«Persona 3 Reload» angespielt: infernales Teenie-Epos
Das 2006 erstmals erschienene Persona 3 hat einen neuen Anstrich erhalten. Die Formel zwischen Alltagssimulation und Heldenepos funktioniert auch 18 Jahre später. Selbst für einen Neuling wie mich.
Eine Gruppe suizidaler Teenies mit gespaltenen Persönlichkeiten rettet eine japanische Kleinstadt vor Monstern, die mitternachts erscheinen. Mittendrin der Protagonist. Als neuer Schüler an der Highschool werde ich, kaum am Bahnhof angekommen, schon Zeuge des Spuks. In einer meiner ersten Nächte ist das Studentenheim Ziel der Monster. In der ausweglos scheinenden Situation halte ich mir eine Pistole an den Kopf, drücke ab und …
… finde statt meiner letzten Ruhe meine gespaltene Persönlichkeit, die viel mächtiger ist als ich. In zwei kurzen Hieben macht sie kurzen Prozess mit den Störenfrieden. Ab da lebe ich ein Leben zwischen Schule, Nebenjob und Monsterjagd, indem ich mich dem Spezialisierten extrakurrikularen Exekutionssquad (S.E.E.S.) anschliesse.
Die Story von «Persona 3 Reload» ist ein wilder Ritt durch die Adoleszenz des Protagonisten. Es gibt eine mysteriöse Firma, die Böses plant, eine ansteckende Depression, der Schülerinnen und Schüler erliegen und einen Höllenturm, den ich jeweils in der Nacht Etage für Etage erklimme. Das ist genau so verrückt, wie es tönt und für mich als «Persona»-Neuling zunächst schwer verdaulich und verwirrend.
«Coming of Age» trifft auf «Die göttliche Komödie»
Das Geschehen läuft auf zwei Ebenen ab: Während des Tages gehe ich in der Kleinstadt Tatsumi Port zur Schule, treffe Freunde, fröne meinen Hobbys und verdiene Geld als Barista oder an der Kinokasse. Das Dunkle droht nachts. Wie Dante, der in der «Göttlichen Komödie» die neun Höllen hinabsteigt, erklimme ich einen von Schatten bewohnten Turm, der sich um Mitternacht anstelle meiner Schule manifestiert. Treffenderweise heisst dieser Turm Tartarus, angelehnt an die Hölle der griechischen Mythologie, in der Zeus die Titanen und andere Widersacher gefangen hielt. Diese harrten dort unter schrecklichen Qualen ihrem Urteil. Ich kann mich und meine Kumpels zum Glück mittels Teleporter aus der Folterkammer befreien, um am nächsten Tag die Schulbank zu drücken, als wäre nichts gewesen.
Die zwei Ebenen – Alltag und Tartarus – sind nicht nur mittels Teleporter verknüpft. Bei Tageslicht gekaufte Heilmittel aus der Apotheke nützen mir im Höllenturm. Der freundliche Polizist verkauft mir Waffen, obwohl er nicht wirklich weiss, was ich da mit meinen Freunden in der Nacht so treibe. Und am Tag gepflegte Freundschaften stärken unsere multiplen Persönlichkeiten, die namensgebenden Personas, die ich und meine Freunde in der Nacht heraufbeschwören.
In einem komplizierten System sammle ich Charakterkarten, fusioniere sie zu neuen, mächtigeren Helfern und weise ihnen Spezialangriffe und andere Skills zu. Organisiert sind die Karten nach Tarot-Arkana wie «Der Tod» oder «Die Liebenden», was den esoterischen Charakter des Spiels ebenso unterstreicht wie meine Verwirrung darüber.
Alltagstrott
Die Tage, Wochen und Monate in Tatsumi Port laufen immer gleich ab. Am Tag kann ich durch Lernen oder Arbeiten entweder meine Charakterzüge «Mut», «Charme» oder «Wissen» stärken, was mir neue Freundschaften ermöglicht. Diese Freundschaften pflege ich dann in einfachen Dialogen. Da ist etwa ein freches Mädchen, dessen Eltern sich in der Scheidung befinden. Oder der französische Austauschschüler, der gerne Klamotten designt. Oder die sehr verunsicherte Kassiererin des Schülerrats, die es kaum glaubt, dass ein populärer Schüler wie ich Interesse an ihr bekundet.
All diese Interaktionen kosten Zeit, von der ich nicht unendlich viel habe. Der Morgen ist fix mit Schule belegt, ausser sonntags. Nachmittag und Abend stehen zur freien Verfügung. Jede Interaktion lässt die Zeit verstreichen. Daher gilt es immer zu entscheiden, auf was ich am meisten Wert lege. Brauche ich Kohle und gehe arbeiten? Oder levele ich mein «Mond»-Arkana auf, indem ich Zeit mit dem verfressenen Gourmet-König verbringe?
Am Abend schliesslich kann ich in den Tartarus und mich Stufe um Stufe hochkämpfen, bis es irgendwo nicht mehr weitergeht. Neben Gegnern warten dort andere Überraschungen wie Schatztruhen auf mich. Alle rund dreissig Tage (bei Vollmond) öffnet der Weg in die nächsten Levels. So stellt «Persona 3» sicher, dass ich nicht zu schnellen Fortschritt mache. Es führt aber auch dazu, dass ich gleich an den ersten Tagen des Monats alles im Tartarus kurz und klein klopfe, um dann den Rest des Monats meinem Alltag als Schüler nachzugehen. Ab und zu locken mich dann gewisse Sonderaufgaben wieder in den Turm.
Schere, Stein, Papier
Die Kämpfe finden, wie für japanische Rollenspiele typisch, rundenbasiert statt und basieren auf einem Elemente-System. Die Gegnerschaft hat Stärken und Schwächen, welche mir zunächst verborgen bleiben. Ob Feuer-, Luft- oder Eisangriffe am effektivsten sind, erfahre ich erst mit der Zeit und nach einigem Herumprobieren. Später im Spiel erhalte ich die Möglichkeit, die Stärken und Schwächen direkt aufzudecken, was den Frust schmälert.
Für Abwechslung sorgen die verschiedenen Personas, die alle ihre eigenen Kombinationen von Angriffen haben und zwischen denen ich als Protagonist hin und her wechseln kann. Schliesslich kommen noch mächtige Spezialangriffe hinzu, samt schicker Animationen.
Sisyphus im Tartarus
«Persona 3 Reload» braucht viel Geduld. Es dauert lange, bis die Story ins Rollen kommt. Erst nach 20 Stunden sind die wichtigsten Charaktere etabliert und alle Spielmechaniken freigeschaltet. Hier täte etwas mehr Tempo gut. Wenigstens geht das Reisen zwischen Schule, Wohnheim und Einkaufszentrum während des Tages zackig, dank einer geschickten Schnellreiseoption. Im Tartarus ufern die Stockwerke mit der Zeit aus und werden immer umfangreicher, je höher wir steigen. Das ist auch gut so, da die Levels zu Beginn für meinen Geschmack zu kurz geraten sind und das Verhältnis zwischen Kampf und Alltag nicht ausgewogen ist.
Ich muss dazu sagen, dass ich das Spiel noch nicht fertig gespielt habe, dafür hat mir schlicht die Zeit gefehlt. Nach beinahe 30 Stunden bin ich noch nicht einmal in der Hälfte des virtuellen Schuljahres … Die Originalversion hatte schon eine Länge von 80 Stunden, das dürfte bei «Persona 3 Reload» auch hinkommen.
Ein Highlight ist der Soundtrack, der aus groovigen Funkmelodien besteht. Davon kann ich nicht genug kriegen! Die wichtigsten Dialoge sind eingesprochen, entweder auf Englisch oder Japanisch, wobei ich die japanische Sprachausgabe wärmstens empfehlen kann.
Grafisch gewinnt «Persona 3: Reload» keinen Schönheitswettbewerb. Die Animationen wirken oft steif, die Charaktermodelle stehen leblos in der Schule herum. Verwaschene Texturen hat es an jeder Ecke. Das verwundert nicht, war das Spiel 2006 ursprünglich auf der Playstation 2 erschienen. Dem Spielspass tut t das keinen Abbruch.
Fazit
In der göttlichen Komödie erlangt Dante am Ende die Erleuchtung. Diese blieb für mich bei «Persona 3 Reload» aus. Ich mag die Abwechslung, die mir geboten wird. Der triviale Alltag, während dem ich mit meinen Freunden abhänge, hat etwas Beruhigendes. Eine perfekte Vorbereitung für die Nacht, wo ich taktieren und Monster verdreschen muss. Zwischen der heilen Welt und Dantes Inferno zu wechseln wird selbst nach virtuellen Monaten nicht langweilig, da es immer neue Persönlichkeiten und immer stärkere Gegner zu entdecken gibt. Allerdings ist der Anfang dieser Teenie-Saga zäher als der Kaugummi, der unter der Schulbank klebt. Bis die Story Fahrt aufnimmt, dauert es gut und gerne 20 Stunden. Abzug gibt es für die teilweise verwaschene Grafik, Bonuspunkte für den Soundtrack. Eine gute Neuauflage eines Klassikers und für Fans der Serie bestimmt Pflicht. Wer Zeit und Sitzleder hat, kann bedenkenlos zugreifen.
«Persona 3 Reload» ist ab dem 2. Februar 2024 für PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S, , PC und im Gamepass verfügbar. Für den Test habe ich eine Testversion vom Hersteller erhalten.
Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.