«Resident Evil»: Ein Spiel, das mich und eine ganze Generation geprägt hat
«Resident Evil» hat Horrorspiele massentauglich gemacht. Dieses Jahr feiert der Kulthit seinen 25. Geburtstag. Selbst nach dieser langen Zeit weiss ich noch genau, wie meine erste Begegnung mit dem Spiel ablief.
Racoon Forest 1998. Dichter Nebel hängt über dem Wald. Von weitem ist eine Rauchsäule zu sehen. Unheimliche Musik untermalt die Szenerie. Die S.T.A.R.S-Spezialeinheit ist auf der Suche nach ihren verschollenen Kamerad:innen. Plötzlich wird es hektisch. Schnelle Schnitte zeigen blutige Reisszähne, zerfetzte Körper und angsterfüllte Gesichter. Ein zähnefletschendes Monster greift an. Es wird geschrien und geballert, was das Zeugs hält.
Bereits das Liveaction-Intro von «Resident Evil» fährt mir heftig ein. Heute wirkt es wie die B-Movie-Verarschung eines Primarschülers. 1996 bin ich jedoch ein 14-jähriger Hosenscheisser und «Resident Evil» verströmt den unwiderstehlichen Reiz des Verbotenen. Das Spiel ist ab 18 Jahren freigegeben und von allem, was ich auf dem Pausenplatz höre, ist es das gruseligste Game aller Zeiten.
Alles beginnt mit einer gemoddeten Playstation
Ich spiele damals primär am PC. Meine Favoriten heissen «Duke Nukem 3D», «Quake» oder «Super Mario 64» für den Nintendo 64. Das ändert sich, als mein älterer Bruder eines Tages mit einer modifizierten Playstation und unzähligen Spielen nach Hause kommt. Auf einer dieser selbstbeschrifteten CDs stehen die beiden viel bedeutenden Worte:
«Resident Evil».
Was genau mit dem Titel gemeint ist, wird mir auch mit dem gelben Langenscheidt-Wörterbuch nicht klar. Aber Evil bedeutet böse, im Spiel geht es um Zombies – mehr muss ich nicht verstehen. Ausserdem habe ich als jüngerer Bruder ohnehin nur Mitnutzrecht an der Playstation und muss mich hinten anstellen. Aber nach diesem dramatischen Intro ist mir das grad recht.
Das eigentliche Spiel beginnt, nachdem sich die Überbleibsel der S.T.A.R.S.-Spezialeinheit mit letzter Not in ein prunkvolles Anwesen retten können. Übrig geblieben sind gerade mal Albert Wesker, Chris Redfield und Jill Valentine. Die letzten beiden sind die spielbaren Charaktere. Als pubertierende Teenies ist klar, auf wen die Wahl im Hause Rüegg fällt.
Diese Fratze vergesse ich nie
Die für damalige Verhältnisse superbe Grafik beflügelt meine Fantasie. Was hat es mit diesem Anwesen auf sich? Welche Geheimnisse verbergen sich hinter diesen Türen und was ist aus meinen Kameraden geworden? Den ersten Hinweis darauf finden mein Bruder und ich zwei Räume weiter. Es ist eine der ikonischsten Szenen der Game-Geschichte. «Resident Evil» wird mit fixer Kamerperspektive gespielt. Daher wissen wir nie, wo wir hinrennen und was auf uns lauert. So auch am Ende dieses Korridors.
Als wir um die Ecke biegen, folgt eine Zwischensequenz. Wir sehen eine Person, die über einer anderen kauert. Hier werden keine Beatmungsübungen gemacht. Das machen schmatzende Geräusche und eine rote, auslaufende Blutlache klar. Im selben Moment dreht die kauernde Person langsam ihren Kopf. Die Kamera zoomt nahe heran: Ein modriger Zombie starrt uns mit seinen leblosen Augen an. Diese Fratze werde ich nie vergessen. Zeit, um uns von dem Schock zu erholen, bleibt nicht. Der Zombie schlurft auf uns zu. Die träge Steuerung in Verbindung mit der fixen Kamera macht jede Monsterbegegnung zu einem Adrenalin geladenen Duell. Wir verballern fast ein ganzes Magazin bis der Zombie endlich zu Boden stürzt. Schon wollen wir entspannt ausatmen, da steht das Pixelmonster plötzlich wieder auf. Erst nach drei weiteren, wertvollen Patronen bleibt der Zombie endlich liegen und eine zweite rote Blutlache gesellt sich zur ersten. Da hat uns das Spiel ganz schön erwischt.
«Resident Evil» ist voll solcher Schockmomente. Wenn ich vom Gang mit den Hunden rede, weiss jede:r Spieler:in, wovon ich rede: In einem Moment ist es ein normaler Gang, frei von jeglicher Bedrohung und eine sichere Verschnaufpause. Im nächsten springen zwei mutierte Hunde durchs Fenster und jagen mir den Schrecken meines Lebens ein.
Wer versteckt all diese Kurbeln und Edelsteine?
«Resident Evil» besteht aber längst nicht nur aus Action und Horror. Ungewöhnlich waren damals auch die vielen Rätsel, die es zu lösen gab. Eine unverschlossene Türe ist eine Seltenheit. Weil durchtrainierte Mitglieder der S.T.A.R.S.-Spezialeinheit gewöhnliche Holztüren selbst mit einem Granatwerfer nicht bezwingen können, ist Gehirnschmalz gefragt.
Mal müssen wir einen Edelstein, der in einem Buch versteckt ist, als Auge einer Statue einsetzen. Ein anderes Mal müssen wir mit einer Kurbel, die wir in einer Geheimschublade gefunden haben, ein Gittertor öffnen. Schon damals frage ich mich, wie die Umbrella Corporation überhaupt etwas auf die Reihe kriegt. Die besagte Corporation ist das absolute Böse im Spiel und für den Zombie-Ausbruch verantwortlich. Müsste die nicht die ganze Zeit damit beschäftigt sein, irgendwo irgendwelche Edelsteine und Schlüssel zu verstecken?
Schnell kommen wir nicht vorwärts in «Resident Evil». Dafür kennen wir das Anwesen durch das ständige Hin- und Herlaufen bald wie die Rückseite der Kellogg’s-Smacks-Schachtel von. Auch, weil nur in bestimmten Räumen gespeichert werden kann – in solchen mit einer Schreibmaschine.
Damit nicht genug: Wir brauchen auch noch jedes Mal ein Farbband. Als Quicksave-Verwöhnter «Quake»-Spieler bekomme ich davon Schweissausbrüche. Es sorgt aber auch dafür, dass der Puls mit jedem Schritt weg vom Speicherzimmer höher schlägt. Das macht jeden Ausflug in «Resident Evil» zum Wagnis. Auch, weil gut überlegt sein will, was wir auf die nächste Erkundungstour mitnehmen. Das Inventar ist nämlich auf gerade mal sechs mickrige Felder beschränkt. Waffen, Munition, selbst Schlüssel belegen je einen dieser wertvollen Plätze.
Die kleinen Details bleiben
Dann ist da natürlich noch die Geschichte. Je mehr wir vom Anwesen erkunden, desto schrecklichere Wahrheiten eröffnen sich uns. Da gibt es Katakomben, mit Krokodilen und Riesenspinnen, und Labors mit weiteren gruseligen Experimenten. Ich muss zugeben: So richtig verstehen tue ich die Story nicht. Aber es gibt den T-Virus, Wesker ist ein Verräter und die Umbrella Corporation sowieso des Teufels.
Die kleinen Geschichten prägen sich mir besser ein. Einmal finden wir in einem Schlafzimmer ein Tagebuch. Darin schreibt ein Forscher über gemeinsame Pokerabende mit Kollegen und seiner Arbeit mit den lebenden Experimenten der Umbrella Corporation. Irgendwann beklagt er sich über einen Juckreiz und eine geschwollene Stelle am Rücken. Mir dämmert, dass er sich mit dem T-Virus infiziert hat. Mit Zunahme der Symptome werden die Tagebucheinträge immer wirrer. Im letzten Satz steht schliesslich:
«Itchy itchy Scott came. Ugly face so killed him. Tasty.
Itchy.
Tasty.»
Während mein Bruder und ich das Gelesene verdauen, springt plötzlich ein Zombie aus dem Schrank. Eine Fleischwunde und ein halbes Magazin später liegt das Monster am Boden. Es trägt einen weissen Laborkittel.
Eine Erinnerung fürs Leben
Ich habe «Resident Evil» erst Jahre später als Remake für den Nintendo Gamecube selber durchgespielt. Geprägt hat mich dennoch die PS1-Version, wo ich meinem Bruder nächtelang über die Schulter geschaut habe. Diese einzigartige Mischung aus Horror, Action, Rätsel und verwirrender Geschichte war einfach unvergleichlich. Heute, 25 Jahre später, gibt es mit «Resident Evil: Village» bereits den offiziell achten Teil. Hinzu gesellen sich zahlreiche Ableger und Filmadaptionen. Es ist kein Ende in Sicht. Das ist auch gut so. Vielleicht irrt gerade irgendwo ein 14-Jähriger in einem schmalen Gang in einem fiktiven und unrealistisch grossen Anwesen herum. Nicht ahnend, dass ihm gleich der Schock seines Lebens bevorsteht.
Der Zyklus beginnt von vorne.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.