Onyx Cinema LED: Making-Of einer Kino-Revolution
Revolution oder Gimmick? Im Zürcher Sihlcity-Kino steht das erste Cinema LED Europas. Ich war dabei und habe das neue Kino getestet. Und einen Blick hinter die Kulissen geworfen.
Onyx Cinema LED – der Zusatz Onyx ist erst später dazugekommen – ist seit acht Wochen und einem halben Dutzend Filmen im Multiplex-Kino Arena Cinemas in Zürich im Einsatz. Videoproducer Manuel Wenk und ich kehren an den Ort des Geschehens zurück, wo wir zusammen mit Andy W. Bohli, CEO der Zürcher Firma Imaculix, einen exklusiven Blick hinter die Kulissen wagen.
Was ist denn nun die Kino-Revolution?
März 2018. Edi Stöckli, Besitzer des Sihlcity-Kinos, sagt: «Cinema LED stellt sehr wahrscheinlich ein Meilenstein in der Entwicklung des Kinos dar.»
Das gefällt der Schar von internationalen Journalisten, die sich in Saal 5 eingefunden haben, um bei der Europapremiere des neuen Wunderdings dabei zu sein. Alle wollen sehen, was es mit der selbsterklärten Kino-Revolution auf sich hat. Auch wir. Die grosse LED-Wand zeigt «Pacific Rim Uprising», und wir sind baff. Nicht wegen dem Film, denn der ist schlecht, sondern wegen der Bildqualität.
Zwei Monate später.
26 Millionen Leuchtdioden, verteilt auf ungefähr zehn Mal fünf Metern – also 455 Zoll oder 1155 Zentimeter – sorgen für echte 4K-Auflösung. Das entspricht 4096×2160 Pixeln. Drei Dioden – Rot, Grün und Blau – setzen sich zu einem einzigen Pixel zusammen. HDR-fähig ist der Riesenbildschirm auch noch. Zudem ist er der weltweit erste LED-Screen seiner Art, der 3D kann. Cinema LED ist im Grunde genommen ein Fernseher. Nur etwa achtmal so gross.
Da stellt sich die Frage: Warum ist das eine Revolution im Kino, wenn du das schon seit Jahren zu Hause haben kannst?
Andy Bohli, der uns beim Blick hinter die Kulissen begleitet, erklärt das so: «Zum ersten Mal seit der Erfindung des Kinos vor 123 Jahren wird das Bild nicht mehr von hinten auf die Leinwand geworfen. Stattdessen entsteht es direkt auf der Projektionsfläche selbst». Dann fügt er noch an: «Licht entfällt als Übertragungsmedium.»
Seine Firma, Imaculix, ist, zusammen mit Samsung und JBL, dafür verantwortlich gewesen, das LED-Kino von Korea aus in die Schweiz zu bringen. Alles im Auftrag von Patron Edi Stöckli, der schon mit dem 4DX-Saal Pioniergeist und ein gutes Gespür für den Geschmack des Schweizer Publikums bewiesen hat. 4DX, das ist der Saal, wo du dank multisensorischen Effekten wie Sturmböen, rauchige Explosionen und Hebe- und Kippbewegungen mitten ins Geschehen katapultiert wirst.
«Die Farben sind brillanter, und das Bild schärfer», sagt Bohli, «das kommt dem 3D-Effekt zu Gute, weil dadurch störende Doppelkanten-Effekte passé sind.»
Einmal alles neu, bitte
Für Edi Stöckli hat früh festgestanden, dass nicht nur die Bildfläche neu gemacht werden muss. «Das Publikum soll das bestmögliche Filmerlebnis kriegen. Das beinhaltet nicht nur das Bild, sondern auch Ton und Komfort», erzählt Bohli aus den frühen Gesprächen mit dem Kino-Patron.
Das war im September 2017. Aber erst Anfang Februar – fünf Wochen vor dem Launch-Event – hat der Bau begonnen. Verschiedene Spieler haben das Spielfeld betreten und das Projekt Cinema LED in Rekordzeit umgesetzt. Von Samsung ist der Bildschirm gekommen, JBL hat für die richtige Tonkulisse gesorgt und Imaculix zeichnete sich für den gesamten Umbau verantwortlich. Gerade auf der Zürcher Firma hat viel Verantwortung gelastet.
«Wir sind komplett über die Bücher gegangen», so Bohli, «im ganzen Saal sind die Sessel rausgerissen worden. Wir haben die Architektur komplett auf den Kopf gestellt und alles neu gemacht. Von Grund auf.»
Stell dir das ruhig bildlich vor. Es gibt keinen Lichtkegel mehr, der über die Köpfe der Zuschauer hinweg das Bild auf die Leinwand projiziert. Die hinterste Sitzreihe verschiebt sich nach oben. Dadurch können die restlichen Reihen viel steiler abfallend gebaut werden. Das bedeutet nicht nur eine bessere Sicht, sondern auch zusätzliche Sitzreihen – eine wirtschaftliche Überlegung. Zusätzliche Sitzreihen bedeuten zusätzliche Ticketeinnahmen.
Beim Umbau des Kinos gab es keine Erfahrungswerte, auf die zurückgegriffen werden konnte. Deshalb ploppten viele unerwartete Probleme auf. Wie sollen Bild und Ton gesteuert werden? Wo werden die Datenserver, auf welche die Spielfilme liegen, platziert? Wie werden Kabelwege in bereits bestehende Infrastruktur verlegt?
Ein Beispiel: Filme werden in der Regel digital abgespielt. Der Techniker startet Programme mit Werbung, Trailer und Film ab einem Riesenrechner, auf dem die Daten gespeichert sind. Das Kino kann die Filme aber nicht für immer speichern: Die Verleihfirma legt mit einem speziellen digitalen Schlüssel fest, wann und wie oft ein Film gezeigt werden darf.
So weit so gut.
Der Rechner steht aber im Projektionsraum. Dort werden sämtliche Projektoren für alle Säle gesteuert. Weil Cinema LED gar keinen Projektor hat, gibt's also nichts im Projektionsraum, womit der Rechner verbunden werden kann. Der Spielfilm muss auf anderem Wege vom Projektionsraum zum LED-Bildschirm gelangen.
«Wir haben also Glasfaserkabel in die bestehende Kabelinfrastruktur verlegt, um so die Daten vom Gross-Server zum LED-Bildschirm zu transportieren», sagt Bohli.
Gäbe es nur LED-Bildschirme im Kino, würde der Projektionsraum gänzlich wegfallen. Denn der meiste Platz geht für die riesigen Projektoren samt Kühlanlage drauf. Die Server selber sind nur so gross wie dein Kleiderschrank, und der Kinobauer könnte sie locker in einem klimatisierten Abstellraum verlegen. Zum Vergleich: Der aktuelle Projektionsraum im Arena Cinemas ist laut meiner Schätzung etwa 30 Meter lang und fünf Meter breit.
Eine neue Ton-Technologie für den neuen Saal
In der Regel befinden sich direkt hinter der Leinwand die drei wichtigsten Lautsprecher: Left, Center und Right. Also Ton von Links, Rechts oder von der Mitte kommend. Die Lautsprecher, die du im Saal siehst – und die gibt’s auch nur dort, wo Surround-Sound vorhanden ist – sorgen bloss für die seitliche Beschallung. Der Ton von den drei mittleren Lautsprechern hingegen wird direkt durch die Leinwand hindurch auf die Zuschauer gespielt.
Das Problem mit einer LED-Wand ist, dass da kein Ton durchkommt.
Die Lösung: Die JBL-Ingenieure nutzen die LED-Wand als Reflektionsfläche für den Ton. Sculpted Surround nennt sich diese Technologie. Zwei zusätzliche Lautsprecher werfen von der Seite den Ton auf den Bildschirm, von wo er zurück auf die Zuschauer reflektiert wird. JBL geht sogar noch weiter und überlistet das Gehör: Kommt etwa ein brummendes Raumschiff links ins Bild hinein, wird der Ton so auf den Bildschirm geworfen, dass er auch von links aus auf die Zuschauer reflektiert wird.
Was treibt eigentlich Hollywood?
118 Jahre lang haben die grossen Studios auf Celluloid gefilmt. Plötzlich sind innert weniger Jahren viele neue Technologien dazugekommen, und jede davon bringt Veränderungen mit sich, auf die Hollywood nicht scharf ist. So hat die Digitalisierung des Kinos anfangs der Jahrtausendwende grossen Einfluss auf die gesamte Produktionskette der Branche genommen. Angefangen mit der Filmaufnahme bis hin zur Archivierung, Distribution und Vorführung im Kino.
Bohli zeigt Verständnis: «Kaum haben die Betreiber auf die digitale Projektionstechnik umgerüstet, kommt nun dieses Cinema LED. Das finden natürlich nicht alle so toll.»
Kein Wunder. Der Bau eines Cinema-LED-Saals kostet viel – ein Betrag im einstelligen Millionenbereich pro Saal – und nicht alle Kinobetreiber wollen oder können sich solch hohe Investitionssummen leisten. Andy Bohli ist sich dennoch sicher, dass die Filmindustrie den Zug nicht verpassen darf. Auch im Heimkino entwickeln sich neue Technologien immer schneller. Das beginnt mit den beiden konkurrierenden Fernseh-Technologien OLED und LCD, geht weiter über 4K-Auflösung und endet noch lange nicht bei HDR oder HFR. Serienmacher können aus dem Vollen schöpfen, weil Standards wie HDR10 oder Dolby Vision – anders als in Hollywood – etabliert sind. Tatsächlich kriegst du Zuhause technisch gesehen das bessere Bild als im Kino.
«Das sollte nicht sein», sagt Andy Bohli entschlossen, «Kino ist ein Event, und wer zwanzig Franken für ein Ticket ausgibt, soll auch den bestmöglichen Filmgenuss bekommen». Dann fügt er noch an: «Im Kino sollen die Zuschauer mindestens das gleiche Filmerlebnis bekomen wie Zuhause. Das ist der grösste Gewinn, den Cinema LED dem Kino bringt.»
Mir wird klar, dass Typen wie Andy Bohli oder Kinobesitzer Edi Stöckli mehr sind als bloss Entrepreneure und Geschäftsmänner. Sie lieben Kino und leben das Medium jede einzelne Sekunde ihres Lebens. Sie sind ambitioniert und scheuen keine noch so grosse Investition, um Kino-Neuheiten aus Asien nach Europa zu bringen – vor allen anderen.
Technisch gesehen ist der Bildschirm tatsächlich in der Lage, jene Bildwelten, die wir von Zuhause kennen, in den Kinosaal zu transportieren. In der Theorie jedenfalls.
Momentan ist es so:
- Die Kino-Revolution wertet vorhandenes Material «nur» auf
- Hollywood produziert noch keine Inhalte, die auf die Stärken der LED-Technologie aufbaut
- Stattdessen werden Spielfilme zwar in 4K-Auflösung und mit HDR-Abstimmung gefilmt...
- ... danach werden sie aber für den Kinovertrieb auf 2K-Auflösung herunterskaliert – das HDR entfällt
- Erst fürs Heimkino werden die Inhalte via 4K-Blu-ray mit der ursprünglich vollwertigen Qualität vertrieben
«Solange die grossen Studios nicht mitziehen und Cinema LED als die Technologie der Zukunft erklären, werden Kinos nur zögernd auf LED-Bildschirme hochrüsten», sagt Bohli. Er erklärt uns, dass kein Filmstudio oder Verleihfirma für eine Hand voll Säle Datendisks mit entsprechend hochwertigem Quellmaterial vertreiben würde. Es sei denn, das Publikum verlangt danach.
«Das war damals bei 4DX genau gleich. Der Bau des Europaweit ersten 4DX-Saals wurde zunächst belächelt. Nun ziehen viele Betreiber nach.» Bohli muss es wissen.
Auch bei Cinema LED bleibt er dahingehend zuversichtlich, dass die Technologie das beste Bild böte, das es momentan im Kino zu sehen gäbe, und dass das Publikum deswegen vermehrt danach fragen werde. Sie sei zudem dank 4K-Auflösung und HDR-Unterstützung auch über mehrere Jahre hinweg zukunftsfähig.
Wie gut ist die Revolution denn wirklich?
Ich habe es Anfangs schon angedeutet. Beim Launch-Event von Cinema LED im März sind Dominik und ich dabei gewesen. Gesehen haben wir «Pacific Rim Uprising». Ein furchtbarer Film. Aber die Technik – genial.
Wie gut die Revolution im Kino wirklich ist, möchte ich aber von Andy Bohli hören. Er erzählt uns eine Anekdote über eine junge Familie, die während einer Vorführung in der Pause gebeten wurde, den genau gleichen Film im Cinema-LED-Saal weiterzuschauen. Die Familie wusste natürlich nichts von der LED-Technologie. Eine Stunde später kommt sie aus dem Saal raus und fragt begeistert:
«Ist das diese 3D-Technologie, die man ohne Brille sehen kann?»
Wir lachen, und sind uns einig: Ja, Cinema LED sieht toll aus. Bohli gibt aber zu, dass der Unterschied vor allem dann auffällt, wenn man als Zuschauer den direkten Vergleich hat. Sprich: Gehst du heute Abend im Saal 5 der Sihlcity-Arena einen Film schauen, wird die grosse, schwarze Wand die vermutlich grösste Änderung sein, die dir auffällt. Das wird sich aber spätestens dann ändern, wenn Hollywood mitzieht und entsprechendes Filmmaterial auch für Cinema LED produziert.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»