Marvel verdient Milliarden und lässt Fans glauben, es sei ihr Erfolg
Meinung

Marvel verdient Milliarden und lässt Fans glauben, es sei ihr Erfolg

Luca Fontana
25.7.2019

Marvels «Avengers: Endgame» überholt Fox’ «Avatar» an den Kinokassen und ist neu der erfolgreichste Film überhaupt. Die Studiobosse lassen es wie einen Sieg der Fans aussehen. Ist er aber nicht. Nicht wirklich.

«Endgame» ist der erfolgreichste Film aller Zeiten. Dank künstlich generierten Hype.

An der Comic-Con in San Diego, der weltgrössten Comic- und Popkulturmesse der Welt – betritt Marvel-Studios-Präsident Kevin Feiges die Bühne der 6500 Plätze umfassenden Halle H. Stolz verkündet er, dass «Avengers: Endgame» es gepackt habe: «Avatar» ist geschlagen. Um 500 000 Dollar.

Applaus. Es ist, als ob ein verloren geglaubtes Spiel doch noch in letzter Sekunde hätte gedreht werden können. Und die Fans jubeln, als ob es ihr Sieg sei.

Kevin Feige, Präsident von Marvel Studios
Kevin Feige, Präsident von Marvel Studios
Quelle: Shutterstock.com

Denn drei Wochen vorher gestehen sich «Avengers: Endgame»-Fans «eine bittere Niederlage» ein. Dies, weil «Endgame» es nicht geschafft hat, James Camerons «Avatar» trotz Kino-Re-Release von der Spitze der erfolgreichsten Kinofilmen aller Zeiten zu verdrängen. 18 Millionen Dollar fehlen der Comic-Verfilmung noch, um zu «Avatars» weltweitem Einspielergebnis von 2.78 Milliarden Dollar aufzuschliessen.

Beat «Avatar» and watch «Endgame»

Fans feiern in der Gegenwart einen Erfolg, von dessen Profit sie nichts haben. Keinen Rappen der an den Kassen mittlerweile eingespielten 2,79 Milliarden Dollar. Im Gegenteil. Es sind die Fans, welche die Kassen der Studiobosse erst auffüllen und anschliessend feiern, dass sie das getan haben. Es ist, als ob eine Bank einen Rekordgewinn verkündete und tausende Kunden ihr zujubelten, obwohl sie nie was vom Gewinn haben werden.

Noch vor einem Jahr, als «Avengers: Infinity War», «Endgames» Vorgänger, im Kino läuft, berichtet ein Fan, den Film über 50-mal gesehen zu haben. Ein Commitment, das von den regieführenden Russo-Brüdern mit einer Einladung zur «Endgame»-Premiere belohnt wird. Solche Bemühungen sollen nicht unvergolten bleiben. Das hat Signalwirkung. «Danke dir, du bist jetzt einer von uns.»

Dasselbe Spiel wiederholt sich bei «Endgame». Im Unterschied zum Fan von damals mit dem erklärten Ziel, «Avatar» zu schlagen. «Whatever it takes» – egal wie, so viele Fans in einem Subreddit, das Marvel Studios gewidmet ist. Es ist ihr Aufruf zum Kampf. Ein Zitat aus dem ersten «Endgame»-Trailer.

Fans strömen dutzende Male ins Kino, ihre Freunde und Bekannte auffordernd, es ihnen gleich zu tun. Auf Twitter werden Hashtags wie #BeatAvatar oder #WatchEndgame populär. Tatsächlich berichten sie täglich von den aktuellen Entwicklungen. Hypen den Film. YouTube-Blogger mit Millionen Fans spornen ihre Follower an. Manche schreiben gar Reden.

Für sie alle soll «Avengers: Endgame» der Höhepunkt ihres Engagements sein, den Film auf Platz Eins der ewigen Kinocharts zu hieven. Ihr eigenes «Endspiel», sozusagen, der vor Jahren begonnen hat – damals, als James Camerons Science-Fiction-Fantasy-Drama die Spitzenposition erklommen hat. Zahlreiche Herausforderer, etwa «Star Wars: The Force Awakens», «Avengers: Infinity War» oder «Jurassic World», haben es umsatzmässig nicht mal in die Nähe «Avatars» geschafft. Und wenn «Endgame» es nicht schaffen könnte – die Kulmination all dessen, was Marvel zehn Jahre lang aufgebaut hat – welcher Film dann?

Auf einmal nehmen die Fans den Erfolg des Films persönlich. Es entbrennt ein Wettbewerb, der eigentlich nur die Buchhalter der Studios interessieren sollte.

Wir gehören zum Team

Dieses Verhalten kommt nicht von Ungefähr. Denn Fans werden instrumentalisiert. Etwa, wenn Zuschauer zu Premieren eingeladen werden. Oder, wenn Studios die Einspielergebnisse zum Problem ihrer Zuschauer machen, als ob sie ihre Buchhalter wären.

In «Endgames» Fall ist das Studio, das hinter dieser Instrumentalisierung steckt, Marvel Studios. Indirekt aber Disney: Dem Konzern gehört Marvel seit 2009. Wenn Marvel-Studios-Boss Kevin Feige an der Comic-Con die frohe Botschaft verkündet, ist kein einziges Wort zufällig gewählt:

Dank euch ist «Avengers: Endgame» der grösste Film aller Zeiten.
Kevin Feige, Präsident von Marvel Studios
Iron Mans Helm in «Avengers: Endgame»
Iron Mans Helm in «Avengers: Endgame»
Quelle: Marvel Studios

So, wie Feige es den Fans präsentiert, würden sie sich am liebsten gleich noch ein Ticket kaufen und sich dann auf die Schulter klopfen. Ganz im Sinne Marvels. Das Studio züchtet sich eine neue Generation Fans heran, die so leidenschaftlich mitfiebert, dass sie in Jubelstürmen ausbricht, wenn sich das Studio Milliarden von Dollar in die Taschen stecken darf. Als ob es nicht der Erfolg des Studios, sondern ihr eigener wäre: «Hast du schon gehört? Wir haben ‘Avatar’ geschlagen.»

Eines von vielen Beispielen an Kommentaren in Foren, Subreddits, Twitter-Meldungen und auf YouTube-Kanälen.
Eines von vielen Beispielen an Kommentaren in Foren, Subreddits, Twitter-Meldungen und auf YouTube-Kanälen.

Marvels eiserner Wille, «Avatar» um jeden Preis an den Kinokassen zu schlagen, hat also nichts mit Aktionärsbedenken zu tun. Es ging nie darum, den Rekord zu knacken. Es ging darum, die Fans so einzuschleifen, dass es wie ihr Erfolg aussieht. Denn solange sie sich als Teil des Teams sehen, das weitläufig aus Millionären besteht, werden sie weiterhin fleissig Kinotickets kaufen.

Das wiederum freut die Buchhalter, Bosse und Aktionäre. Ein schöner Kreislauf.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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