Hintergrund

Mehr Retro geht kaum: Röhrenradio-PC-Projekt

Kevin Hofer
8.4.2020

Röhrenradios sind grosse, meist hölzerne Kisten, die in den Zwischenkriegsjahren und später wohl in jeder Stube standen. Bei uns stand so ein Teil im Zimmer meiner Mutter. In einem Röhrenradio verbaue ich in meinem neuesten Projekt einen PC.

Ein nostalgischer Duft strömt mir entgegen als ich den Speicher in meinem Elternhaus betrete. Eigentlich riecht es modrig, so wie’s halt auf dem Estrich riecht. Und wir sind hier nicht bei Rosamunde Pilcher, also lasse ich das von jetzt an mit dem schwülstigen Schreibstil. Dennoch: Speicher sind Erinnerungsorte und deren Geruch stimmt mich immer nostalgisch.

Bevor ich weiter abschweife, erzähle ich dir lieber, wieso ich genau hier oben bin. Ich suche nach dem alten Röhrenempfänger, den meine Mutter früher in ihrem Zimmer stehen hatte. Röhrenempfänger sind diese riesigen, alten Holzkisten, die früher als Radio dienten und heute Liebhaberwert haben oder Bastelprojekten dienen. Radio hat meine Mutter damit zwar nie gehört, dafür Schallplatten mit dem integrierten Plattenspieler.

Tatsächlich, in einer Ecke entdecke ich das gute Stück. Es sieht genauso aus, wie ich es in Erinnerung habe. In meinen Ohren höre ich Star Dust von Louis Armstrong. Das Stück hat sich meine Mutter immer angehört. Ich nehme den Röhrenempfänger Hause. Ich habe nämlich vor, einen PC darin zu verbauen.

Transistoren fürs Röhrenradio

Röhrenempfänger kamen in den 1920ern auf. Wo wir heute schnell das Smartphone zücken, versammelten sich in den Zwischenkriegsjahren und später die Familienmitglieder vor der Kiste, um die aktuellsten Nachrichten zu checken. Bis in die späten 50er / 60er Jahre standen sie in fast jeder Stube.

Elektronenröhren dienen zur Erzeugung, Gleichrichtung, Verstärkung oder Modulation elektrischer Signale. Ganz ausgedient haben Elektronenröhren, die die Röhrenempfänger angetrieben haben, auch heute nicht: Es gibt immer noch Röhrenverstärker, die sich vor allem bei Audiophilen und Gitarristen Beliebtheit erfreuen. In den meisten elektronischen Geräten stecken heute jedoch Transistoren.

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Läuft das Teil?

Zuhause angekommen, kann ich es kaum mehr erwarten, das Luxor Radio auseinanderzunehmen. Bevor ich Hand anlege, will ich wissen, ob es überhaupt noch läuft. Ich stecke es ans Netz. Besser gesagt: Ich versuche es. Da meine Mietwohnung vor ein paar Jahren totalsaniert wurde, habe ich nur Typ-13-Steckdosen. Die sind vertieft und deshalb kriege ich den flachen Stecker nicht ans Netz. Ich bräuchte eine Typ-12-Steckdose.

In den Niederungen meines Wohnblocks werde ich doch noch fündig: Im Keller hat’s noch eine alte Typ-12-Steckdose. Zum ersten Mal bin ich froh, dass die Hausbesitzer wenig in die Räume für die Allgemeinheit investieren. Ich schliesse das gute Teil an und… Nichts tut sich. Auch nach einer Minute nicht. Elektronenröhren müssen erst warm werden, weshalb ich dem Gerät etwas länger gebe.

Jetzt habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, das Luxor Radio auseinanderzunehmen. Ich achte dennoch darauf, nichts kaputt zu machen. Falls du Interesse an den Teilen hast, schreib mir eine E-Mail, einfach auf mein Autorenprofil klicken. Ich schicke sie dir dann. Die Dinger sollten mit Erfahrung gut reparierbar sein, wie ich in mehreren Youtube-Videos sehe. Ein Gehäuse müsstest du selbst bauen.

Was steckt drin?

Zugang zu den Komponenten gibt’s über die Rück- oder Unterseite. Die Rückblende besteht aus Hartpappe und lässt sich ganz leicht entfernen. Ich erblicke sofort die charakteristischen Elektronenröhren. Die zwei silbernen «Türme» müssten die ZF-Verstärker sein. Den Transformator erkenne ich auch noch. Dann hört mein «Wissen», wie’s im Inneren eines Röhrenradios aussieht, auch schon auf.

Damit ich einen besseren Blick auf die Komponenten habe, baue ich sie aus. Sie sind auf der Unterseite angeschraubt. Ich löse die Schrauben und nehme die gesamte Elektronik, bis auf den Plattenspieler und den Lautsprecher, in einem Block raus. Jetzt ist der Blick frei.

Das Luxor Radio hat sechs Elektronenröhren. Die Bezeichnung ist jeweils auf der Röhre gedruckt. Alle sechs Röhren haben beginnen mit der Bezeichnung E. Das heisst, dass die Röhren mit 6.3 Volt DC/AC bei einem Heizstrom von 0.3 Ampere geheizt werden.

Jede Röhre hat eine eigene Funktion. Die EMB84, die sich von hinten gesehen links gleich hinter der Anzeige befindet, ist eine Anzeigeröhre. Beim Luxor Radio diente sie zur Abstimmung der Sendefrequenz. Im weiteren sind die Röhren ECC82, EL84, EBF89, ECH81 und ECC85 verbaut. Dabei handelt es sich um Elektronenröhren in verschiedenen Frequenzbereichen. Welche genau für was ist, weiss ich nicht. Schreib’s doch bitte in die Kommentarspalte, wenn du dich damit auskennst.

Nebst den Röhren und den verstaubten Kondensatoren finde ich die Mechanik zum Einstellen der Sender faszinierend. Aber sieh selbst:

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Elektronenröhre ECC85 zuständig für die Senderfrequenz und über den Mechanismus stellst du sie ein. Aber eben: Mein «Wissen» über Röhrenempfänger ist stark begrenzt. Wenn du’s besser weisst, schreib’s bitte in die Kommentarspalte.

Ausgehöhlt

Zuletzt entferne ich noch den Plattenspieler. Der ist gar nicht festgemacht und ich kann ihn ganz einfach entfernen. So ausgehöhlt sieht das Gehäuse des Röhrenradios trist aus und stimmt mich etwas wehmütig. Ich habe dem Teil früher ebenfalls gerne zugehört– auch wenn Louis Armstrong damals meine Ohren zum bluten brachte.

Immerhin kommt bald neues Leben ins Gehäuse. Hoffentlich bereitet mir das dann genauso viel Freude, wie das Röhrenradio früher meiner Mutter.

Ich mache mich jetzt ans Vermessen des guten Stücks und übertrage es ins CAD. So kann ich mehr oder weniger genau abschätzen, welche PC-Komponenten ich wo verbauen will. Davon erzähle ich dir beim nächsten Mal.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.

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