Parfümerie «Sava» in Belgrad: «Jede und jeder hat es verdient, gut zu riechen»
Mir war von Anfang an klar, dass ich in Belgrad über Belgrad schreibe. Wenn wir als Team schon bei unseren Kollegen in Serbien zu Besuch sind, soll auch eine Geschichte von dort erzählt werden. In diesem Fall die Geschichte der Parfümerie «Sava», wo man durch einen weinroten Türrahmen direkt ins Jahr 1954 tritt.
Fast wäre ich am kleinen Ladenlokal vorbeigelaufen. Wo eigentlich in gelben kyrillischen Lettern «Sava» stehen sollte, sind an diesem Novembermorgen nur Metallstangen und Netze zu sehen. Die Fassade wird gerade renoviert. Drinnen hingegen hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert. Auf dunklen Holzregalen stehen volle und leere Flakons – transparent und braun –, im Hintergrund läuft Cool Jazz. Zwischen vierzig und fünfzig verschiedene Parfums sind jeweils verfügbar. Jedes einzelne davon wird von Hand und Nase kreiert. «Wir sind die Designer, die aus Essenzen Düfte machen», sagt Nemanja Jovanov, Enkel des Parfümerie-Gründers.
Vom Waisenkind zur geschätzten Nase
Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schliessen Nemanjas Grossvater und dessen Bruder ihre Ausbildung ab und malen sich mögliche Zukunftsszenarien aus, als ein etwas älterer Freund bei den beiden die Liebe zum Parfum weckt. Dieser ist nach dem Ersten Weltkrieg als Waise im französischen Grasse, der Welthauptstadt des Parfüms, gelandet. Schnell stellte sich heraus, dass er eine unglaublich talentierte Nase ist, wodurch er fortan in den besten Destillerien arbeitet. Zurück in Belgrad gibt er dieses Wissen an seine Freunde weiter.
Im Februar 1941 eröffnet der erste Laden der drei an anderer Adresse und unter dem Namen «Đurđevak». Auch während des Krieges bleibt das Geschäft geöffnet – bis auf die Zeit, in der Belgrad selbst umkämpft ist. Für die Parfümerie ist die Nachkriegszeit das grössere Problem. Gemäss Beschlüssen des Antifaschistischen Rats der Nationalen Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ), der ab 1942 gegen die italienische und deutsche Besatzung kämpfte, werden Privatunternehmen nach Kriegsende verstaatlicht. Auch «Đurđevak». Zwischen 1948 und 1954 wird kein Parfüm verkauft.
Doch die Wirtschaft in Jugoslawien stagniert. Gleichzeitig zerwirft sich das Land mit der Sowjetunion. In den 1950er-Jahre werden Reformen eingeleitet, die sich an kapitalistischen Ideen orientieren. Privat geführte Geschäfte werden wieder möglich. So eröffnet die Parfümerie am 15. August 1954 an neuer Adresse und unter neuem Namen – «Sava», benannt nach den beiden Urgrossvätern von Nemjana, nicht nach dem Fluss, der durch Belgrad fliesst – wieder. Grossvater Jovanov kauft sogar einen Teil seines ursprünglichen Mobiliars vom Staat zurück, das bis heute im Laden steht.
Der Duft ist zentral, nicht das Marketing
Auch im Herstellungsprozess hat sich nichts verändert. Über Tage, Monate oder auch Jahre wird ein Duft entweder von Nemanja, seiner Frau oder seinem Vater Nenad entwickelt. Ins Sortiment schaffen es nur diejenigen, die einstimmig als gut empfunden werden. Die Düfte haben dann weder Namen noch ein spezielles Design. «Wir arbeiten mit Zahlencodes und einheitlichen Etiketten, damit nichts vom Geruch ablenkt», erklärt Nemanja, während sein Vater – der Meisterparfümeur – im weissen Kittel ins Ladenlokal kommt, um eine Kundin zu beraten.
Diese Suche nach dem eigenen Duft darf ebenso wenig überstürzt werden wie dessen Herstellung. «Es ist für einen Parfümeur schon fast beleidigend, wenn jemand nach fünf Minuten eine Entscheidung trifft.» Deshalb wird erst einmal etwas geplaudert und Schokolade angeboten. Sie verlangsamt den Prozess und lässt die Kundinnen und Kunden im Laden und im Moment ankommen. «Bei uns gibt’s keine Teststreifen aus Papier und es werden nie mehr als vier Düfte ausprobiert, beides würde das Ergebnis verfälschen.» Am besten sei es, wenn man erst am nächsten Tag zurückkommt, um ein Parfüm zu kaufen. «Dann weiss man, wie sich der Duft entwickelt und vor allem auch wie er auf den Kleidern riecht», sagt Nemanja. Das würden viele vergessen, obwohl er sich dort am längsten hält.
Besser als die Natur selbst
Apropos Haltbarkeit. Ein Parfüm hält Jahre, wenn es vor Wärme und UV-Licht geschützt aufbewahrt wird. Und hinter dem Vorhang, im Büro und Labor der Parfümerie, sind alle Rezepte abgelegt. «Wir können jeden Duft rekreieren, sofern die richtigen Inhaltsstoffe vorhanden sind», sagt Nemanja. Je nach Lage am Weltmarkt seien eher aussergewöhnliche Essenzen wie zum Beispiel das Naturharz Styrax nicht immer verfügbar. Teilweise aber auch einfach nicht gewollt.
Trends gibt es auch in der Parfümerie. Bei «Sava» werden diese aufgegriffen, aber in Massen. «Trends sind meist simpel und uniform, wir aber wollen, dass die Leute Neues ausprobieren, einen Schritt weitergehen.» Hier wird der alte französische Stil gepflegt: Die Inhaltsstoffe sollen nicht erkannt werden. Die Düfte sind zwar natürlich, aber nicht in der Natur vorhanden. «Das ist ähnlich wie bei französischem Essen. Du weisst nicht, was drin ist, aber es schmeckt gut», sagt Nemanja und lacht.
Klingt teuer. Ist es aber nicht. «Wir wollen nicht in diese Luxusecke. Jede und jeder hat es verdient, gut zu riechen.» Und dafür nimmt sich Familie Jovanov gerne Zeit, jede Transaktion läuft persönlich. Einen Onlineshop haben sie nicht. «Wir verkaufen nicht blind.» Deswegen sei eine Dame einmal extra übers Wochenende aus Peking angereist. «In China sind wir ein kleiner Hit, weil wir durch Touristen irgendwie auf TikTok gelandet sind», erzählt Nemanja noch immer etwas ungläubig.
Der Uniformitätsgedanke ist passé
Vor allem junge Leute schätzten Qualität wieder viel mehr als noch vor ein paar Jahren. Dabei habe auch das Internet geholfen – in beide Richtungen. «Informationen können augenblicklich ausgetauscht werden. Wenn du nicht ablieferst, wissen das alle. Wenn du aber ablieferst, dann auch.» Gleichzeitig führten diese Schnelligkeit und dieses Überangebot an sich dazu, dass sich Menschen langsamere, einzigartige Erfahrungen wünschen.
Und deshalb kommen sie in das kleine Ladenlokal in der Belgrader Innenstadt, essen Schokolade und lassen sich mit handgemachten Düften einnebeln. Mit den dunklen Holzregalen, den alten Fotografien und den Flakons aus Kristallglas ist «Sava» wie aus der Zeit gefallen. Und gerade deshalb so modern.
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.