Meta unter Druck – Teil 3: Die chinesische Bedrohung
Während die Beliebtheit von Instagram und Facebook schwindet, explodieren die Userzahlen der chinesischen Plattform TikTok. Verzweifelt versucht Meta-CEO Mark Zuckerberg auf den Kurzvideo-Zug aufzuspringen. Teil drei einer Serie über die Probleme des Tech-Giganten.
Kleines Experiment gefällig? Öffne die Standardansichten von Facebook oder Instagram. Scroll nach unten und zähl zehn Beiträge ab, dann scroll hoch und zähl wieder mit: Wie viele der zehn Posts sind «vorgeschlagene» Beiträge?
Ich habe den Test auf beiden Plattformen an verschiedenen Tagen gemacht, insgesamt zehnmal. Von den 100 Posts wurden mir 18 vorgeschlagen. Immer dabei sind Reels – einminütige, vertikale Kurzvideos. Das ist die wichtigste Änderung in Metas Plattformen seit langem. Das neue Feature nennt sich «Discovery Engine». Es ist CEO Mark Zuckerbergs Antwort auf eine der grössten Bedrohungen seines Imperiums. Sie kommt aus China und heisst TikTok. Darum geht es im dritten Teil meiner Serie zu Metas Problemen. Falls du die letzte Folge verpasst hast, findest du sie hier:
Ein digitaler einarmiger Bandit
Die Userzahlen von TikTok sind im letzten Jahr explodiert. Falls du die App nicht kennst, lass mich sie dir kurz erklären: TikTok nimmt dir eine Arbeit ab, die du auf traditionellen Social-Media-Plattformen selber machen musst – eine Auswahl treffen, was du sehen willst. Zwar kannst du einzelnen Accounts folgen, doch der Löwenanteil des Contents wird dir von Algorithmen serviert. Als User musst du nur eine einzige Sache tun: nach oben swipen, wenn du das nächste Video sehen willst.
Je mehr Zeit du auf TikTok verbringst und je mehr Beiträge du ganz schaust oder eben vorher wegwischst, desto mehr Daten sammelt die Plattform über dich. Damit füttert sie ihre Algorithmen, die so immer besser abschätzen können, welche Videos dich interessieren. Je besser die Empfehlungen sind, desto mehr Zeit verbringst du auf TikTok – ein endloser Strudel, der deine ganze Aufmerksamkeit einsaugt. Ehe du dich’s versiehst, sind ganze Nachmittage vorbei.
Das kommt nicht von ungefähr. Die Soziologin Dr. Julie Albright vergleicht TikTok in einem Interview mit dem Magazin «Forbes» mit Drogen und Spielsucht: «Es ist wie ein einarmiger Bandit: Jedes Mal, wenn du scrollst, kannst du gewinnen oder verlieren. Wenn du gewinnst, siehst du etwas, das deine Aufmerksamkeit erregt. Dann wird jedes Mal etwas Dopamin im Belohnungszentrum deines Hirns freigesetzt. Also wirst du weiterscrollen, weil du den nächsten Kick willst.» Nach diesem Mechanismus funktionieren auch die anderen Social-Media-Plattformen, doch TikTok hat mit seinen Algorithmen das Prinzip des Endlos-Scrollens perfektioniert. Ein exzessiver Konsum könne das Gehirn nachhaltig verändern, sagt Albright. «Unsere Aufmerksamkeitsspanne wird kürzer.»
If you can’t beat them, join them
TikToks Erfolg ist ein Problem für Meta. Denn ein Grossteil der Aufmerksamkeit, die zu TikTok fliesst, stammt aus dem Kontingent von Instagram und Facebook. Die chinesische Kurzvideo-Plattform hat bereits über eine Milliarde aktive User. Die heimische Version Douyin einbezogen, sind es sogar 1,6 Milliarden. Das sind weniger als die fast 3 Milliarden von Facebook, aber mehr als die 1,44 Milliarden von Instagram. Besonders beunruhigend für Meta ist die Entwicklung bei Teenagern, die als Trendsetter gelten. Bei ihnen ist TikTok gemäss Umfragen beliebter als Instagram oder Facebook. Nur Youtube kann der chinesischen Plattform bislang noch die Stirn bieten.
Doch so leicht gibt sich Mark Zuckerberg nicht geschlagen. Er greift auf seine bewährte Strategie zurück: Kaufen oder kopieren. Für eine Übernahme ist TikTok zu gross und zu chinesisch. In den vergangenen Monaten haben deshalb sowohl Facebook als auch Instagram damit begonnen, ihre eigene Version von Kurzvideos zu pushen. Sie heissen Reels und funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie TikTok. Und nicht nur in den Reels werden dir von Algorithmen ausgewählte Inhalte vorgeschlagen – sondern im gesamten News Feed. Momentan liegt der Anteil laut Metas Angaben bei 15 Prozent. Bis Ende 2023 wird er auf das Doppelte anwachsen.
Unterhaltungs-Plattform statt soziales Netzwerk
Damit lande ich zurück am Anfang dieses Artikels und bei der Discovery Engine. So nennt Meta sein System von Algorithmen, das dir die «vorgeschlagenen» Inhalte serviert. Genau wie TikTok sammeln Facebook und Instagram jede Menge Daten über dich, mit denen sie die Discovery Engine füttern. Du kannst sogar aktiv eingreifen – derzeit testet Instagram zum Beispiel neue Wege, wie du Inhalte markieren kannst, die dich nicht interessieren. Trotz allen Bemühungen: Bisher kann Meta nicht ansatzweise zu TikTok aufschliessen. Das zeigt ein geleaktes internes Memo. Demnach verbringen User verglichen mit TikTok gerade mal einen Zehntel der Zeit mit Reels auf Instagram.
Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens fehlt es Instagram an exklusiven Inhalten – etwa ein Drittel aller Reels sind recycelte TikTok-Videos, die man sofort am Wasserzeichen erkennt. Das Budget von einer Milliarde Dollar, um Influencer zu mehr Reels zu animieren, zeigt bislang wenig Wirkung.
Zweitens funktionieren TikToks Algorithmen anders als jene von Meta. Letztere basieren auf dem sogenannten Social Graph der User – also ihren sozialen Verknüpfungen. Zum Beispiel wird dir ein Beitrag eher vorgeschlagen, wenn eine Freundin bereits damit interagiert hat. Das ist im Selbstverständnis der Plattformen verankert: Instagram und Facebook sind traditionell soziale Netzwerke, die ihre User untereinander verknüpfen. Dieses Korsett hat TikTok nicht. «Wir sind eine Unterhaltungs-Plattform», sagt Blake Chandlee, TikToks Präsident der globalen Geschäftsstrategie. «Das ist ein massiver Unterschied.»
«Hört auf zu versuchen, TikTok zu sein»
Selbst wenn es Meta gelingt, TikTok besser zu kopieren, stellt sich die Frage: Ist es wirklich das, was die User wollen? Eine homogene Social-Media-Landschaft, die hauptsächlich aus einminütigen Kurzvideos besteht? Geht es nach vielen wichtigen Influencern, ist die Antwort: Nein. «Macht Instagram wieder zu Instagram», habe ich bereits in der letzten Folge meiner Serie Kylie Jenner zitiert – die Frau mit den meisten Instagram-Followern. Den zweiten Teil ihres Posts habe ich damals unterschlagen: «Hört auf zu versuchen, TikTok zu sein, ich will einfach nur süsse Bilder meiner Freunde sehen.»
Ob Jenner mit dieser Meinung eine Mehrheit der User vertritt, ist schwer zu sagen. Mich persönlich nerven die vorgeschlagenen Posts – und Reels fühlen sich für mich nach verschwendeter Zeit an. Auch in meinem Freundeskreis wächst der Unmut über die neue Richtung, die Meta eingeschlagen hat. Auch das ist nicht repräsentativ. Doch die Gefahr besteht, dass Facebook und Instagram ihre Stammnutzer vergraulen und gleichzeitig die junge Zielgruppe nicht zurückgewinnen, die sie gerade an TikTok verlieren.
Zuckerberg öffnet die Büchse der Pandora
Gesellschaftlich gesehen ist der Aufstieg von algorithmischen Inhalten eine Blackbox. Positiv betrachtet ist es möglich, dass dadurch unter anderem grenzwertiger und polarisierender Content verdrängt wird. Dieser erhielt in der vergangenen Ära der «Optimization for Engagement» eine überproportional grosse Bühne. Meta selber argumentiert ausserdem damit, dass dir die Discovery Engine auch Inhalte und Meinungen ausserhalb deiner soziokulturellen Blase serviert und so den Horizont erweitern kann.
Dem gegenüber stehen Bedenken zur Macht der Algorithmen: Als User hast du selber immer weniger Einfluss darauf, was du siehst. Gleichzeitig beeinflussen die konsumierten Inhalte dein Weltbild und deine Meinung – oft unbewusst. Metas Algorithmen hatten in der Vergangenheit immer unerwünschte Nebenwirkungen. Mit der Discovery Engine wächst die Verantwortung, die auf den Algorithmen lastet. Bewusste oder naive Kurzsichtigkeit bei ihrer Entwicklung und Implementierung kann noch gravierendere Folgen haben.
Mark Zuckerberg öffnet mit der Discovery Engine möglicherweise die Büchse der Pandora: In der Vergangenheit schob er die Verantwortung für das, was auf Instagram und Facebook passierte, oft auf die User ab. Frei nach dem Motto: «Wir sind nur die Plattform – du entscheidest, was du damit anstellst.» Diese Argumentation funktioniert nicht mehr, wenn du Inhalte nicht mehr selbst auswählst. Wenn die Discovery Engine Schaden anrichtet, muss Meta dafür ganz alleine geradestehen.
Die Kontrolle und Moderation von Content wird in dieser neuen Ära zur Kernaufgabe – eine Gratwanderung zwischen dem Entfernen von unerwünschten Inhalten und falscher Zensur. Die Rolle als Richter scheint Zuckerberg nicht zu behagen: «Ich will diese Dinge nicht beurteilen. Ich will Menschen miteinander verbinden», sagt er im Interview mit Joe Rogan. Er versucht deshalb, Entscheidungen an externe Instanzen auszulagern. Sie sollen beurteilen, welche Inhalte in der Versenkung verschwinden und welche nicht – in Zusammenarbeit mit Algorithmen. Versuche mit letzteren gibt es. Sie stossen bisher an ihre Grenzen, bildlich und wörtlich. Denn die Algorithmen werden von einer kleinen Gruppe von Menschen entwickelt, die hauptsächlich in Nordamerika lebt. Die Systeme haben deshalb zum Beispiel Probleme mit anderen Sprachen als Englisch.
Der Datenschutz als Metas Rettung?
Ob Meta mit seiner Strategie Erfolg haben wird, ist alles andere als sicher. Doch im Kampf gegen TikTok könnte Mark Zuckerberg Hilfe von unerwarteter Seite bekommen: dem US-amerikanischen Staat. Ein Mitglied der Federal Communications Commission (FCC) forderte im Juni, dass Google und Apple die TikTok-App aus ihren Stores entfernen. Passiert ist das bisher nicht, da die FCC keine Weisungsbefugnis über die App-Stores hat. Es zeigt aber, dass US-Regulatoren nach Wegen suchen, um den Datenfluss nach China zu stoppen.
Zweifel an TikToks Datenschutz bestehen schon lange. Kritische Stimmen befürchten, dass der chinesische Staat über die App durch die Hintertür Zugriff auf die Daten von US-Staatsangehörigen hat. Mit dieser Begründung hatte schon Donald Trump 2020 versucht, TikTok zu verbieten. Das konnte das Unternehmen abwenden, indem es sich verpflichtete, Daten von US-Staatsangehörigen auf Cloud-Servern des amerikanischen Anbieters Oracle zu speichern. Das Newsportal «Buzzfeed» enthüllte im Juni, dass trotzdem regelmässig US-Daten in China abgerufen werden. TikTok selber reagierte darauf lediglich mit wagen Aussagen – sie würden mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten, um eine Lösung zu finden. Die Rufe nach einer staatlichen Regulierung der App werden lauter. Dazu tragen auch Meldungen bei, dass TikTok im In-App-Browser nicht nur Klicks, sondern sogar Tastaturanschläge aufzeichnen kann:
Im Hinblick auf Metas Geschichte mutet es ironisch an, dass der Datenschutz Mark Zuckerbergs Rettung sein könnte. Denn auch sein Unternehmen steht regelmässig in der Kritik, fahrlässig mit den Daten seiner User umzugehen.
Was für ein Vakuum ein Verbot von TikTok im Werbemarkt hinterlassen kann, zeigt sich am Beispiel von Indien. Dort ist die App bereits vor zwei Jahren aus den App-Stores verschwunden, weil die Regierung sie wegen Sicherheits- und Datenschutzbedenken verboten hat. In der Folge versuchen Meta und Google, möglichst viel vom frei gewordenen 20-Milliarden-Kuchen für sich zu beanspruchen.
Wer den weltweiten Kampf um die attraktivste Kurzvideo-Plattform gewinnt, bleibt offen. Für Meta wäre ein Erfolg besonders wichtig, denn es benötigt Geld für die Entwicklung von Zuckerbergs Metaverse – Geld, das knapper zu werden droht. Dafür ist nicht nur TikTok verantwortlich, sondern auch eine andere Firma, die gerade zu Metas Erzfeind wird: Apple. Dazu mehr in der nächsten Folge.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.