![](/im/Files/5/5/2/1/0/1/8/6/Bildschirmfoto%202022-01-28%20um%2013.17.1121.jpeg?impolicy=teaser&resizeWidth=700&resizeHeight=350)
Mein WG-Mitbewohner stellt sich vor
Seit knapp einem Jahr wohne ich in einer WG. Mein Mitbewohner zahlt zwar keine Miete, beansprucht aber auch kein eigenes Zimmer und macht kaum Lärm. Er stellt sich hier in seinen eigenen Worten vor.
Hallo, ich heisse Willy. Ich bin acht Zentimeter gross, stark behaart und habe schwarze Knopfaugen. Ich bin ein Zwerghamster.
Für meinen Namen kann ich nichts, den hab ich mir nicht ausgesucht. Die Hand hat ihn mir gegeben. Die Hand ist ein seltsames Wesen, mit dem ich ständig zu tun habe. Auch sie habe ich mir nicht ausgesucht. Aber sie ist im grossen Ganzen okay. Wenn die Hand da ist, dann ist oft auch Futter da. Es lohnt sich auf jeden Fall, das mehrstöckige Anwesen mit all seinen Häuschen und Unterschlupfen zu durchsuchen, wenn die Hand vor meiner Schnauze rumfuchtelt. Wenn die Hand da ist, sind oft auch Füsse, Beine und solche Dinge da, und das alles scheint irgendwie zusammenzugehören. Es sind dann auch immer seltsame Geräusche zu hören. Das alles deutet stark darauf hin, dass es was zu fressen gibt. Fressen ist wichtig.
Die Hand fummelt fast jeden Tag an mir herum, was ich eigentlich nicht so mag, aber wenn ich am Fressen bin, ist es mir egal. Gefährlich ist die Hand nicht. Manchmal beisse ich sie. Aber nicht aus Angst. Ich kann einfach nicht glauben, dass das Ding, das zusammen mit dem Futter kommt und nach Futter riecht, selbst kein Futter sein soll.
Ich bin Flexitarier. Mein Speiseplan ist hauptsächlich vegetarisch, aber ganz auf Fleisch verzichten kann und will ich nicht. Bei einem fetten Mehlwurm lasse ich mich nicht zweimal bitten! Und vielleicht kann man ein kleines Stück der Hand ja doch fressen. Ich probiere es zur Sicherheit nochmals.
Es ist aber nicht so, dass ich immer nur fresse. Manchmal schlafe ich auch. Meistens sogar. Schlafen ist super. Es heisst ja, Hamster seien nachtaktiv, aber das stimmt so nicht. Ich schlafe zu allen Tages- und Nachtzeiten. Manchmal döse ich auch nur, und wenn ich aufwache, zwicke ich mir als erstes einen Snack aus der Backe.
Du denkst vielleicht, ich sei faul. Aber wenn es ums Ausbüxen geht, bin ich verdammt ehrgeizig. Ich weiss, dass da draussen noch mehr Futter ist. Von irgendwoher muss die Hand das Zeug ja haben. Es ist schwierig, aber ich gebe nicht auf.
Schlafen ist aber schon wichtig. Damit ich besser schlafen kann, baue ich mir ein Nest aus WC-Papier. Vor allem im Winter. Im Sommer habe ich oft zu heiss und lege mich einfach platt auf den Boden.
Wenn ich nicht schlafe, mache ich Wellness. Ich geniesse das Sandbad und die ausgiebige Fellpflege. Ich putze mich sehr sorgfältig und gewissenhaft. Hygiene nehme ich ernst. Da meine Beine sehr kurz sind, kann es vorkommen, dass ich auf meinem eigenen Kot sitze. Dann befördere ich ihn mit dem Mund nach vorne weg. Selbstverständlich pinkle ich auch überall hin und kacke, während ich im Laufrad renne. Umso wichtiger ist die Fellpflege.
Die Hand putzt manchmal auch. Aber nicht sich selbst, wie das intelligente Wesen tun, sondern die Umgebung. Danach riecht es nicht mehr nach mir – das ist absolut inakzeptabel und muss umgehend mit markigen Duftnoten geändert werden.
Die Hand bevormundet mich. Ich glaube, sie hält mich für leicht beschränkt. So genau weiss ich das aber nicht, denn es ist schwierig, mit ihr zu kommunizieren. Wie soll man sich mit einem Wesen, das nicht einmal Duftnoten setzen kann, vernünftig austauschen? Ich muss aber auch zugeben, dass ich an Kommunikation gar kein grosses Interesse habe. Ich bin ein Einzelgänger. Ich bin zufrieden, wenn man mich einfach in Ruhe lässt.
Bald bin ich ein Jahr alt. Vielleicht kommt noch ein zweites dazu, aber mehr nicht. Mein Leben ist kurz. Darum geniesse ich es.
29 Personen gefällt dieser Artikel
![User Avatar](/im/Files/4/3/4/6/0/4/7/6/TOM_1097crop.jpg?impolicy=avatar&resizeWidth=96)
![User Avatar](/im/Files/4/3/4/6/0/4/7/6/TOM_1097crop.jpg?impolicy=avatar&resizeWidth=80)
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.