Sportfotografie mit einem Profi: Kann ich das auch?
24.6.2022
Profifotograf Mathias Kniepeiss zeigt mir, wie er arbeitet und lässt mich selbst fotografieren. Ich lerne viel – unter anderem, dass gewisse Shots viel Übung erfordern.
Drei Freestyle Mountainbiker, ein Profifotograf und jede Menge von Sony zur Verfügung gestelltes Foto-Equipment: So soll ich spektakuläre Bilder schiessen. Wir befinden uns im Skills Park in Winterthur, einer grossen Sport-Indoor-Anlage mit verschiedenen Tracks.
Mathias Kniepeiss ist Sony-Ambassador und der Hersteller hat das Shooting organisiert. Dieser Bericht wird aber keine Werbeveranstaltung für Sony. Ich habe mitgemacht, weil ich Know-how erwerben und weitergeben will. An diesem Nachmittag kann ich aus nächster Nähe sehen, wie Mathias arbeitet und alles auch selbst ausprobieren. Es geht darum, ein Gespür zu bekommen, wie diese Art von Actionfotografie funktioniert.
Erst mal inspizieren
Zuerst schauen wir uns die Location genauer an. Die Lichtverhältnisse sind suboptimal: Bei trübem Wetter ist es relativ dunkel in der Halle, zudem besteht das Licht aus einem Mix aus Tages- und Kunstlicht. Kunstlicht kann in Kombination mit dem elektronischen Verschluss zu Streifenbildung führen. Der elektronische Verschluss wäre aber besser, weil damit eine höhere Serienbildgeschwindigkeit möglich ist. Wir machen ein paar Testaufnahmen. Es stellt sich heraus, dass das Tageslicht dominiert. Wir wählen bei der Sony Alpha 9 II den elektronischen Verschluss.
Für alles, was Räder hat, bietet der Skills Park verschiedene Anlagen: Bowl, Jump Park, Big Air, Mini Ramp, Beton-Streetpark, Pumptrack. Alles klar? Mir nicht. Mathias findet, wir sollten mehrere Orte ausprobieren. Klingt gut. Er bespricht die Location auch mit den drei Bikern Lucas, Jan und Vincent. Das sei wichtig, betont Mathias – die Fahrer müssen sagen, was für sie funktioniert und was nicht.
Erst mal scharfe Bilder hinbekommen
Zuerst gehen die drei Jungs auf die grosse Sprungschanze. Mathias und ich fotografieren mit einem Weitwinkel-Objektiv von der Seite. Der Unterschied zwischen unseren ersten Bildern: Bei ihm sind die Biker im Flug scharf, bei mir nicht.
Mathias hat mir den Autofokus zwar richtig eingestellt, aber ich bin es mir nicht gewohnt, so zu fotografieren. Normalerweise nutze ich die automatische Augen-, Gesichts- oder Körpererkennung. Hier funktioniert das nicht, denn der Sprung geht viel zu schnell. Wir befinden uns direkt an der Rampe, der ganze Bewegungsablauf ist sehr nahe und das Motiv ändert sich in Sekundenbruchteilen komplett.
Wir haben deshalb als Fokusfeld ein fixes Rechteck in der Mitte. Ich muss die Kamera so führen, dass sich der Fahrer im Fokusfeld befindet. Das ist schwieriger, als es klingt. Es gelingt nur, wenn ich die Bewegung schon mitmache, bevor ich den Biker überhaupt sehe. Sobald er im Bild ist, muss ich halb durchdrücken und dann ganz. Da die Bewegung ein unregelmässiger Bogen ist, bleibt bei mir weiterhin nur die Hallendecke scharf. Ich muss mir angewöhnen, auf den Bildschirm zu schauen, statt durch den Sucher. Grosse Bewegungen sind so einfacher zu verfolgen und ich behalte die Umgebung besser im Blick.
Die besondere Perspektive
Nach über 200 verhauenen Fotos wird es endlich besser. Da haben wir aber längst die Position gewechselt. Wir liegen jetzt oben auf der Landematte, die Jungs springen über uns drüber.
Das war die Idee von Mathias. Er probiert gern auch Positionen aus, die nicht ganz ungefährlich sind. Für die aussergewöhnliche Perspektive. Ich müsse das nicht machen, wenn ich nicht wolle, versichert er. Nach kurzem Zögern bin ich aber dabei. Nachdem ich gesehen habe, was für Sprünge Lucas, Jan und Vincent machen, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie versehentlich auf uns landen. Dafür sind sie zu gut. Mathias sorgt zusammen mit den Fahrern dafür, dass keine Kinder springen, während wir auf der Matte liegen. Und sieht zu, dass uns ein Sony-Mitarbeiter bei der Aktion ablichtet. Ich merke: Er behält immer das Ganze im Auge.
Hier zwei Fotos von der Matte mit dem 24-70mm GM II. Der Bildaufbau ist im Vergleich zur Aufnahme von Mathias nicht optimal, aber wenigstens ist jetzt mal die Person scharf. Der Bewegungsablauf ist hier auch weniger komplex als von der Seite.
Aus der Ferne geht es besser
Jetzt wechseln wir auf Teleaufnahmen. Mit dem Objektiv 70-200mm GM2 stehen wir am Ende der Landematte und probieren verschiedene Winkel aus. Hier produziere ich viel mehr scharfe Bilder. Einen Moment lang denke ich mir, dass ich die Sache nun im Griff habe. Doch Mathias zerstört meine Illusionen: Die Bewegungen aus der Ferne seien generell einfacher mitzumachen als von ganz nahe.
Ein Problem bleibt: das Licht. Es ist nicht nur spärlich, sondern kommt auch von der falschen Seite. Von halb seitlich fliegen die Fahrer direkt vor dem Fenster durch.
Sprung in der Schüssel
Als Nächstes hüpfen und kurven die drei Biker durch die Bowl, auf Deutsch Schüssel. Der Bowl Park besteht aus mehreren zusammenhängenden Schüsseln.
Mathias fotografiert aus kaum einem Meter Entfernung, mit einem Ultraweitwinkel. Ich teste währenddessen verschiedene andere Orte, aber nichts klappt. Ich merke schnell: Wo die Fahrer durchfahren, muss mit dem Fotografen genau abgestimmt sein. Du kannst hier nicht so nebenher mitfotografieren.
Nach kurzer Zeit lässt Mathias mich ran. Ich stehe wie er in der Mitte am Boden. Allerdings an einem Ort, wo die Fahrer in einen anderen Kreis wechseln. Ich erschrecke, weil sie so nahe vorbeischwirren. Sie passen aus der kürzesten Distanz trotz Ultraweitwinkel nicht aufs Bild.
Schade, dass hier das Gesicht nicht scharf ist, sonst wäre das ein richtig gutes Bild geworden.
Jump Park
Mathias schwärmt von Sonys 50mm-Objektiv mit Lichtstärke f/1,2. Das benutzen wir im Jump Park, der Anlage mit verschiedenen kleineren Sprüngen. Ich bin gespannt, ob die Tiefenschärfe gross genug ist – vor allem im Hinblick darauf, dass für mich das Fokussieren immer noch schwierig ist.
Bei einer solchen Seitenansicht reicht die geringe Tiefenschärfe, die mit f/1,2 zustande kommt. Sie ist sogar ein Vorteil, da der Hintergrund schön weich wird. Ein weiterer Vorteil der grossen Blende: Die ISO-Empfindlichkeit liegt mit 640 wesentlich tiefer als bei vielen anderen Aufnahmen an diesem Nachmittag.
Die Seitenperspektive ist aber auch schwierig – man hat extrem wenig Zeit. Mein Glück war, dass genau die Aufnahme mit der besten Körperhaltung auch scharf ist. Andere Aufnahmen von dieser Stelle aus haben eine leichte Bewegungsunschärfe oder wieder mal einen falschen Fokus.
Das springt ins Auge
Mathias steht jetzt direkt unter dem ersten Sprung, an der Wand. Ich denke, dass er aus Sicherheitsgründen dort steht. Aber nein: Der Fahrer soll gegen die Wand springen, Mathias steht direkt darunter, um ihn aus nächster Nähe zu fotografieren.
Auch das probiere ich selbst aus. Beim ersten Mal erschrecke ich, weil ich den Fahrer erst sehe, wenn er schon an der Wand ist, etwa zwei Meter von mir weg. Die weiteren Versuche machen mir keine Angst mehr, aber es ist schwierig, schnell genug zu reagieren. Ausserdem ist es an dieser Stelle im Park sehr dunkel.
Porträts: Routinesache
Ganz zum Schluss macht Mathias noch eine Reihe von Porträts. Hier merke ich seine Routine am deutlichsten. Er hat sofort mehrere Ideen: Porträt mit aufgestelltem Velo, Grimasse durchs Vorderrad, Anlehnen am spiegelnden Fenster. Die Anweisungen sind schnell und präzis, ohne Stress zu verbreiten. In weniger als zehn Minuten hat Mathias Porträts von allen drei Fahrern geschossen.
Mit den drei Jungs kann man aber auch gut zusammenarbeiten, nicht nur bei den Porträts. Vor allem bei Lucas ist mir aufgefallen, dass er mitdenkt, nachfragt, was für uns passt. Die Kommunikation mit den Sportlern ist extrem wichtig – man kann die Session als eine Art Teamsport sehen.
Was ich gelernt habe
Es ist nicht so, dass ich jetzt selbstständig Actionsportler fotografieren kann. Aber an diesem Nachmittag habe ich gelernt, was ich dafür können müsste.
- Die Bewegung mit der Kamera präzis mitmachen und im richtigen Moment auslösen. Vor allem bei Aufnahmen aus nächster Nähe ist das schwierig, weil alles so schnell geht. Hier heisst es: üben, üben, üben. Es lohnt sich. «Nahe heran» ist nicht zu Unrecht der häufigste Fotografie-Tipp. Freestyle-Action wirkt mit Nahaufnahmen extrem dynamisch.
- Optimal kommunizieren. Zusammen mit den Sportlern herausfinden, was funktioniert und was nicht. Im Vorfeld und während der Action. Was hättest du gern anders? Welche Sprünge sehen gut aus? Eine Fotografin, die die Sportart kennt, ist im Vorteil. Ein Sportler, der das Fotografieren kennt, kann ebenfalls ein Vorteil sein.
- Wie immer beim Fotografieren: Das Licht, die Perspektive, den Hintergrund im Auge behalten. Die Herausforderung ist, das alles gleichzeitig zu erfassen. Auch hier braucht es sicher viel Erfahrung.
- Sehr wichtig ist auch die richtige Einstellung: Etwas Besonderes wollen und wagen. Für den Anfang bin ich mit ein paar scharfen Bildern von der Seite zufrieden. Aber das wird schnell langweilig. Mit aussergewöhnlichen Ideen gibt es nicht nur spannende Fotos, es macht auch mehr Spass.
David Lee
Senior Editor
David.Lee@digitecgalaxus.chDurch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.