Foilboards shaped. Sowie einige mehr.
«Das sind wichtige Menschen mit jahrzehntelanger Erfahrung», sagt Strobel. «Wir können uns darauf verlassen, dass das funktioniert.» Nach der Prototypen-Phase wird in China und Kroatien produziert. Ein Highend-Raceboard entsteht in Europa, die breite Masse auf der Werkbank der Welt.
Am Ende steht überall «Made in China» drauf, aber die Unterschiede können so riesig sein wie das Land: «Es gibt ein paar gute Fabriken und sehr viele schlechte», sagt Strobel, der selbst zweimal pro Jahr ins Reich der Mitte reist und es häufig kaum wieder erkennt. «Da stehen dann zehn neue Hochhäuser, die Pace ist extrem.» Was gestern noch galt, kann morgen ganz anders sein. Neue Vorschriften, neue Regeln. Es hilft, langjährige Partner vor Ort zu haben.
«In unseren Factories im Süden bekommt ein durchschnittlicher Arbeiter 1000 Dollar im Monat und es gibt Wohnungen, eine Kantine und gute sanitäre Anlagen», sagt Strobel. Inzwischen würden dort strenge Umweltvorschriften gelten und die Konkurrenz um gute Arbeitskräfte sei gross. «Entsprechend sind unsere Produktionskosten höher als in Fabriken im Norden, die vielleicht nur für sechs Monate aufpoppen, ein paar tausend Bretter produzieren, sich an keine Standards halten und schlechte Löhne zahlen.»
Wer denkt, so ein Board werde mehr oder weniger vollautomatisch vom Fliessband gespuckt, liegt falsch. «Es sind viele handwerkliche Schritte dabei, die Arbeiter sind ultrawichtig», betont Strobel. «Nur wenn jemand gut arbeitet, kommt es gut raus.» Es gehöre allerdings auch zur Wahrheit, dass günstige Modelle ihre Existenzberechtigung haben. «Wenn du nur an drei Wochenenden im Jahr mit der Familie im Tessin auf dem Brett stehst, dann reicht das. Sobald du regelmässig paddelst, hast du mehr Spass an einem Qualitätsprodukt.»
Bei Indiana Paddle & Surf spüren sie den Druck des Marktes. «Wir mussten Argumente liefern, wieso wir besser sind. Es genügt nicht, dass Indiana drauf und eine Schweizer Marke dahinter steht», sagt Strobel. Eingespielte Abläufe, ein Team von Experten und gute Qualität sind eine Sache – ohne Innovationen und entsprechendes Marketing geht nichts. «Stand Up Paddling 2.0» ist der Sammelbegriff für die Updates, die 2020 überzeugen sollen.
Clever gelöste Details wie die zweiteilige Finbox, die das Zusammenlegen erleichtert, oder der Wheelie Bag, bei dem das Paddel zur Deichsel wird, gehen auf Feedback von Kunden zurück. Indiana nimmt immer wieder kleine Optimierungen auf, die in der Szene grossen Anklang finden. Es geht um Details. Alleinstellungsmerkmale, die das Leben auf dem Wasser oder auf dem Weg dorthin schöner machen.
Einerseits sind leichte Boards gefragt, die sich bequem an den entlegensten Bergsee tragen lassen. Andererseits glaubt Maurus Strobel daran, dass SUP als Wettkampfsport noch gewaltig wachsen kann: «Wenn Racen irgendwann olympisch wird, dann wird es abgehen!» Es wäre eine Zukunft, in der hochwertige Hardboards wieder viel stärker gefragt sind. Gedankenspiele gibt es viele, die entsprechenden Produkte auch, und mit dem Foilen rollt bereits die nächste Trendwelle an.
Der Spass soll nachhaltig sein
Selbst von der Corona-Krise bleibt die Branche weitestgehend verschont. Es zieht die Leute aufs Wasser und der wochenlange Stillstand in den chinesischen Fabriken liess sich überbrücken: «Die zweite Produktionseinheit kam mit der Transsibirischen Eisenbahn», erzählt Strobel. «Das kostet doppelt so viel wie mit dem Containerschiff, geht dafür schneller und ist ökologischer.»
Ansonsten kann und will er den Umweltaspekt nicht schönreden: «Diese Produkte sind ganz klar nicht kompostierbar. Es ist PVC, Leim, EVA – das alles enthält Schadstoffe. Unsere Idee ist, die Produkte so gut zu machen, dass sie lange halten.» Altes gut und Neues besser machen, darum geht es. Und um den Spass und die Leidenschaft, die ein Brett unter den Füssen weckt.
Natürlich auch bei Maurus Strobel, der nicht nur mit dem SUP auf dem Wasser anzutreffen ist. «Ich gehe Wakefoilen, Wakesurfen, Windsurfen, Kitesurfen, Kitefoilen», zählt der Board-Freak auf. «Windfoilen mache ich auch, einfach nicht so gut», ergänzt er, und schiebt, während der Laie im Kopf noch die Begriffe sortiert, entschuldigend hinterher: «Dafür fehlt mir die Zeit.» Die Antwort auf die Frage, warum das so ist, ist federleicht zu erraten: Er macht eben alles mit Brettern – auch im Büro.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.