Krafttraining: Ist Sex am Vorabend schlecht?
Viele Trainer raten Kraftsportlern von Sex vor einem Wettkampf ab. Seit der Antike hält sich die Empfehlung der Abstinenz vor dem Wettkampf. Aber: Mindert Sex die Kraft wirklich?
Die Olympischen Spiele in Peking sind vorbei und auch die Chinesen haben an der Tradition festgehalten, den Athletinnen und Athleten Kondome zur Verfügung zu stellen, trotz detaillierter Social-Distancing-Regeln. Seit dem Beginn der Olympischen Spiele im antiken Griechenland und Rom wird Athletinnen und Athleten von sexuellen Aktivitäten abgeraten, da diese als mögliche Ursache für eine verminderte Leistungsfähigkeit angesehen werden.
Der Geschlechtsverkehr vor einem sportlichen Wettkampf ist seit vielen Jahren ein kontrovers diskutiertes Thema. Oft empfehlen die Trainer den Athletinnen und Athleten darauf zu verzichten, da sie Angst haben, dass dies die Leistung beeinträchtigen könnte. Ein grosser Anhänger dieser Theorie war Muhammad Ali [1]. Die weit verbreitete These ist, dass der Verzicht auf Geschlechtsverkehr eine Steigerung der Aggressivität hervorruft, die zu einer verbesserten sportlichen Leistung führt. Folglich sind Aktivitäten, die zu einem Orgasmus führen, verpönt, da sie den Testosteronspiegel senken, was sich nachteilig auf die sportliche Leistung auswirken kann [2].
Hartnäckig hält sich auch die These, dass die sportliche Leistungsfähigkeit durch den erhöhten Energieverbrauch beim Geschlechtsverkehr vermindert wird. Dabei ist dieser bei jungen Männern (ca. 4,2 kCal/min) und jungen Frauen (3,1 kCal/min) relativ gering [3].
Welche Auswirkungen hat Geschlechtsverkehr auf die Muskelkraft?
Valenti et al. [4] untersuchten die Auswirkungen von Geschlechtsverkehr zwölf Stunden vor dem Training auf die Beinkraft. Hierzu rekrutierten sie zwölf sexuell aktive, krafttrainingserfahrene Männer (25,6 ± 3,8 Jahre). Die Kraft der Kniebeuger und –strecker wurde zweimal gemessen. Einmal am Morgen, nachdem die Probanden Geschlechtsverkehr hatten und ein weiteres Mal an einem Morgen, nachdem kein Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte.
Die sexuelle Aktivität war zwischen den Probanden nicht standardisiert. Vier von zwölf Probanden gaben zum Testzeitpunkt an, dass ihre sexuelle Aktivität in der vorhergegangenen Nacht länger als 30 Minuten dauerte. Bei den restlichen Kandidaten betrug die Zeit weniger als 30 Minuten. Die Zeit, welche die Probanden vor den jeweiligen Tests schliefen, betrug im Schnitt sechseinhalb Stunden und unterschied sich nicht zwischen den Trainings, die jeweils mit oder ohne Geschlechtsverkehr stattfanden.
Der Geschlechtsverkehr zwölf Stunden vor dem Krafttest hatte keinen Einfluss auf die Kraftproduktion bei der Kniestreckung oder Kniebeugung (siehe Bild).
Es scheint also, dass sich sexuelle Aktivität nicht negativ auf die Muskelkraft auswirkt. Die Studie hat aber mehrere Einschränkungen. Eine davon ist die geringe Stichprobengrösse. Ausserdem wurde nur das Kniegelenk untersucht. Es ist also nicht bekannt, wie Geschlechtsverkehr in der vorhergegangenen Nacht sich auf die Anforderungen anderer Sportarten, die den ganzen Körper involvieren, wie zum Beispiel Schwimmen, Radfahren, etc. auswirkt. Ausserdem konnten die Teilnehmer verschiedene Modalitäten des Geschlechtsverkehrs frei wählen. Es ist durchaus plausibel, dass unterschiedliche sexuelle Stellungen unterschiedliche Ermüdungsgrade der Beine hervorrufen. Dies wurde ebenfalls nicht überprüft.
Dennoch legen die Daten nahe, dass Geschlechtsverkehr zwölf Stunden vor einem Krafttest, keinen Einfluss auf die Kraft hat.
Bei diesem Thema überlasse ich eine Schlussfolgerung, geschweige denn eine Empfehlung, gerne der Leserin oder dem Leser.
Referenzen
- Fischer G. Abstention from Sex and Other Pre-Game Rituals Used by College Male Varsity Athletes. J Sport Behav. 1997;20: 176.
- McGlone S, Shrier I. Does sex the night before competition decrease performance? Clin J Sport Med. 2000;10: 233–234. doi:10.1097/00042752-200010000-00001
- Frappier J, Toupin I, Levy JJ, Aubertin-Leheudre M, Karelis AD. Energy Expenditure during Sexual Activity in Young Healthy Couples. PLoS One. Public Library of Science; 2013;8: 79342. doi:10.1371/JOURNAL.PONE.0079342
- Valenti LM, Suchil C, Beltran G, Rogers RC, Massey EA, Astorino TA. Effect of Sexual Intercourse on Lower Extremity Muscle Force in Strength-Trained Men. J Sex Med. Elsevier; 2018;15: 888–893. doi:10.1016/j.jsxm.2018.04.636
Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.