Meta unter Druck – Teil 5: Alles oder nichts
Das Metaverse ist Mark Zuckerbergs grösste Wette. Von der schwindenden Beliebtheit und Rentabilität seiner bisherigen Plattformen getrieben, tritt der Meta-CEO die Flucht nach vorne an. Er setzt nicht weniger als die Zukunft seines Unternehmens auf die virtuelle Realität. Teil fünf einer Serie über die Probleme des Tech-Giganten.
Sun Microsystems. Sagt dir nichts? Du bist nicht alleine. Dabei war Sun zu seinen besten Zeiten ein 200 Milliarden Dollar schwerer Tech-Gigant. Dann verpasste die Firma den Anschluss. 2009 wurde sie schliesslich von Oracle zu einem Spottpreis übernommen. Heute erinnert sich niemand mehr an Sun. Der ehemalige Firmencampus in Kalifornien ist mittlerweile der Hauptsitz von Meta. Doch als Mark Zuckerberg 2012 einzog, entfernte er das alte Schild mit dem Sun-Logo nicht etwa. Stattdessen drehte er es einfach um und klatschte den Facebook-Daumen auf die Vorderseite – als warnende Erinnerung daran, wie schnell sich das Glück im Silicon Valley wenden kann.
Das ist zehn Jahre her. Heute kämpft Zuckerberg mit allen Mitteln darum, dass Meta nicht das nächste Sun wird. Ich habe in meiner Serie die verschiedenen Probleme Metas beleuchtet: Die Uncoolness Facebooks, Instagrams absterbende Wurzeln, die Bedrohung aus China und den Krieg mit Apple. Im fünften und letzten Teil geht es um Zuckerbergs bisher grösste Wette, das Metaverse. Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die Zukunft seines Konzerns. Alles oder nichts.
Falls du die letzte Folge verpasst hast, findest du sie hier:
Ok Mark, du hast meine Aufmerksamkeit
Ich sitze in meinem geräumigen 80-Quadratmeter Büro mit Blick auf einen Bergsee. Ich tippe auf meiner gewohnten Logitech MX Keys diese Zeilen. Vor mir schwebt ein grosser Curved-Bildschirm in der Luft – in angenehmer Distanz. Darauf ist die Benutzeroberfläche meines MacBooks zu sehen, mit all meinen Programmen und Dateien. Per Geste kann ich auf einer schwebenden Konsole auf dem Tisch zwischen meinem Computer und einem Meeting wechseln. Ich fühle mich wie Tom Cruise in Minority Report.
Die ganze Szene spielt sich nicht in der physischen, sondern der virtuellen Realität ab. Auf meinem Kopf sitzt das Quest Pro, Metas neustes Headset. Es soll eine neue Ära einläuten, wie wir mit Technologie interagieren. Anders als die meisten anderen Headsets kann mich das Quest Pro nicht nur in vollkommen virtuelle Welten schicken. Wechsle ich in die Mixed Reality, filmen Kameras die physische Welt um mich herum und projizieren sie in Echtzeit wieder ins Headset. So kann ich mein Büro am Bergsee auch gegen mein echtes Zimmer tauschen, in dem nun die virtuellen Bildschirme schweben. Die Mischung aus den zwei Realitäten ist beeindruckend – die virtuellen Teile stehen bockstill im Raum, weil das Quest Pro meine Bewegung trackt. Nichts flackert oder wackelt. Die Kameras verfolgen sogar meine Mimik. In virtuellen Meetings schaut mein Comic-Avatar dahin, wo ich in der physischen Welt schaue. Wenn ich lächle, lächelt auch er.
Fertig ausgereift ist die Technik noch nicht. Dafür sind Auflösung, Refresh Rate und die Qualität der Passthrough-Kameras nicht gut genug. Auch das Ökosystem an Apps ist bisher winzig. Der praktische Nutzen des Meta Quest Pro ist abseits von Spielen deshalb gering und es ist vor allem ein überteuertes Showcase für Metas Konzept. Doch bei aller Skepsis gegenüber dem aktuellen Stand der Technik und dem Metaverse: Ich komme unwillkürlich ins Staunen. Es ist ein herrlich futuristisches Erlebnis, sich in virtuellen und gemischten Welten zu bewegen. Zum ersten Mal beginne ich, Mark Zuckerbergs Vision zu verstehen.
Die Wall Street glaubt nicht ans Metaverse
Der Meta-CEO buttert so viel Geld in die Entwicklung von Virtual, Mixed und Augmented Reality wie niemand sonst. Rund zehn Milliarden hat er 2022 im Metaverse versenkt. Das ist eine absurd hohe Summe, selbst für eines der grössten Tech-Unternehmen der Welt. Die Namensänderung Ende 2021 von Facebook in Meta ist bezeichnend: Zuckerberg gibt sich felsenfest davon überzeugt, dass wir dereinst viel Zeit im Metaverse verbringen und dort nebenbei Werbung konsumieren – wie es die User heute auf Facebook und Instagram tun. Wie lange das dauern soll, bleibt unklar, Zuckerberg spricht von fünf bis zehn Jahren.
Dieser Zeithorizont gefällt der Wall Street überhaupt nicht. Verglichen mit ihrem Höchststand von 378 Dollar im September 2021 ist die Aktie von Meta um über 70 Prozent eingebrochen. Heute wird sie für rund 100 Dollar gehandelt. Dies, obwohl der Tech-Gigant noch immer hochprofitabel ist. Viele Geldgeber glauben nicht an Zuckerbergs Zukunftsvision. Stellvertretend schreibt Brad Gerstner, CEO des Investmentfonds Altimeter, in einem offenen Brief: «Eine Investition von über 100 Milliarden in eine unbekannte Zukunft ist furchterregend, sogar nach den Massstäben des Silicon Valley.» Er fordert, dass Meta sich stattdessen wieder aufs Kerngeschäft und die Entwicklung von künstlicher Intelligenz konzentriert. Überhaupt habe sich der Konzern zu stark aufgebläht und müsse effizienter werden.
Das Problem mit offenen Briefen wie diesen: Sie haben höchstens Symbolcharakter. Mark Zuckerberg hält die Mehrheit der Stimmrechte an seinem Unternehmen. Er ganz alleine kann Metas Kurs bestimmen – auf Gedeih und Verderb. Jedes Jahr versucht der Verwaltungsrat, Zuckerbergs Einfluss einzuschränken. Jedes Jahr überstimmt dieser alle anderen und die Sache ist gegessen. Immerhin adressierte er die Bedenken der Wall Street im letzten Earnings Call im Oktober: «Ich verstehe, dass viele Leute mit unseren Investitionen ins Metaverse nicht einverstanden sind. Aber soweit ich sehen kann, wird es eine sehr wichtige Sache werden. Die Leute werden in zehn Jahren auf diese Zeit zurückblicken und darüber reden, wie wichtig unsere Arbeit war.» Keine Chance, ihn umzustimmen.
Zuckerberg schnallt den Gürtel enger
Ganz kalt zu lassen scheint Zuckerberg der taumelnde Aktienkurs nicht. Anfangs November kündigte er weitreichende Sparmassnahmen an: 11 000 Angestellte werden ihren Job verlieren – das sind 13 Prozent der gesamten Belegschaft. Es ist eine der grössten Entlassungswellen in der Geschichte des Silicon Valley. Dass sie nur für einen gedämpften Aufschrei sorgt, liegt daran, dass Meta sie geschickt kommuniziert hat. Zuckerberg suchte nicht nach Ausreden, sondern übernahm die Verantwortung. Die betroffenen Mitarbeitenden erhalten grosszügige Abfindungen, eine fortlaufende Krankenversicherung für sechs Monate und Unterstützung bei der Jobsuche. Das steht im krassen Gegensatz zu Twitter, wo Elon Musk seine Entwickler öffentlich verunglimpft und mit unpersönlichen E-Mails oder sogar per Tweet feuert. Im Vergleich dazu wirkt Metas Vorgehen überlegter und respektvoller.
Wer jetzt denkt, Mark Zuckerberg sei eingeknickt und investiere weniger ins Metaverse, irrt: Die dafür verantwortliche Abteilung «Reality Labs» scheint grösstenteils von Entlassungen verschont zu bleiben. Es sind andere Divisionen, bei denen der Hammer niedergeht: Die zahllosen Headhunter, die während Corona neue Ingenieure anwarben, sind überflüssig geworden. Das erfolglose Videoanruf-Display «Portal» wird eingestampft. Andere Hardware-Projekte wie zwei Meta-eigene Smartwatches sind ebenfalls gestrichen. Die Entlassungen sind also nicht etwa eine Abkehr von Virtual Reality, sondern ein Versuch, das Unternehmen darauf zu fokussieren. Meta soll laut Zuckerberg «schlanker und effizienter» werden und seine Ressourcen auf wenige Bereiche wie Werbung, Künstliche Intelligenz und das Metaverse konzentrieren.
Dem Meta-CEO bleibt gar keine andere Möglichkeit, als die Flucht nach vorne anzutreten. Facebook und Instagram spülen zwar im Moment noch massig Geld in die Kassen. Doch sie haben ihren Zenit überschritten und sind der Gnade von Hardware-Herstellern wie Apple ausgeliefert. Über Kurz oder Lang muss Meta seine alten Plattformen mit etwas Neuem ersetzen. Und Zuckerberg ist überzeugt, dass die virtuelle Realität seine Rettung ist – nicht zuletzt, weil er dort eine Chance hat, auch die Hardware zu kontrollieren.
Zu viel zu früh auf einem zu wackligen Fundament
Ob die gigantische Wette aufgeht, hängt von drei Faktoren ab:
- Setzen sich Virtual Reality (VR), Mixed Reality (MR) und Augmented Reality (AR) als Technologien durch?
- Haben Metas alte Plattformen einen genug langen Atem, um die «Reality Labs» zu finanzieren, bis das Metaverse profitabel wird?
- Kann sich Meta im VR-Geschäft gegenüber mächtigen Konkurrenten wie Apple behaupten?
Antworten auf diese Fragen sind Spekulation. Ich wage an dieser Stelle eine persönliche Einschätzung:
Die Technologie von VR und MR ist faszinierend. Sollten die Headsets einst leichter und hochauflösender sein, kann ich mir vorstellen, sie regelmässig zu verwenden. Auch das Konzept von AR ist bestechend – Brillen, durch die du ohne Umweg über Kameras die physische Welt siehst und mit virtuellen Elementen anreichern kannst. Meta forscht aus beiden Richtungen und glaubt, dass VR, MR und AR irgendwann in einem Gerät verschmelzen. Neben der Hardware braucht es auch ein Ökosystem an Software, das momentan noch viel zu klein ist. Nochmal eine andere Sache ist die Moderation von Content in virtuellen Welten – Belästigungen und Beleidigungen erhalten im Metaverse eine völlig neue Dimension. Genau wie in der physischen Welt braucht es Gesetze, Kontrollmechanismen und Konsequenzen für fehlbares Verhalten. Der Weg zu all dem erscheint mir weit. Sehr weit.
Zu weit. Nur ein Jahr nach der Umbenennung von Facebook in Meta steht das Unternehmen schon massiv unter Druck. Zuckerberg hat bestimmt mit Gegenwind gerechnet, als er die riesigen Investitionen ins Metaverse ankündigte. Dass der Wert seiner Firma an der Börse um über 70 Prozent einbricht, dürfte er aber nicht erwartet haben. Sollte er in Zukunft neues Kapital benötigen, könnte das schwierig werden. Gleichzeitig sinkt die Beliebtheit von Facebook und Instagram, die Werbeeinnahmen auf den Plattformen gehen zurück. Zusätzlich kämpft Meta mit Apples App Tracking Transparency und der wachsenden Konkurrenz von TikTok. Ich glaube deshalb nicht, dass Zuckerberg genug lange das nötige Geld verbrennen kann, um VR, MR und AR profitabel zu machen. Zumal die Entwicklung nur langsam voranschreitet. Das Quest Pro ist keine Revolution gegenüber dem zwei Jahre alten Quest 2. Die virtuelle Social-Media-Plattform Horizon Worlds hat so viele Bugs, dass Meta die eigenen Mitarbeiter zwingen muss, sie zu benutzen.
Und dann wäre da noch die andere Bedrohung, die sich gerade auftürmt: Apple wird 2023 Gerüchten zufolge ein eigenes MR-Headset auf den Markt bringen. CEO Tim Cook sieht in der Technologie grosses Potenzial, ist aber vorsichtiger als Mark Zuckerberg. «Ich bin mir nicht sicher, ob eine durchschnittliche Person überhaupt weiss, was das Metaverse ist», sagte er kürzlich. Ich glaube, dass Apples Strategie besser aufgehen wird als die von Meta. Statt kopflos All-in zu gehen, hat Tim Cook eine stabile Basis aufgebaut und sein Unternehmen in Sachen Datenschutz besser positioniert. Das Vertrauen der Kunden ist in der virtuellen Realität besonders wichtig. Ich muss in meinem Meta Quest Pro Headset regelmässig Apps Zugriff auf Kameras und Mikrofone gewähren. Es wird mir mulmig beim Gedanken, dass Meta diese Daten verwaltet – die Firma, die in der Vergangenheit nicht gerade für Respekt vor meiner Privatsphäre bekannt war. Hätte ich eine Alternative von Apple, würde ich diese bevorzugen.
Move fast and break yourself
Ich könnte selbstverständlich Unrecht haben mit meiner Einschätzung. Vielleicht schafft Mark Zuckerberg es allen Kritikern zum Trotz, sein Metaverse zu etablieren und die Konkurrenz auszustechen. Er ist sich Skepsis gewohnt, kaum jemand hat anfangs an Facebook geglaubt. Genau dieser Erfolg macht ihn jedoch auch taub für berechtigte Zweifel an seiner Zukunftsvision. Der Meta-CEO scheint in seiner ganz eigenen virtuellen Realität zu leben, in der es dafür keinen Platz gibt. Er ist besessen von der Idee, die nächste Evolution des Internets zu schaffen und zu beherrschen.
Zuckerbergs blinder Eifer ist gefährlich. Einerseits für die Gesellschaft, falls Meta Erfolg hat. Mich schaudert es beim Gedanken daran, dass die virtuelle Realität in der Hand eines einzelnen Mannes liegen könnte – eine Technologie, die weit tiefer in die Intimsphäre von Menschen eindringt als jede andere vor ihr. Andererseits für Meta, falls die Wette nicht aufgeht. Es ist ein grosses Risiko, in einem so frühen Stadium so viel Geld in eine neue Technologie zu investieren. Am Ende könnte Mark Zuckerberg zum Märtyrer werden. Eine treibende Kraft, die das eigene Unternehmen opfert, um VR, MR und AR voranzubringen – nur um schliesslich von anderen Firmen wie Apple überholt zu werden. Das rücksichtslose Motto «Move fast and break things» könnte Meta letztlich das eigene Genick brechen. Ich werde in zehn Jahren nach Palo Alto pilgern und nachsehen, ob jemand das Meta-Schild am Hacker Way umgedreht hat.
Titelfoto: Keystone / Andrew Caballero-ReynoldsMein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.