«Pacific Drive» im Test: Liebe, Schweiss und Klebeband
In «Pacific Drive» ist das Auto die Hauptfigur. Damit erkunde ich eine mysteriöse Sperrzone und verliebe mich mit jedem Kilometer und jeder Gefahr mehr in meinen treuen Kombi.
Tosender Regen peitscht gegen die Fenster. Die Scheibenwischer mühen sich vergeblich gegen die sintflutartigen Regenfälle ab. Das Warnsystem meines Autos piepst und blinkt wie verrückt. Blitze krachen auf mein Dach. Die radioaktive Strahlung hat jegliche Höchstwerte überschritten. Draussen geht die Welt unter, aber ich bekomme es kaum mit. Meine Augen sind auf den Horizont fixiert. Dort, wo eine apokalyptische, gleissend orange Energiesäule in den Himmel ragt. Sie ist mein Weg aus der Zone.
Ein Blick auf den Tacho verrät mir, dass mein Tank beinahe leer ist. Es muss reichen. Ich trete das Gaspedal durch und rase in halsbrecherischem Tempo durch den Wald. Gerade als ich einen Hang runterdrifte, blinkt auch noch die Batterieanzeige auf und meine Scheinwerfer verabschieden sich. Mist. Die Stossstange hält nicht mehr viele Kollisionen auf. Da erreiche ich endlich das Ende des stockdunklen Waldes. Die Energiesäule ist direkt vor mir. Ich rase mitten in sie hinein, alles wird schwarz… Augenblicke später rolle ich erleichtert auf meine Garage zu. Mein Auto und ich ächzen, respektive seufzen solidarisch. Wir haben einen weiteren Ausflug in die Zone erfolgreich überlebt.
Alles beginnt von der Garage aus
«Pacific Drive» ist ein Survival-Spiel, das zum Grossteil aus Ressourcen sammeln, Fahren und Reparieren besteht. Die meiste Zeit bin ich im Auto unterwegs. Bevor es zu der schweisstreibenden Irrfahrt kommt, beginnt das von Ironwood entwickelte Spiel mit einer lauschigen Spritztour durch den Wald. Aus dem Radio trällert gemütlicher Indie Rock. Die Bäume rascheln im Wind. Bis mich urplötzlich ein riesiges Portal einsaugt und in der Olympic Exclusion Zone wieder ausspuckt. Wer ich bin und was ich hier mache, verrät das Spiel nicht.
Die Zone ist ein abgesperrter Bereich, irgendwo in den USA. Sonderbare Dinge sollen hier vor sich gehen. Was genau, hat die Öffentlichkeit nie erfahren. Die Regierung hat das Gebiet grossflächig abgesperrt. Die Stimmen, die mich bei meiner Ankunft über das Radio begrüssen, wissen offenbar besser Bescheid. Sie lotsen mich zu einer verlassenen Garage, in der ich als allererstes mein ramponiertes Auto wieder fahrtüchtig mache. Damit beginnt das eigentliche Spiel.
Die Geschichte wird primär über Funksprüche erzählt. Die 78-jährige Oppy, der die Garage gehört, sowie Tobias und Francis, die beiden Hobby-Zonen-Experten, melden sich regelmässig zu Wort. Sie leiten mich immer tiefer in die Zone und erklären, was es damit auf sich hat – wenn sie sich nicht gerade zanken. Offenbar ist in der Vergangenheit etwas vorgefallen, was die zwei Parteien in Streithähne verwandelt hat. Die Dialoge sind auf Englisch und erstklassig vertont. Von der ersten Minute an reissen sie mich mit und malen eine wundersame Geschichte über ein fehlgeleitetes Experiment. Daneben finde ich regelmässig Audiokassetten der Investigativ-Journalistin Chiaki, die Lücken in den Geschehnissen rund um die Olympic Exclusion füllen.
Von der Garage aus starte ich Expeditionen in die Zone. Dort sammle ich Ressourcen und bringe sie, zusammen mit meinem Auto, in einem Stück zurück. Warum das keine Selbstverständlichkeit ist, liegt an den Gegebenheiten der Zone. Vieles erinnert mich an Tschernobyl aus der «Stalker»-Reihe. Das Wetter spielt verrückt, vielerorts herrscht gefährliche Strahlung und Anomalien sind an der Tagesordnung. Die treten in unterschiedlichsten Formen in Erscheinung. Der «Dosenöffner» ist eine riesige Kreissäge, die am Boden entlang fährt. Damit macht mein Auto lieber keine Bekanntschaft. Das «Wackelwrack» ist ein vermeintlich unscheinbares Autowrack. Nur, dass dort Zylinder aus dem Boden schiessen und den Boden unter Strom setzen. Beim «Poller» kannst du dir wohl vorstellen, was passiert. Dort versperren plötzlich auftauchende Gesteinsformationen den Weg.
Eine Prise Simulator
Die Zone ist in drei Teile gegliedert. Je näher ich der Mitte komme, desto schlimmer werden die Bedingungen und Anomalien. Besonders anfangs sind mein Auto und ich äusserst anfällig für jegliche Konfrontationen.
Ich tue alles, damit mein treuer Kombi oder Station Wagon, wie sie in den USA heissen, in Schuss bleibt. Schliesslich sind wir ein Team. Das geräumige Fahrzeug kennen wir hierzulande primär aus älteren Hollywoodstreifen. Das Spiel ist passenderweise im Jahre 1998 angesiedelt. Anfangs ist die Karre eine ziemliche Klapperkiste. Mit Ressourcen aus der Zone kann ich nicht nur die Garage mit neuen Geräten ausstatten, sondern auch mein Auto pimpen. Das ist bitter nötig, will ich nicht nach jeder Fahrt durch das Unterholz einen Reifen wechseln.
«Pacific Drive» spielt sich fast wie ein Simulator. Autoteile werden manuell an- und abgeschraubt. Das zusätzliche Flutlicht auf dem Dach baue ich zuerst an der Werkbank und trage es danach zum Fahrzeug. Dort montiere ich es auf die vorher installierte Halterung. Gleiches gilt für die konstant anfallenden Reparaturen. Mit einer Art Superkleister flicke ich Risse in der Karosserie. Das Abdichtkit macht löchrige Reifen wieder flott. Und das Elektriker-Kit lässt den Scheinwerfer wieder in voller Kraft erstrahlen.
Mein Auto gleicht mit zunehmenden Upgrades mehr und mehr dem DeLorean aus «Back to the Future». Mein Auto kann ich auch dekorieren. Beispielsweise mit einem leuchtenden Planeten auf der Gangschaltung, einem wackelnden Hund mit Raumanzug auf dem Armaturenbrett oder bunten Folien für die Karosserie. Nach ein paar Stunden fühle ich mich mit meinem Auto mehr verbunden als mit irgendeinem tierischen Begleiter in einem anderen Game – vielleicht mit Ausnahme zu Roach/Plötze aus «The Witcher 3».
Pimp my Car
Für Verbesserungen brauche ich neben passendem Material den entsprechenden Bauplan. Den schalte ich an der Fertigungsmaschine frei. Diese benötigt ebenfalls Ressourcen sowie Anker-Energie. Letztere gibt es wie alles in der Zone bei sogenannten Stabilisatoren. Die tun genau das, was ihr Name vermuten lässt. Wenn ich einen Anker in Form einer Kugel entferne, destabilisiert sich die Zone und negative Vorkommnisse nehmen zu. In der Zone dienen Anker ausserdem dazu, das Portal zu öffnen, das mich zurück zur Garage teleportiert. Dabei öffnet sich der eingangs erwähnte vermeintliche Todesstrahl. Gleichzeitig zieht sich rasant ein Kreis zusammen, der wie in jedem Battle Royale dringendst gemieden werden sollte.
«Pacific Drive» enthält eine enorme Menge an Fahrzeug-Upgrades und auch ein paar für den Fahrer, also mich. Dazu zählen Dinge wie ein grösserer Rucksack oder ein Null-Leiterpullover. Der Pulli erhöht den Schutz vor Stromschlägen um 30 Prozent. Keine Ahnung, was da für Zauberwolle zum Einsatz kommt. Beim Auto tausche ich als erstes Sommerreifen gegen stabilere Offroad-Pneus. Die Verschalung erhält ein Eisenplatten-Upgrade. Die Motorhaube schirme ich ab, damit sie Stromschläge absorbiert. Auf den Seiten montiere ich Gestelle für Windturbinen und Blitzableiter. Und eine Ersatzbatterie packe ich auf den umgebauten Rücksitz.
Ich habe selten ein Spiel erlebt, bei dem Upgrades so befriedigend sind. Es ist das pure Gegenteil von inkrementellen Verbesserungen der Trefferchance im einstelligen Prozentbereich wie bei «Suicide Squad: Kill the Justice League». Jedes Upgrade ist nützlich und ich will jedes freischalten. Auch, weil die Arbeit am Auto so viel Spass macht.
Verschrotten und sammeln
Sind mein Fahrzeug und ich bereit für die Zone, wähle ich auf einer Karte mein Ziel aus. Ich starte immer von der Garage aus. Abgesehen von einigen Autobahn-Abkürzungen, muss ich von Knotenpunkt zu Knotenpunkt reisen. Auch Orte, die ich bereits bereist habe, kann ich nicht überspringen. Auf der Karte sehe ich den Zustand des Knotenpunkts, ob dort gerade ein Sturm tobt oder wie hoch das Ressourcen-Angebot ist.
Ressourcen finde ich in Gebäuden, die ich teilweise erst mit der Brechstange aufbrechen muss, in Kisten, Rucksäcken oder indem ich Fahrzeuge und Elektronikgeräte verschrotte. Dafür nutze ich den, wie könnte er anders heissen: Verschrotter. Eine Art Motorsäge, die aus Autotüren, Pneus und Scheinwerfern Kleinholz macht. Die Einzelteile sammle ich von Hand oder mit einem praktischen Staubsauger auf. Es gibt eine ganze Reihe von Werkzeugen, um Ressourcen zu bergen, die genau wie mein Fahrzeug mit der Zeit kaputt gehen.
Das Spielprinzip klingt repetitiv. Aber der Loop motiviert mich immer wieder aufs Neue. Auch, weil sich jede Fahrt spannend anfühlt. Ständig liegt mir die Angst im Nacken, mein Glück überzustrapazieren.
Fahren mit Gefühl
Das Fahren selbst ist weit entfernt von Spassracern wie «Forza Horizon». Wie bei den Reparaturen sind viele einzelne Handgriffe nötig. Zuerst öffne ich mit einem Tastendruck die Fahrertür und steige ein. Dann visiere ich den Zündschlüssel an und starte den Motor. Danach wähle ich den Schaltknüppel und lege den Gang ein. Scheinwerfer, Scheibenwischer, Innenlicht, Radio, alles steuere ich von Hand. Sogar die Lautstärke kann ich direkt am Radio verstellen. Genial. Die direkte Bedienung durch das Anvisieren ist dringend nötig. Fast jede Taste am Controller ist bereits doppelt belegt. Anfangs überfordert die Steuerung heillos, genau wie die Menüstruktur. Nach ein paar Stunden fühlen sie sich genau wie das Auto mehr und mehr vertraut an.
Trotzdem rase ich nicht wie der Henker durch die Zone. Dafür sind die Strassen zu beschädigt, Anomalien zu häufig und das Wetter ist unberechenbar. Meist tuckere ich gefühlvoll durch die verlassene Landschaft. Ich spiele am PC mit dem Dualsense-Controller der PS5. Während mich die adaptiven Trigger in den meisten Spielen nach ein paar Stunden nerven, erhöhen sie hier das Fahrgefühl um ein Vielfaches. Durch das strenge Betätigen der Trigger-Tasten fühlt sich das Auto genauso behäbig an, wie ich es von einem mit Klebeband und Leim zusammengehaltenen Kombi erwarte. Und die feinen Vibrationen, wenn etwas mit meinem Auto nicht stimmt oder sich eine Gefahr nähert, machen ein ohnehin nervöses Spiel noch schweisstreibender.
«Pacific Drive» wirkt vielleicht wie ein Sonntagsausflug-Simulator, aber ständig wittere ich Gefahr. Nicht erst, wenn es heisst, die Räder in die Hand nehmen und so schnell wie möglich zum Rettungsportal rasen. Auch wenn das Wetter nicht verrückt spielt und ich bloss von Haus zu Haus fahre – auf der Suche nach Ressourcen. Nie weiss ich, ob eine Drohne mein Auto entführen will oder ob mir eine unerwartete Panne einen Strich durch meine Pläne macht. Auch falsche Entscheidungen können einen erfolgreichen Run schnell beenden. Soll ich aussteigen und bei einem verlassenen Auto Benzin abpumpen und dabei riskieren, vom Todeskreis erwischt zu werden? Oder fahre ich weiter und laufe Gefahr, dass mir im entscheidenden Moment die Karre absäuft?
Die konstante Unruhe entsteht durch die einzigartige Stimmung des Spiels. Die Zone ist voll mit mysteriösen Bauten und Maschinen. Und überall stehen «Touristen». Diese Anomalien sehen aus wie erstarrte Menschen, schauderhafte Zeitzeugen des Moments der Katastrophe. Komme ich ihnen zu nahe, explodieren sie.
Dank Unreal Engine 4 sieht «Pacific Drive» unfassbar schön aus. Mal schimmern matt die Sonnenstrahlen durch die Bäume und tauchen den Nebel in ein rotes Meer. Dann giesst es wie aus Kübeln, Blitze schlagen ein und ich renne zu meinem wohlig warmen Auto, dessen Scheinwerfer mich schon aus der Ferne begrüssen. Die Lichteffekte sind eine absolute Wucht. In solchen Momenten vergesse ich fast, dass der verstrahlte Säureregen mich und mein Auto verätzen und ich schleunigst die Kurve kratzen sollte.
Ein Ausflug will geplant sein
Das Survival-Spiel «Pacific Drive» wird der Genre-Bezeichnung gerecht. Wenn ich, respektive mein Auto, den Löffel abgibt, werde ich zwar verdankenderweise zurück zur Garage teleportiert. Nur ist mein Auto dann fast schrottreif und die gesamte Beute ist verloren – zumindest fürs Erste. Im Stile eines Soulslike, kann ich an den Ort meines Ablebens zurückkehren und aus einem ausgebrannten Wrack die Ressourcen bergen.
Um zu verhindern, dass meine schönen Upgrades der Zone zum Opfer fallen, bereite ich mich möglichst gut auf meine Ausflüge vor. Das fängt beim Autoservice inklusive Volltanken, Batterieladen und allfälligen Reparaturen an. Nebenbei entwickelt das Fahrzeug mit der Zeit Macken. Das können harmlose sein, wie dass sich das Radio plötzlich einschaltet. Es geht aber auch problematischer, wie wenn das Lenkrad plötzlich herumreisst oder die Türe aufspringt. Diese Macken dokumentierst du am besten genau. Nur so kannst du in der Garage mit dem Analysegerät herausfinden, wie die Fehler zu beheben sind. Dabei musst du vier Zustände korrekt auswählen. Danach spuckt das Gerät die Lösung aus. Sei dir einfach bewusst, was wirklich ein Fehler ist und was by Design. Einmal dachte ich, einen neuen Fehler komplett entschlüsselt zu haben, nur um zu merken, dass der Gang, der immer automatisch reinspringt beim Einsteigen, kein Fehler ist, sondern das Parkupgrade, das ich installiert habe.
Fazit: Ich liebe mein Schrottmobil
«Pacific Drive» ist genau das Spiel geworden, das ich mir erhofft habe. Die Olympic Exclusion Zone ist ein geheimnisvolles Sperrgebiet, das mich neugierig macht, jeden Winkel zu entdecken. Die Geschichte ist durch tolle Sprecherinnen und Sprecher mitreissend erzählt. Visuell ist «Pacific Drive» ein Traum. Daran, wie die Scheinwerfer meines treuen Kombis die Nacht duchschneiden, kann ich mich nicht sattsehen.
Das Auto ist auch der Star des Spiels. Vom angenehm ruppigen Fahrverhalten, über die unzähligen Upgrades, die ich allesamt von Hand installiere, entsteht eine richtige Beziehung. Die vielen manuellen Interaktionen erinnern an einen Simulator und sind entscheidend dafür, dass sich das Auto lebendig anfühlt. Ich liebe es, dass ich beim Starten den Zündschlüssel drehen muss, oder die Innenbeleuchtung anschalten kann oder zum Beifahrersitz schauen muss, wenn ich die Karte sehen will.
Selbst über Pannen freue ich mich insgeheim, weil ich dann ein neues Werkzeug herstellen darf. «Pacific Drive» ist eine Power Fantasy für Hobby-Mechaniker. Egal, wie zerstört mein Auto ist, ich krieg’s wieder flott. Und mit jedem neuen Figürchen, das ich mir aufs Armaturenbrett stellen kann oder den Aufkleber, der meine Kofferraumtüre schmückt, wächst mir das Auto mehr ans Herz. Dass es mir ab und zu ebendiese an den Kopf knallt, deute ich als unbeholfenen Liebesbeweis. So kenne ich es schliesslich von meinen Kindern.
Der Schwierigkeitsgrad ist ebenfalls genau richtig. Die Zone ist bedrohlich, aber das Spiel ist nie unfair. Scheitere ich doch mal, wartet in der Garage wie durch ein Wunder immer wieder ein neues Autowrack zum Verschrotten oder eine magische Mülltonne spuckt ein paar Ersatzteile aus.
Wenn ich etwas bemängeln müsste, dann höchstens, dass die Radiostationen eine grössere Musikauswahl brauchen. Der Soundtrack bietet die perfekte Untermalung für einsame Roadtrips. Aber nach über 20 Stunden kann ich einige Songs nicht mehr hören.
Ansonsten ist «Pacific Drive» eine unvergessliche Reise, die du dir nicht entgehen lassen solltest.
«Pacific Drive» ist ab dem 22. Februar erhältlich für PC und PS5. Ich habe die PC-Version getestet, die mir von Kepler Interactive zur Verfügung gestellt wurde.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.