Hintergrund

Schallplatten-Nostalgie: Hart budgetiert, aber dennoch geil?

Kevin Hofer
29.7.2021

Aus meinen wilden Zwanzigern verstaubt bei mir eine kleine, aber feine Plattensammlung. Eingestaubt, weil ich sie die letzten Jahre mangels Soundanlage nicht hören konnte. Dank aktiven Lautsprechern komme ich jetzt endlich wieder in deren Genuss.

«I wear my scars like the rings on a pimp / I live life like the captain of a sinking ship» rappt Slug von Atmosphere über meine nigelnagelneuen Edifier-Lautsprecher. Ich schliesse meine Augen und werde gedanklich in meine frühen Zwanziger transportiert. Damals versuchte ich mich als DJ und legte Platten auf. «Dreaming 'bout the mic and the money and the ladies / Oh mom, I promise I'm gonna be large». Da fühle ich mich gleich 18 Jahre jünger und sehe mich in meinen Zimmer, wie ich stundenlang Scheibe für Scheibe auf meine Technics MK2-Plattenspieler lege und scratche.

«Tüta-tüta» tönt es plötzlich. Ich öffne die Augen. Das gehört nicht zum Song. Mein 4-jähriger Sohn rennt durch die Wohnung und spielt Ambulanz. «Wähwähwäh» schreit’s aus dem Babyzimmer und meine Frau meint «Stell mal chly lysliger!». Okay, die Musik ist zwar dieselbe, aber das Gefühl von damals verfliegt bei dem Ambiente schnell. Mag auch daran liegen, dass ich anno dazumal nebst Platte für Platte auch eine Tüte nach der anderen gedreht habe.

Aktiv zu neuen Lautsprechern

In den frühen 2000er-Jahren verbringe ich viel Zeit mit Auflegen. Mit dem musikalischen Talent eines Lindwurms ausgestattet, tue ich das mehr schlecht als recht. Viele Jahre und einige Umzüge später ist meine damals stattliche Plattensammlung auf rund 100 Stück geschmolzen. Berechtigterweise, denn ausser dem Plattenspieler habe ich mein ganzes Equipment verkauft. Die Platten verstaubten immer in einer Ecke des jeweiligen Wohnzimmers – ausser um gut auszusehen und Besucher zu beeindrucken waren sie sinnlos.

Nach unserem letzten Umzug Ende Juni fasse ich den Entschluss, meinem Plattenspieler wieder Leben einzuhauchen. Ich werde alt, nostalgisch und will mich nochmal wie Anfang Zwanzig fühlen. Oder anders ausgedrückt: Ich habe sowas wie eine verfrühte Midlife-Crisis.

Anfang Zwanzig hätte ich mir einfach Verstärker und Lautsprecher gekauft. Ende Dreissig muss ich das erst mit meiner Frau besprechen. In unserem Haushalt gilt: Wenn etwas in den gemeinsamen Räumen steht, wird über die Anschaffung diskutiert. Da sich meine Frau weniger für Technologie begeistern kann als ich und dafür umso mehr für Inneneinrichtung, müssen Lautsprecher und Verstärker wenig Platz einnehmen. Also ist eigentlich alles Zusätzliche zu viel.

Deshalb einigen wir uns auf aktive Lautsprecher. Damit kann sie leben, sie hört meine Platten nämlich auch gerne. Zu viel kosten dürfen die Lautsprecher aber nicht. Deshalb fällt meine Wahl auf die Edifier R1280BT. Die sind zusätzlich Bluetooth-fähig. Nebst Platten kann ich also auch Spotify hören.

In einem der beiden Speakern ist der Verstärker integriert, den anderen Lautsprecher verbinde ich mit einem herkömmlichen Kabel. Das reicht aber leider noch nicht. Damit aus den Speakern erst ein Ton kommt, brauche ich noch einen Vorverstärker. Auch der darf nicht zu viel kosten und soll möglichst klein sein.

Keine Luftsprünge, aber transportiert mich dennoch in vergangene Zeiten

Klar, dieses Setup lässt die Herzen von Hifi-Fans nicht höher schlagen. Weder der Vorverstärker geschweige denn die Lautsprecher sind High End. Aber das ist mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln – oder besser: mit der verhandelten Lösung – nicht möglich.

Dennoch: Die Dinger klingen ganz ordentlich. Vor allem nachdem ich mir die Tipps von Youtuber Michael Beeny in seinem Review zu Herze nehme: Bass voll raus und Treble rauf. Zudem stelle ich die Lautsprecher auf unser Möbelstück mit arabischem Namen aus dem schwedischen Einrichtungshaus. Das hat statt festem Regalboden Gitterstäbe. So kann sich gemäss Beeny der Schall auf einem breiteren Spektrum entfalten. Und ja, die Speaker klingen in meinen Ohren so tatsächlich voluminöser.

Dank dem Gittergestell und dem darunterliegenden Freiraum klingen die Edifier-Lautsprecher besser.
Dank dem Gittergestell und dem darunterliegenden Freiraum klingen die Edifier-Lautsprecher besser.

«Fresh out the gate again, time to raise the stakes again / Fatten my plate again, y'all cats know we always play to win» die Lyrics des Klassikers Full Clip von Gang Starr passen ganz gut. Endlich kann ich mir die Scheiben meiner kurzlebigen DJ-Karriere wieder zu Gemüte führen – Baby-Scratches inklusive. Und mit Kleinkindern im Haushalt fühlt es sich tatsächlich an, als ob ich meinen Einsatz erhöhe: Ich bin etwas besorgt um meine Vinyl-Sammlung und den Plattenspieler.

Aber gewonnen habe ich dennoch schon jetzt. All die Erinnerungen, die beim Auflegen der Platten geweckt werden: einfach toll. Ich freue mich auf viele Stunden der Nostalgie. Und wer weiss: Vielleicht kann ich damit meinen Söhnen etwas Kultur in Bezug aufs Musikhören weitergeben.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.

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