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WWDC 2023 am 5. Juni: Diese Produkte könnte Apple vorstellen
von Samuel Buchmann
In knapp einer Woche wird Apples Augmented Reality Headset erwartet. Tim Cook versucht damit aus dem langen Schatten von Steve Jobs zu treten, doch die Hürden für einen Erfolg sind hoch.
Apple sucht nach «The Next Big Thing», dem nächsten grossen Ding. Etwas, das in zehn Jahren das iPhone ablösen könnte. Nächste Woche bekommt die Öffentlichkeit ein Resultat dieser Suche zu sehen: Es gilt als nahezu sicher, dass Apple an der World Wide Developers Conference (WWDC) am 5. Juni sein Augmented Reality Headset vorstellen wird.
Die Kalifornier steigen damit in eine für sie neue Produktkategorie ein. Die letzten vergleichbaren Wagnisse waren die Apple Watch 2015 und das iPad 2010. Beide erreichten anfangs nur ein Nischenpublikum, haben sich aber über die Jahre zu verlässlichen Goldeseln entwickelt. Gelingt dieses Kunststück mit dem Headset, das angeblich «Reality Pro» heisst, erneut? Vielleicht. Ich bin skeptisch. Noch nie schien die Wahrscheinlichkeit des Undenkbaren grösser: ein Apple-Produkt, das floppt.
Apple hat ein Klumpenrisiko-Problem. Mehr als die Hälfte des Umsatzes stammt aus dem Smartphone-Bereich. Das iPhone ist mit Abstand Apples grösster Erfolg und hat die Computersparte längst überholt. Noch läuft die Geldmaschine wie geschmiert – doch wie lange? Jahr für Jahr wird es schwieriger, der Kundschaft Innovationen zu bieten. Früher oder später erreicht die Umsatzkurve des iPhones ihren Scheitelpunkt. Dann braucht Apple eine neue Produktsparte mit Wachstumspotenzial.
Macs und iPads werden es nicht richten, dort ist der Markt gesättigt. In den letzten Jahren versucht Apple deshalb zwei Dinge: Erstens bauen sie ihre kostenpflichtigen Dienste wie Apple TV+ und Apple Music aus. Die Service-Sparte ist quasi ein wirtschaftliches Perpetuum Mobile. Bist du einmal in Apples komfortablem, aber geschlossenem Ökosystem gefangen, ist es schwierig auszubrechen. Doch die Services hängen von der Relevanz von Apples Geräten ab. Ohne die nahtlose Verbindung von Hard- und Software sind die Dienste austauschbar.
AR is the next big thing, and it will pervade our entire lives.
Zweitens muss deshalb neue Hardware her. Schon lange sieht CEO Tim Cook in Augmented Reality (AR) die Schnittstelle der Zukunft zwischen Mensch und Maschine. «Ich glaube, AR ist das nächste grosse Ding. Es wird unser gesamtes Leben durchdringen», sagte er 2020. Weil AR-Technik mit transparenten Brillen aber noch nicht weit genug ist, muss Cook vorerst mit Displays in einem Headset vorlieb nehmen. Nach langer Entwicklungsphase ist es nächste Woche wohl so weit: Apples erstes Headset erblickt das Licht der Welt. Damit es ein Erfolg wird, müssen die Kalifornier aber verschiedene Hürden überwinden.
Die erste grosse Unbekannte ist der praktische Nutzen von VR und AR. Wozu sollen sich die Leute überhaupt ein solches Headset aufsetzen? Alle möglichen Antworten kommen mit einem Aber:
Zur Hardware des Reality Pro gibt es bereits Gerüchte in Hülle und Fülle. Das Headset soll demnach hochauflösende 4K-Displays, verschiedene Tracking-Systeme und einen Apple Silicon Chip haben. Apple dürfte der Konkurrenz technisch überlegen sein. Niemand sonst kann gleichzeitig eigene Hardware und Software in ähnlicher Qualität entwickeln und aufeinander abstimmen. Wenn die Kalifornier eines können, ist es Design. Ich erwarte deshalb ein durchdachtes, bequemes und nutzerfreundliches Produkt. Das ist besonders wichtig bei einem Gerät, das für viele User eine komplett neue Erfahrung ist.
Trotz mutmasslicher technischer Überlegenheit: Zaubern kann Apple nicht. Die Stromversorgung funktioniert angeblich per externem Akku. Das macht die Brille leichter, bringt aber ein nerviges Kabel mit sich. 4K-Displays klingen gut und sind besser als bei der Konkurrenz. Doch auf das gesamte Sichtfeld des menschlichen Auges gerechnet, ist die Pixeldichte selbst damit gering. Ein normaler Bildschirm ist viel schärfer. Und selbst wenn Apples Headset aussergewöhnlich bequem wäre: Nichts ist bequemer als kein Headset.
Alle vier oben beschriebenen Anwendungen stehen und fallen mit der technischen Umsetzung. Nach dem anfänglichen Wow-Effekt stellen sich unbequeme Fragen. Warum sollte ich einen Film in einem Headset schauen, wenn er auf meinem TV besser aussieht? Wieso soll ich mir zum Arbeiten ein Headset aufsetzen, wenn das Gewicht auf Dauer anstrengend ist? Wieso soll ich in VR zocken, wenn mir schlecht wird und ich mich in einem Kabel verheddere? Hier muss Apple entweder schlagende Argumente liefern oder der restlichen Industrie technisch Lichtjahre voraus sein.
Technik auf dem neuesten Stand ist teuer. Gemäss Schätzungen sollen alleine die Komponenten des Reality Pro 1500 US-Dollar kosten. Wie viel Marge Apple danach veranschlagt, ist umstritten. Die meisten Prophezeiungen gehen von einem Endpreis von 3000 Dollar aus. Ein paar Leaker behaupten hingegen, Apple sei ausnahmsweise nicht auf so hohe Profite aus. Ähnlich wie Meta könnte auch Cupertino die Hardware als Verlustgeschäft akzeptieren – mit dem Ziel, die Technologie so schneller unter die Leute zu bringen. Gewinne wären erst langfristig das Ziel.
Selbst in diesem Fall: Ein Preis unter 2000 Dollar ist so gut wie ausgeschlossen. Damit wird das Reality Pro für die meisten Konsumentinnen und Konsumenten unerreichbar teuer sein. Es bleibt einem Nischenpublikum vorbehalten, das sich ein solches Gerät leisten kann und will. Die taiwanesische Marktforschungsfirma TrendForce sagt einen Absatz von weniger als 100 000 Stück voraus. Zum Vergleich: Sonys PSVR2 verkaufte sich in den ersten sechs Wochen 600 000 Mal.
Damit überhaupt jemand so viel Geld für ein Headset ausgibt, braucht es passende Apps. Apple beginnt in Virtual und Mixed Reality bei null. Angeblich sollen zwar iPad-Apps auf dem xrOS genannten Betriebssystem laufen, das ist aber höchstens ein Trostpflaster. Um das neue Ökosystem in Schwung zu bringen, muss Apple Software-Studios an Bord holen. Nicht umsonst wird das Produkt an einer Entwicklerkonferenz präsentiert.
Reicht der Hype um die Marke als Lockvogel? Viel mehr als die Hoffnung auf eine rosige Zukunft von Mixed Reality kann Apple den Studios nicht bieten. Eine Basis von Usern gibt es für xrOS noch nicht. Und die Plattform wird wie immer nicht kompatibel zu anderen Herstellern sein. Wer also eine App für das Apple Headset entwickelt, kann sie danach nicht ohne Zusatzaufwand auch für Geräte von Meta, HTC oder Sony verkaufen.
Anders als bei früheren Produkten ist Apple nicht der einzige grosse Fisch im Teich. Mark Zuckerberg verbrennt weiterhin Milliarden für seine Vision der virtuellen Realität. Das Meta Quest Pro zeigt, wohin die Reise gehen soll – wirkt aber unfertig und überzeugte zum Startpreis von 1500 US-Dollar niemanden. Selbst nach einer massiven Preissenkung auf mittlerweile 1000 Dollar bleibt die Nachfrage gering.
Schon im Oktober plant Meta den Launch des Quest 3. Es wird wohl höchstens einen Fünftel des Apple Reality Pro kosten und damit zugänglich sein. Erste Hands-On-Berichte klingen positiv. So soll das Quest 3 schneller sein als sein Vorgänger und sich der Technologie des teuren Quest Pro bedienen. Meta hat einen Vorsprung, was verfügbare Apps anbelangt – allerdings auch ein Imageproblem.
Im Gaming-Bereich verkauft Sony mit der PSVR2 ein ausgereiftes Headset. Es ist zusammen mit der nötigen Playstation 5 zwar teurer als das günstige Meta Quest 2. Aber selbst so kostet es wohl nur einen Drittel des kommenden Apple-Geräts. Für Spielerinnen und Spieler wird Sony damit das attraktivere Angebot behalten. Und wer sein Headset an einem PC anschliessen möchte, hat mit Geräten von Valve und HTC noch mehr Auswahl.
Noch selten herrschte so viel Unsicherheit beim Launch eines Apple-Produkts. In den letzten Jahren schien sich alles in Gold zu verwandeln, was der Tech-Riese aus Cupertino anfasst. Doch diesmal ist die Nervosität selbst intern gross, wie die New York Times berichtete. Für CEO Tim Cook steht viel auf dem Spiel. Schon lange spricht er davon, dass Augmented Reality unser aller Leben verändern wird. Das Reality Pro ist seine Chance zu zeigen, dass Apple unter ihm zu grossen Innovationen fähig ist – und er nicht nur Steve Jobs’ Vermächtnis verwaltet.
Kann das Reality Pro diese Erwartungen erfüllen? Ist es für Apple der erhoffte Einstieg in eine neue Produktsparte mit Zukunft? Vieles spricht dagegen. Das Headset muss technische Grenzen überwinden, sich gegen namhafte Konkurrenz behaupten und trotz fehlendem Ökosystem einen exorbitanten Preis rechtfertigen. Die grösste offene Frage ist aber: Hat überhaupt jemand auf die Technologie gewartet?
There is no chance that the iPhone is going to get any significant market share. No chance.
Ganz abschreiben sollte man das Reality Pro trotz aller Zweifel nicht. Es wäre nicht das erste Mal, dass Apple alle Skeptiker eines Besseren belehrt. 2007 sagte der damalige Microsoft-Chef Steve Ballmer: «Es besteht keine Chance, dass das iPhone einen nennenswerten Marktanteil gewinnt. Keine Chance.»
Titelbild: Ian ZelboMein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.