Hintergrund

Nikon bringt ein neues Mirrorless-System. Doch zuerst bringen wir noch einen Abgesang auf die Nikon 1

David Lee
6.8.2018

Nikon lanciert bald ein spiegelloses Kamerasystem. Dabei hatte der Konzern ja bereits eines. Doch das System Nikon 1, 2011 mit grossem Trara angekündigt, ist auf leisen Sohlen wieder verschwunden. Die Geschichte eines Flops und was Nikon dieses Mal (vermutlich) besser macht.

Ich sehe Nikon als typisch japanische Firma. Konservativ, solid und qualitätsversessen. Sie plant und denkt langfristig. Sie verbessert ihre Produkte in kleinen Schritten. Sie optimiert selbst Dinge, die nahezu perfekt sind, immer weiter. Seit 1959 verwenden die Japaner das gleiche Objektiv-Bajonett und bieten damit eine beeindruckende Rückwärtskompatibilität.

Eine Nikon F von ca. 1962. Die Objektive von damals funktionieren auch an heutigen Kameras. Foto: wikimedia.org/s58y, CC BY 2.0
Eine Nikon F von ca. 1962. Die Objektive von damals funktionieren auch an heutigen Kameras. Foto: wikimedia.org/s58y, CC BY 2.0

Unternehmen, die so ticken, sind stark in der Evolution und hassen die Revolution. Wenn etwas geschieht, was die ganze Branche über den Haufen wirft und eine schnelle Reaktion gefragt ist, dann sind sie oft überfordert.

Vor etwa zehn Jahren brachten Panasonic (2008) und Olympus (2009) die ersten Micro-Four-Thirds-Kameras heraus. Damit begann bei den Digitalkameras eine neue Ära – die Zeit der spiegellosen Systemkameras. Auch wenn damals die elektronischen Sucher dem optischen Bild der SLRs noch unterlegen waren, konnte Nikon die neue Technologie nicht ignorieren. Zu offensichtlich waren die Vorteile: handlichere Geräte, bessere Videofunktion, kein Verwackeln durch Spiegelschlag und superschnelle Serienbilder, da kein Spiegel ständig bewegt werden muss.

Nikon musste reagieren. Im Herbst 2011 brachte der Konzern das spiegellose System Nikon 1 mit zwei Kameras, vier Objektiven und weiterem Zubehör heraus. Alles mit kompakten Abmessungen und in hübschem Design in mehreren Farben. Der Name «1» spielt auf die Sensorgrösse an: Die Diagonale beträgt 1 Zoll. Deutlich weniger als bei der Konkurrenz. (Update: wie von Leser Urswuergler angemerkt, ist die tatsächliche Diagonale deutlich kürzer als 1 Zoll. Die Angabe bezieht sich auf die Aussengrenze der Sensor-Einheit.)

Wo lag der Fehler?

Eigentlich fand ich die Idee, auf einen kleinen Sensor zu setzen, gar nicht schlecht. Kompaktheit war anfangs das Hauptargument der Spiegellosen. Ein kleiner Sensor ermöglicht neben winzigen Kameras auch kleine Objektive. Das Problem des Bildrauschens würde mit den Jahren immer geringer werden. Langfristige Denkweise eben. Der Sensor war zudem noch deutlich grösser als bei den damaligen Kompaktkameras.

Die J1 war zusammen mit der V1 die erste Nikon 1. Sie war auf minimale Abmessungen getrimmt und kam in zahlreichen Farben.
Die J1 war zusammen mit der V1 die erste Nikon 1. Sie war auf minimale Abmessungen getrimmt und kam in zahlreichen Farben.

Aber das Konzept war irgendwie nicht ganz zu Ende gedacht oder zu Ende entwickelt. Es war unklar, was die Nikon 1 sein sollte und wen sie ansprechen soll. Sie war ein bisschen alles und nichts. Als Kompaktkamera-Ersatz war sie zu umständlich und zu teuer. Als DSLR-Ersatz war sie zu wenig leistungsfähig und bot anfangs zu wenig manuelle Steuerelemente. Die Kamera wäre durch den hohen Crop-Faktor und die hohe Geschwindigkeit perfekt gewesen für Action & Wildlife, aber ein starkes Tele kam erst 2014 auf den Markt. Der Adapter für bestehende Objektive ermöglichte zwar auch extreme Tele-Effekte, bot aber nur einen verkrüppelten Autofokus, der für Action nicht zu gebrauchen war.

Die Nikon 1 V1 war kompakt, hatte einen Sucher, eine schnelle Serienbildfunktion und eine Art Daueraufnahme, um keinen Moment zu verpassen. Für die ambitionierten Fotografne fehlten aber mechanische Bedienelemente.
Die Nikon 1 V1 war kompakt, hatte einen Sucher, eine schnelle Serienbildfunktion und eine Art Daueraufnahme, um keinen Moment zu verpassen. Für die ambitionierten Fotografne fehlten aber mechanische Bedienelemente.

Dazu kamen Entwicklungen, die Nikon nicht oder zu spät vorausgesehen hatte. Sony brachte mit der RX100 eine Kompaktkamera mit ebenso grossem Sensor, aber geringeren Abmessungen und ohne umständliche Objektivwechsel. Gleichzeitig wurden Smartphone-Kameras so gut, dass der Kompaktkameramarkt kollabierte. Dadurch brachen Einnahmen weg, die der Konzern hätte ins Nikon-1-System investieren können, und es brach auch der Markt weg, von dem sich die Nikon 1 qualitativ abgehoben hätte.

Die Nikon 1 war auch ein Marketing-Desaster. Beim Launch versuchte Nikon, die Methoden von Apple zu kopieren und inszenierte die totale Begeisterung. Der Funke sprang aber nicht auf die anwesenden Journalisten über. Das mag an den Produkten selbst gelegen haben, vielleicht aber auch daran, dass der vorgeführte Enthusiasmus nicht zum Image und zur jahrzehntelangen Firmenkultur von Nikon passte und irgendwie aufgesetzt wirkte.

Nikon selbst strahlte nach kurzer Zeit selbst keine Begeisterung mehr aus. Das hatte Folgen. Wer sich in ein neues System einkauft, will sicher sein, dass der Hersteller an das System glaubt und es weiterentwickelt. Doch seit mehr als drei Jahren hat Nikon keine neue Nikon-1-Kamera herausgebracht. Bei der höherwertigen V-Reihe und den Objektiven sind es über vier Jahre. Die Produkte waren immer schlechter lieferbar, was darauf hindeutete, dass sie gar nicht mehr produziert wurden. Mit anderen Worten: Nikon 1 ist seit 2016 faktisch tot, auch wenn der Hersteller das nie offiziell bestätigt hat.

Zweiter Versuch: dieses Mal ist alles anders

Wer früher stirbt, ist länger tot – aber jetzt, nach ewig lange brodelnden Gerüchten ist offiziell, dass Nikon ein neues spiegelloses System bringt. Dieses Mal mit einem richtig grossen Sensor (vermutlich Vollformat, aber auch Mittelformat ist nicht ausgeschlossen). Das System wird einen neuen Objektivanschluss haben, das riesige bisherige Objektivsortiment kann also nur mit einem Adapter verwendet werden. Gut möglich aber, dass dieser Adapter sehr leistungsfähig ist – anders als der für die Nikon 1.

Wir wissen noch nicht genau, was Nikon am 23. August vorstellt. Doch eines ist klar: Mit dem zweiten Anlauf in der spiegellosen Welt setzt Nikon auf Qualität. Die Ausrichtung ist eindeutig: Es wird keine bunten Lifestyle-Geräte mehr geben, was eh nie so richtig zu Nikon gepasst hat. Wahrscheinlich wird das eine Linie für Profi-Fotografen, ähnlich wie das Sony-Vollformat-Lineup. Das Unternehmen will nicht mehr die eigenen Spiegelreflexkameras schützen, indem es etwas «Minderwertiges» herausbringt. Wenn schon, eher umgekehrt: Die Spiegelreflexkameras werden als kostengünstige Alternative zu den teureren und moderneren Spiegellosen im Sortiment bleiben. Im Teaser-Video heisst es, Nikon bereite sich mit dem neuen System auf die nächsten 100 Jahre vor. Das Bekenntnis zur Langfristigkeit haben wir also schon.

Mit dem neuen System hat Nikon zwar erneut den Konkurrenten Sony an der Backe, oder Fujifilm im Fall einer Mittelformatkamera. Es wird auch dieses Mal nicht einfach, aber der Schritt scheint vernünftig, sogar notwendig. Der ewige Konkurrent Canon hat bekanntlich 1987 das eigene Objektivsystem komplett über Bord geworfen und begann wieder bei Null. Es war ein hohes Risiko, das sich aber ausgezahlt hat, weil so der Weg frei wurde für ein modernes System.

Titelbild: flickr.com/othree

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