Sony WH-1000XM3: Stille im Lärm. Und Jingles
Produkttest

Sony WH-1000XM3: Stille im Lärm. Und Jingles

Sony hat es geschafft und den aktuellen Spitzenführer bei den Active Noise Cancelling Headphones vom Thron gestoßen. Der WH-1000XM3 macht vieles richtig und vor allem eines: Viel Freude. Ein Reisebericht.

Rein optisch machen sie nicht viel her, die Sony WH-1000XM3. Schwarz, schlicht, eher klein. Doch das wollen und sollen sie auch gar nicht. Denn die kabellosen Kopfhörer sind nicht dazu da, um ein verwegenes Fashion Statement zu machen, sondern tun vor allem eins: Musik in dein Ohr befördern.

Die Sache mit der Musik ins Ohr ist etwas komplexer als nur der eine Satz, denn ein Kopfhörer kostet nicht knapp 400 Euro, nur weil er gut klingt. Klar, die gibt es auch, aber Sony will ein Gerät schaffen, das mehr kann und mehr macht. Ein Kurztest eines Vorserienmodells im Flieger hat gezeigt: Das Noise Cancelling funktioniert. Aber für mehr hat die Zeit nicht gereicht. Nach über einem Monat im täglichen Betrieb aber zeigt sich, was der WH-1000XM3 drauf hat.

Sony WH-1000XM3 (ANC, 30 h, Kabelgebunden)
Kopfhörer

Sony WH-1000XM3

ANC, 30 h, Kabelgebunden

Vier Stunden Düsentrieb

Die Testumgebung für das Noise Cancelling ist wieder ein Flieger. Aber statt 45 Minuten dauert der Flug gut vier Stunden. Hier zeigt sich, was die Lärmunterdrückung kann. Musik ist auf dem Smartphone, einem Huawei P20 Pro, abgespeichert. Die Bluetooth-Verbindung steht und ich ignoriere geflissentlich die Angaben von wegen «Schwimmwesten unter dem Sitz». In den vergangenen Jahren bin ich so oft geflogen, ich könnte die Rede schon selbst halten.

Der mysteriöse Stecker soll für Flugzeuge gut sein
Der mysteriöse Stecker soll für Flugzeuge gut sein

Auf einmal fällt mir ein, dass ich im Flugmodus des Smartphones kein Bluetooth mehr haben könnte. Daher muss das Kabel ran, das Sony im doch recht praktischen Case mitliefert. Da ist zwar noch ein USB-C-Kabel, um den Kopfhörer aufzuladen, aber das habe ich bis dato nicht gebraucht. Ein Smartphone Charger tut es auch. Dem Splitter, mit dem du bestimmt auch irgendetwas tun kannst, ergeht es ähnlich. Echt, wofür soll das Teil gut sein? Redaktorin Livia Gamper vermutet, dass das «für das Ding im Flieger» ist. Irgendwie soll in alten Fliegern das irgendwie irgendwas Relevantes sein. Aus jüngster Erfahrung aber kann ich sagen, dass du im Flieger das Ding nicht brauchst. Wohl ein Relikt aus alter Zeit. Nett von Sony, das beizulegen, aber eben.

Wie klingt das Ding?

Die Hauptfrage ist die des Klangs. Wie klingt der Kopfhörer, den ich jetzt einfach mal so als Sennheiser-Killer bezeichne? Gut. Das Statement kommt aber mit einem großen «Aber», denn die WH1000-XM3 sind smarte Kopfhörer. Das heisst, dass der Kopfhörer viel mit Software arbeitet und daher viele kleine Hebel und Schalter hat, die dir dein Hörvergnügen maximal vergnüglich machen sollen.

Der Kopfhörer selbst ist recht dumm, denn Sony macht das einzig richtige und lässt die Intelligenz eines Smartphones für den Kopfhörer denken. Der M3 selbst führt nur aus. Die App, die den Kopfhörer mit Intelligenz versorgt heisst schlicht «Headphones Connect» (Android und Apple iOS), unter Android im Menü schlicht «Headphones» genannt.

Die App ermöglicht dir Einstellungen, die den Sound auf dein Ohr anpassen. Nebst einem automatischen Sound-Optimierungsprozess, bei dem der Kopfhörer dir Töne ins Ohr spielt und sich danach so adjustiert, dass der Sound für dich stimmt. Details kannst du dann in der App fixen.

Eben: Klingt gut, aber kann etwas Arbeit bedeuten.

Die Crux mit dem Grips

Die Intelligenz kann aber nerven. Denn sie denkt immer mit. Immer. Hört nie auf. Das wird vor allem im Menüpunkt Adaptive Sound Control manchmal lästig. Denn Adaptive Sound Control nutzt die Sensoren des Smartphones und des Kopfhörers, um festzustellen, wie sehr du dich gerade bewegst und passt den Sound und das Noise Cancelling automatisch und laufend an.

Größter Stressfaktor: Die Adaptive Noise Control
Größter Stressfaktor: Die Adaptive Noise Control

Jedes Mal, wenn das passiert, hört die Musik auf, ein Jingle ertönt und die Musik geht nach einer oder zwei Sekunden weiter. Am Flughafen, wenn du mal gehst, mal stehst, mal sitzt, ist das extrem lästig. Auch im Büro bin ich vor dem Jingle nicht gefeit. Denn die App kennt für praktisch jede Körperlage und jeden Bewegungsablauf ein eigenes Preset. Hier wäre weniger definitiv mehr gewesen. Oder ohne die Pause wäre das okay. Denn ich will die Intelligenz nicht bemerken, schon gar nicht mit einem nervigen Jingle.

Hingegen lohnt sich der Blick in die Equalizer-Einstellungen. Denn obwohl der Auto Sound recht gut ist, empfehle ich stark, selbst noch etwas an den Einstellungen zu schrauben. Hier ein kleiner Einschub: Das Gehör ist ein feines Ding und so ist alles, was jetzt kommt, mit einer gewissen Skepsis zu lesen. Nur weil ich eine Einstellung als gut und schön empfinde, heisst das nicht, dass sie dir auch passen wird. Denn dein Gehör ist nicht meins, dein Musikgeschmack ist nicht meiner.

Ein Blick auf die Equalizer lohnt sich trotz der guten automatischen Anpassung
Ein Blick auf die Equalizer lohnt sich trotz der guten automatischen Anpassung

Ich mag den Bass Boost. Denn ich mag schöne, warme Bässe. Mir wird oft gesagt, dass ich den Bass gerne überdrehe. Mir ist's recht, aber ich mag es einfach, wenn es schön stampft. Vielleicht versaufen mir die Höhen, aber ich priorisiere schon seit ewig den Bass. Daher ist die Einstellung Bass Boost wie für mich und meine Musik gemacht.

Doch nicht nur bei den Einstellungen macht Sony viel für dich. Mein liebstes Feature ist eines, das Sony gar nicht haben müsste, denn sie sind auf ein anderes Feature stolz. Wenn du deine Handfläche auf die rechte Ohrmuschel legst, dann wird die Musik leise und das Noise Cancelling wird ausgeschaltet. Ich mag das Feature nicht. Ich drücke lieber schnell Pause und mache die Kopfhörer vom Ohr.

Super hingegen ist folgendes: Ich habe also Pause gedrückt, der Flugbegleiterin gesagt, dass ich meinen Kaffee mit Milch und Zucker nehme. Ich habe den Kopfhörer kurz um den Hals gehängt und Kaffee geschlürft. Als ich den Kopfhörer wieder aufgesetzt habe, hat Spotify mit den runtergeladenen Songs und Podcasts einfach weitergespielt. Das nenne ich mal gut.

Ein paar Stunden später

Der WH-1000XM3 ist kompakter als die Vorgänger. Das macht sich dann bemerkbar, wenn das Onboard Entertainment System dank «Back to the Future» und «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» zwar interessant ist, aber nicht interessant genug um mich nach einer kurzen Nacht und einem Flug um 7:20 Uhr morgens wach zu halten. Ich schlafe ein, denn die Triebwerke des Flugzeugs, dessen Name sich mit «schwarze Festung» übersetzen lässt, höre ich schon seit dem Start nicht mehr. Ruhe. Schlaf.

Das Case ist solide und kompakt
Das Case ist solide und kompakt

Jeder, der im Flieger schon geschlafen hat, weiss, dass das eine recht miserable Angelegenheit ist. Irgendwas drückt immer irgendwie und diese komischen Nackenhörnchen machen es zwar besser, aber nicht gut. Gut geschlafen habe ich nicht, aber die Kopfhörer haben die Sache nicht schlimmer gemacht. Sie liegen nett eng am Kopf an und auch nach Stunden ist mir nicht übel. Denn das ist so eines der früheren Features des Noise Cancellings. Bisher habe ich mich immer gegen das Feature gesträubt, da mir immer schwindlig wurde. Bei den WH-1000XM3 aber kann ich auch nach vier Stunden immer noch gerade gehen und habe nicht das Gefühl, kotzen zu müssen.

So. Fertig. Ich geb meine M3 nicht mehr her und auf Reisen sind sie ab sofort in mein Standard-Equipment im Rucksack aufgenommen.

Apropos: Wenn ich nicht reise, dann nutze ich den WH-1000XM3 im Büro, via 3.5 mm Jack an den Arbeits-PC angeschlossen. Noise Cancelling im Großraumbüro ist laut mir heutzutage ein Muss.

Dieser Artikel wurde auf digitec.ch am 24.10.18 veröffentlicht

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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