
Produkttest
Samsung Galaxy Note 8: Weiss unser Marketing mehr als die Gerüchteküche?
von Dominik Bärlocher
Ein Mail lässt mich aufhorchen. Denn es scheint so, als ob ein Hersteller offiziell veröffentlichte Informationen als Leak ausgeben will. Eine Spurensuche in den Untiefen des Marketings.
«Leaks : LEAGOO XRover:world's first Helio P23 rugged smartphone with full screen and 6+128 storage!»
Das ist der Titel eines Mails, das mir in den Posteingang geflattert ist. Ich werde aufmerksam, unterbreche das Meeting mit Category Marketing Manager Andrea Jacob kurz, um das Mail zu überfliegen. Denn Leaks sind spätestens seit dem Tag, an dem Software Engineer Gray Powell den Prototypen des iPhone 4 in einer Bar liegengelassen hat, ein heisses Thema.
Kaum ein Phone kommt auf den Markt, ohne dass vorher etwas geleakt wurde.
Doch das Leagoo-Mail ist ein ganz anderes Biest. Es stammt vom Absender promotion@leagoo.com. Sprich, vom Hersteller selbst. Vom Marketingdepartment des Herstellers, um genau zu sein.
Da kommt ein Verdacht hoch, der die Smartphone-Szene seit längerem immer mal wieder mehr, mal weniger, beschäftigt. Sind die Leaks echt? Werden Leaks als Marketingmittel gebraucht? Wenn ja, wer macht das?
Eine solche Geschichte, vor allem mit so einem offensichtlichen Inhalt, muss mit Vorsicht angegangen werden. Es ist gut möglich, dass sich da jemand als Leagoo ausgibt, die Bilder leakt und so der Firma schaden will. Die einfachste Art, zu verifizieren, ob das Mail tatsächlich aus dem Hause Leagoo stammt ist eine kurze Analyse des Mail Headers.
Ein Mail Header ist eine einem E-Mail hinterlegte Signatur, die technische Daten enthält. Ein Header gibt mehr über den Absender preis, als ihm lieb ist. Im wohl meistgenutzten Mailclient, Microsoft Outlook, kannst du ihn dir wie folgt ansehen:
Unten siehst du ein Fenster mit dem Titel «Internet Headers», in dem viel technisch aussehender Blabla steht. Darin steht unter anderem, welcher Server dir die Mail geschickt hat, welche IP der Absender hat und wie die Originaladresse des Senders lautet.
Wichtige Zeilen sind:
Received: from DESKTOP-XXXERHS (unknown [116.7.99.XXX])
Die Zeile sagt mir, wie der Computer im Netzwerk heisst, der mir das Mail geschrieben hat und wie seine IP lautet. Ich habe aus Schutz der Privatsphäre einige Zahlen durch X ersetzt. Auch kann ich daraus schliessen, dass auf dem Computer des Absenders eine Windows-Version läuft, da Windows Computer im Netz standardmässig DESKTOP-irgendwas benennt.
Die IP kann ich mit einer IP Tracker nachverfolgen und sehen, wo sie herkommt. Das Resultat
Die IP stammt aus Shenzhen, China. Auf der offiziellen Seite des Herstellers Leagoo finden wir eine Kontaktadresse:
Rm. 1206-1209 Huihai Plaza, Heping Rd.
Longhua District, Shenzhen 518000
Email: service@leagoo.com
Die Mailadresse ist dahingehend relevant, da sie uns einen Aufschluss über die Struktur der Mailadressen gibt: $departmentName@leagoo.com. Das ist konsistent mit folgenden Zeilen des Headers.
Received: from smtpbg321.qq.com (smtpbg321.qq.com [14.17.32.30])
..
From: "promotion@leagoo.com" promotion@leagoo.com
…
Return-Path: promotion@leagoo.com
qq.com ist der Hauptserver von Tencent QQ, einem Messenger des chinesischen Anbieters Tencent Holdings Limited. Tencent bietet auch andere Kommunikationslösungen an. Mailserver sind da denkbar.
Das heisst, dass laut Header das Mail tatsächlich von Leagoo stammt. So weit ich das im Kontext dieser Recherche feststellen will. Einen Header kannst du fälschen, klar, aber die meisten, die einfach eine Mail spoofen wollen, verraten sich im Header früher oder später.
Mein Urteil: Das Mail kommt aus dem Hause Leagoo.
Gut, gehen wir davon aus, dass das Leagoo-Leak vom Hersteller inszeniert wird. Aber warum? Ganz einfach: weil er damit Aufmerksamkeit erregen kann. Damit steht Leagoo nicht alleine da. Zumindest inoffiziell. Wenn du hinter Leaks her bist, dann ist unter anderem Twitter der Ort für dich. Die internationale Szene der Leaker schart sich um den Journalisten Evan Blass, dessen Twitter Handle @evleaks schon viel erahnen lässt. Blass kennt Lecks, die manchmal etwas die Augenbrauen nach oben gehen lassen.
Damit du verstehst, was ich gerade sage, muss ich dir ein kleines offenes Geheimnis verraten. In der Regel weiss ich im Vorfeld schon, wie ein Phone aussehen wird und was es können wird. Da ich das weiss, kann ich dir sagen, dass die Leaks des Evan Blass manchmal etwas fragwürdig sind. Evan Blass hat in der Regel recht. Er bekommt Daten vor dem Launch eines Smartphones. Meist gleichzeitig oder etwas früher als ich.
Aber dann passieren komische Dinge.
Nehmen wir den Fall des Samsung Galaxy Note 8. Ich will nicht sagen, dass Samsung Evan Blass Daten zugespielt hat, denn die Daten können aus x-beliebigen Quellen stammen. Das Leak-Portal bgr.com bekommt oft Leak-Daten von Zubehörherstellern, die wissen müssen, wie ein Phone aussieht, damit sie zum Launch des neuen Phones mit Cases und anderem aufwarten können. Also, wenn ich diesen Fall beschreibe, dann ist das reine Spekulation. Aber die Verdachtsmomente sind da.
Eine Zeitlinie.
Im Juli 2017 wussten wir bei uns im Büro, dass Samsung etwas Neues ankündigen würde. Was genau, wussten wir lange nicht. Denn Samsung hielt lange dicht. Da wir aber nicht ganz auf den Kopf gefallen sind, war uns klar, dass das wohl das Note 8 sein wird, da das Galaxy S8 erst vor wenigen Wochen auf den Markt gekommen ist. Aber alles, was wir intern kannten, war ein Codename eines Geräts.
Am 21. Juli schreibe ich über die Gerüchte und Leaks, die das Phone umgibt. Denn wir sind nicht die einzigen, die mit dem Note 8 rechnen.
Aus allen Leaks kristallisiert sich heraus, dass das Note 8 einen Stift haben wird. Debattiert wird aber über die Dual Cam. Denn Samsung hat bis zum Note 8 keine Doppelkamera in einem modernen Smartphone verbaut.
Am 31. Juli treffen bei uns Bilder aus offizieller Quelle ein. Dazu einige Tech Specs. In einem Ordner erhalte ich Bilder, die das Note 8 von allen Seiten zeigt. Seit dem 31. Juli weiss ich, dass das Note 8 eine Doppelkamera hat.
Im selben Ordner finde ich auch folgendes Bild.
Es ist dieses Bild, das mich staunen lässt. Nicht, weil der Formfaktor neu ist, oder weil das Bild so wunderschön ist. Ich staune wegen Evan Blass.
Was soll das?
Ich gehe davon aus, dass Evan Blass die selben Bilder erhalten hat, die bei mir auf dem PC gelandet sind. Warum also twittert Evan Blass nicht die Bilder mit der Rückseite des Phones? Warum postet er das eine Bild, das nichts über das Phone verrät?
Der Formfaktor des Phones ist nicht neu, den haben wir zum ersten Mal einige Monate zuvor beim S8 gesehen. Wir sehen auf Blass' Bild nichts, das irgendwie schockierend, aufregend oder verräterisch ist. Einzig der Name geht wieder um die Welt, denn die Smartphone-Szene schaut Blass zu. Wenn Blass etwas leakt, dann wird weltweit über das Phone gesprochen.
Am 15. August 2017 bin ich in London, schaue mir das Note 8 an und teste zum ersten Mal die Dual Cam.
Evan Blass hat seit dem 31. Juli keine Bilder des Note 8 mehr gepostet. Drei Tage später hat er die vollständigen Specs geleakt.
Am 23. August 2017 endet mein Embargo. Das heisst, ich darf öffentlich über das Note 8 reden. Mit mir thematisieren die Medien rund um den Globus das Phone. Reviews, Hands-ons und andere Inhalte gehen online.
Die Leaks sind überflüssig.
Leagoo schreibt. Sie wollen Bilder geleakt sehen. Ich habe in meiner gesamten Berufskarriere noch nie Kontakt mit der Firma gehabt, das Mail ist an mich persönlich addressiert und nicht einfach an derGanzeLaden@digitec.ch. Sprich, Leagoo hat sich Gedanken darüber gemacht, wem sie die Bilder zuspielen wollen.
Es ist offensichtlich, dass sie meine Arbeit und die der gesamten Redaktion digitecs dazu verwenden wollen, etwas Wirbel um ihr Phone zu generieren. Ich bin mir ebenfalls sicher, dass Leagoo nicht die einzigen sind, die Leaks für sich entdeckt haben.
Denn Leaks können nicht nur von einem Mitarbeiter stammen, der seinem Kumpel einige Informationen zuspielt. Leaks können genauso Teil einer Marketingstrategie sein, wie es ein Plakat oder ein Werbespot auf YouTube ist.
Einer könnte mir Auskunft geben, ob er tatsächlich Bescheid über Leaks als Marketingstrategie geben könnte: Evan Blass. Die Anfrage beantwortet er mit folgenden Zeilen.
Sorry, I prefer to avoid questions on this topic. Thanks for thinking of me, though.
«Sorry, ich bevorzuge es, Fragen zu diesem Thema aus dem Weg zu gehen. Danke aber, dass du an mich gedacht hast.»
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.