Raytracing-Bestandesaufnahme: Rohrkrepierer oder Wein, der noch reifen muss?
Über ein Jahr ist es her, seit Nvidia mit der RTX-2000-Grafikkartenserie Echtzeit-Raytracing auf den PC gebracht hat. Obwohl immer mehr Spiele die Technologie unterstützten, ist das Angebot an Raytracing-Games noch überschaubar. Aber das könnte sich bald ändern.
Ich laufe mit Jesse Faden einen Gang im Oldest House entlang. Links von mir trennt eine Glaswand Büroräume ab. Ich sehe Jesses Spiegelbild und gehe näher. Das Licht und der Schatten fallen realistisch auf ihren Körper. Selbst die Knarre im Spiegelbild reflektiert Licht und Schatten. Krass, so gut kann Raytracing aussehen. Blöd nur, gehört dieses Beispiel aus dem Spiel «Control» zu den Ausnahmen.
Was ist Raytracing?
Bei Raytracing werden verschiedene Strahlen von einem Algorithmus ausgesendet, um die Sichtbarkeit von Objekten in einem bestimmten Punkt eines Raumes zu ermitteln. So soll eine realistische Beleuchtung auf dem Bildschirm dargestellt werden.
Genaueres zu Raytracing findest du in folgendem Artikel.
Ein holpriger Start
Am 20. August 2018 hat Nvidia die RTX-2000-Serie vorgestellt. Hauptaugenmerk richtete der Hersteller auf Raytracing. Obwohl die Technologie in den Demos atemberaubend aussah, verschlug es den meisten eher wegen den Preisen den Atem. Das High-End-Modell RTX 2080 Ti kostete über 70 Prozent mehr als der Vorgänger GTX 1080 Ti und die war mit 1199 US-Dollar definitiv kein Schnäppchen.
Der Vorwurf an Nvidia: Der Branchenprimus könne bei den Preisen mangels Konkurrenz schalten und walten wie er wolle und nutze seine Marktdominanz aus. Raytracing alleine rechtfertige den Preis nicht und sowieso sei die Technologie nicht marktreif. Hinzu komme, dass der Leistungszuwachs zur Vorgängergeneration nicht gross genug sei. Nvidia verkaufe mit Echtzeit-Raytracing ein Luftschloss.
Nvidia hatte zu Beginn nicht nur mit diesen Vorwürfen zu kämpfen: Zum Verkaufsstart am 20. September 2018 war noch kein Raytracing fähiges Spiel erhältlich. «Battlefield 5» machte im November 2018 den Anfang. In dem Spiel werden aber nur die Reflexionen mit Raytracing gerendert.
Auch in der Folge blieben Games mit Raytracing Mangelware. Einige Spiele boten das Feature nicht bei Release oder strichen es ganz, wie «Assetto Corsa Competizione». Bei «Shadow of the Tomb Raider» dauerte es ein halbes Jahr – bis März 2019 –, bis Raytracing mittels Patch implementiert wurde. Bei diesem Game werden die Schatten mit Raytracing gerendert.
Einen anderen Weg geht «Metro Exodus»: Hier werden die Beleuchtungen mit Raytracing gerendert. Immerhin konnten Gamer beim dritten Teil der «Metro»-Serie bereits bei Release im Februar 2019 vom Feature profitieren.
Bei den drei genannten Games sehen die Effekte toll aus, aber sie haben eine grossen Einfluss auf die Performance. Bei «Battlefield 5» sind’s im obigen Video mit Raytracing rund 70 Prozent weniger FPS als ohne.
Zurzeit sind folgende Games mit Raytracing verfügbar:
«Call of Duty: Modern Warfare» Echtzeit-Schatten mit Raytracing
«Control» Echtzeit-Raytracing von Reflexionen, Kontaktschatten, indirekte diffuse Beleuchtung und DLSS
«Metro Exodus: The Two Colonels DLC» mit Beleuchtungseffekten
«Metro Exodus» Umgebungsverdeckung in Echtzeit mit Raytracing und gestreute globale Beleuchtung und Nvidia DLSS
«Shadow of the Tomb Raider» Echtzeit-Schatten mit Raytracing und Nvidia DLSS
«Battlefield V» Echtzeit-Reflexionen mit Raytracing und Nvidia DLSS
«Quake II RTX» Reflexionen, Lichtbrechungen, Schatten Ambient Occlusion und globale Beleuchtung
«Stay in the Light» mit Schatten- und Reflexionseffekten
Diese kommenden Games sollen Raytracing unterstützen:
«Minecraft» mit Echtzeit-Raytracing von Reflexionen, Schatten und globale Beleuchtung
«Cyberpunk 2077» bisher mit Ambient-Occlusion- und Diffused-Illumination-Effekten gezeigt
« SYNCED» Echtzeit-Raytracing von Reflexionen und Schatten
«Dying Light 2» mit Global-Illumination-Effekten
«Watch Dogs: Legion» mit Reflexionseffekten
«Vampire: The Masquerade – Bloodlines» Echtzeit-Reflexionen mit Raytracing
«Sword and Fairy 7» mit Schatten- und Reflexionseffekten
«Control» zeigt, was möglich ist
Im August, ein Jahr nachdem Nvidia die RTX-2000-Serie vorgestellt hat, erschien «Control». Das Game implementiert Raytracing bis jetzt am besten und ausführlichsten. Gleich an fünf Punkten setzt es an: Reflexionen, transparente Reflexionen, indirekte Beleuchtung, Kontaktschatten und Schutt (Debris). Das Game sieht echt Hammer aus. Wenn du mit den höchsten Raytracing-Einstellungen relativ flüssig spielen willst, musst du aber mindestens eine RTX 2080 Super dein Eigen nennen: Auf unserer Testbench habe ich in 1440p und den anderen Einstellungen auf den höchsten Presets um die 60 FPS.
Damit die verhältnismässig gute Framerate möglich ist, musst du DLSS aktivieren – ein Feature, das wie Raytracing mit der Turing-Generation kam. Bei der Kantenglättung kommen Deep-Learning-Algorithmen zum Tragen. DLSS soll die Recheneinheiten weniger belasten als andere Anti-Aliasing-Technologien. Es benutzt eine tiefere Auflösung und rechnet sie dann künstlich hoch. Dadurch werden Ressourcen frei, die eine höhere Framerate ermöglichen. Obwohl «Control» nicht das erste Game ist, dass DLSS hat, ist es das erste Game, das die Option für geringere Auflösungen als 1440p bietet.
Wo steht Raytracing heute?
Es gibt nach wie vor wenig Games, die Raytracing unterstützen. Aber, die die das Feature besitzen, sehen beeindruckend aus. Nvidia mischt mittlerweile auch selbst mit. Mit «Quake II RTX» liefert das Unternehmen den ersten eigenen Raytracing-Titel ab. Und es sollen weitere folgen. Mit «Cyberpunk 2077» und «Minecraft» erhalten zwei Erfolgsgaranten Raytracing.
Ja, die Karten, allen voran die RTX 2080 Ti, sind auch über ein Jahr nach Release noch teuer. Aber: Irgendwann muss jemand mit einer neuen Technologie anfangen. Und Innovationen kosten. Man kann von Nvidia halten was man will; der Vorwurf, dass der Branchen-Primus nicht innovativ ist, gilt aber nicht. Nvidia hat sich getraut, etwas Neues zu wagen. Dass dem Unternehmen ein rauer Wind entgegen weht, ist klar. Neue Technologien haben es immer schwer. Das war mit dem Buchdruck, dem Fernseher und auch dem Computer so.
Echtzeit-Raytracing steckt noch in den Kinderschuhen. Bis Games so aussehen wie Animationsfilme wird es noch ein paar Jahre dauern. Raytracing in Filmen hat mit dem ersten «Shrek» angefangen. Von diesem bis zu «Toy Story 4» war es ein langer Weg und das dürfte auch bei Echtzeit-Raytracing in Games so sein.
Mit der neuen, Raytracing fähigen Konsolengeneration werden noch mehr Spiele herauskommen, die das Feature unterstützen. Wenn auch Nvidias Konkurrent AMD auf den Zug springt, wird sich die Technologie endgültig durchsetzen – und das haben wir Nvidia zu verdanken.
Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.