Spotify: Ein Entscheid gegen die Musik?
Der schwedische Streaming-Dienst Spotify hat sich in den vergangenen Tagen in einen Shitstorm manövriert. Was ist geschehen, wer sind die beteiligten Akteure und wie reagiert Spotify?
Mitte Januar haben in einem offenen Brief 270 Wissenschaftler, Professoren und Mediziner Spotify aufgefordert, Massnahmen gegen Fehlinformationen auf der Streaming-Plattform zu unternehmen. Im Brief wurde vor allem der Podcast des populären US-Moderators Joe Rogan kritisiert. Dieser verbreite unbelegte Corona-Verschwörungstheorien an Spotifys Millionenpublikum, so die Anschuldigungen. Der Brief erregte aber kaum Aufmerksamkeit.
Doch dann griff letzte Woche der 76-jährige Rock-Musiker und Filmemacher Neil Young ins Geschehen ein. Er forderte Spotify auf, den Podcast von Joe Rogan wegen Verharmlosung des Coronavirus sowie falschen Informationen zur Impfung zu entfernen. «Spotify ist zu einem Ort der potenziell tödlichen Desinformation über Covid geworden», schreibt er. Im Brief, publiziert auf der Webseite des Kanadiers, stellt Young ein Ultimatum: «Sie können Rogan oder Young haben. Nicht beide.» Wenn der Podcast auf der Plattform bleibt, möchte Neil Young nicht mehr, dass seine Musik auf Spotify gehört werden kann.
Spotify hat sich am 28. Januar gegen Neil Young und für den umstrittenen Podcast entschieden. Der Joe Rogan Experience Podcast (JRE) bleibt und mit ihm die Fehlinformationen bezüglich der Covid-19-Pandemie.
Youngs Label Warner Music hat sich derweil hinter den Musiker gestellt – die Song-Rechte liegen nicht beim Künstler selbst – und Spotify gebeten, die Musik Youngs von der Plattform zu nehmen. Dieser Bitte ist der Streaming-Dienst nachgekommen, Youngs Musik mit sechs Millionen Abonnenten ist nicht mehr auf Spotify zu finden. Auf seiner Webseite gibt der Künstler nun Informationen, auf welchen Diensten er zu finden ist und wie der Wechsel am besten gelingt.
Weitere Künstler und die Royals ziehen nach
Nach dem Eklat zwischen Young und Spotify sind weitere Künstler mit Young mitgezogen. Diese Künstler*innen stellten sich hinter den Kanadier:
- Brené Brown
- Joni Mitchell
- Nils Lofgren (Gitarrist in Bruce Springsteens E Street Band und Crazy Horse)
- Prinz Harry und Herzogin Meghan Markle
Brown, Mitchell und Lofgren wollen ihre Titel ebenfalls von Spotify entfernen, beziehungsweise keine neuen Podcasts mehr hochladen. Meghan und Harry äusserten Kritik, wollen dem Dienst aber noch treu bleiben. Die beiden haben einen 23-Millionen-Deal mit Spotify abgeschlossen, jedoch erst eine Podcast-Folge geliefert.
Kritik hagelt es seit Youngs Ankündigung von allen Seiten: Auf Twitter trendet der Hashtag #CancelSpotify und Spotifys Kundendienst musste kurzerhand vor seinen verärgerten Kunden flüchten. Vor lauter Beschwerden war Spotifys Kundendienst gar nicht mehr erreichbar, im Chat wurde die Meldung eingeblendet, dass der Dienst gerade «sehr viele Kontaktanfragen erhält.» In wenigen Tagen verlor die Spotify Aktie zwei Milliarden US-Dollar an Wert.
Wer ist Joe Rogan und wieso ist sein Podcast so problematisch?
Der Podcast-Host Joe Rogan ist Moderator, Comedian und Entertainer. Seine Karriere begann als Kommentator bei Mixed-Martial-Arts-Kämpfen. Hierzulande ist Joe Rogan weniger bekannt. Sein umstrittener Podcast wird weltweit jedoch als einer der bekanntesten gehandelt, Spotify listet ihn als meistgehörtesten Podcast des Sommers 2021. Etwa 200 Millionen Menschen hören sich Rogans Podcast monatlich an.
Schon vor dem eingangs erwähnten Brief geriet Rogan immer wieder in die Kritik. Denn in seinem Podcast äusserten er und seine Gäste sich immer wieder rassistisch und transphob, wie hier im März 2021. Mit seinem Gast Jordan Peterson tauschte er sich in einer Weise über Hautfarben aus, die als rassistisch kritisiert wurde. In einer anderen Sendung mit Dr. Malone als Gast verglich dieser die Pandemie mit dem Holocaust, und Rogan stimmte ihm zu bzw. widersprach nicht. Diese Episode wurde von Youtube gelöscht. Neben Malone waren zuletzt vermehrt Gäste eingeladen, die rechte und teils absurde Verschwörungstheorien verbreiteten.
Im Frühling sprach sich Rogan zudem öffentlich gegen die Corona-Impfung aus, was er zu einem späteren Zeitpunkt wieder abstritt. Auslöser für den jetzigen Spotify-Eklat ist die Folge 1757, in dem Rogan Dr. Robert Malone als Gast einlud. Malone ist ein ehemaliger Virologe, der mit seinen Aussagen zur Impfung zum Liebling der Verschwörungstheoretiker wurde. Für das Verbreiten von Falschinformationen war Malone vor seinem Auftritt im Podcast von Twitter gesperrt worden.
Dass Spotify sich gegen Youngs Musik und für Rogans Podcast entschied, ist kein Zufall. Spotify hat Rogan im Jahr 2020 100 Millionen Dollar gezahlt, um seinen Podcast, inklusive dessen Archiv, exklusiv anbieten zu können.
Mit dem Einkauf von exklusiven Podcasts versucht Spotify seit einiger Zeit, sich von den anderen Musikstreamingdiensten abzuheben. Rogans Show ist dafür das Zugpferd – und Spotify hat sich mit der Entscheidung, den problematischen Podcast auf der Plattform zu lassen, für den monetären Gewinn entschieden.
Rogan entschuldigte sich unterdessen in einem fast zehnminütigen Instagram-Video. Er räumt ein, dass er nicht alles richtig gemacht habe, und dass es ihm leid tue, Neil Young wütend gemacht zu haben. Er sei selbst ein Fan des Musikers.
Spotify rudert zurück
Am 30. Januar reagierte Spotify-Chef Daniel Ek auf die Kritik und die Geschehnisse und kündigte an, dass alle Beiträge zu Covid-19 bald mit einem technischen Hinweis versehen werden. Dieser soll die Podcast-Hörenden zu wissenschaftlich fundierten Informationen aus verlässlichen Quellen und Links führen – also wahrscheinlich eine Einblendung, wie es sie bei Instagram schon gibt.
Im Blogpost kündete der Spotify-Chef weiter an, dass das Unternehmen Richtlinien für Urheber von Inhalten veröffentlicht hat. Dort ist ausgeführt, was als falsche, gefährliche und irreführende Informationen gilt. Ein Auszug aus den Richtlinien:
Weiter schreibt Ek, er sehe sich in der Verantwortung, «um Ausgewogenheit zu schaffen und den Zugang zu Information zu geben, die von den medizinischen und wissenschaftlichen Gemeinschaften weitgehend akzeptiert werden».
Genügt diese Informationsoffensive?
Im Blogpost schreibt der Spotify-Chef anschliessend, was sein Unternehmen gegen die Corona-Krise unternommen hat. So sei eine Reihe von Aufklärungsressourcen und -kampagnen bereitgestellt worden. Zudem sei ein globaler COVID-19-Informations-Hub entwickelt und gefördert worden. An die WHO und Covax, der Organisation für ein gerechte Impfstoffverteilung, seien Spenden ausgerichtet worden.
Nur davon, dass der Podcast von Joe Rogan mit Malone gefährliche Covid-Fehlinformationen enthält, die gegen die erwähnten Richtlinien verstossen, fehlt im Schreiben Spotifys jede Spur.
Dieser Shitstorm um Spotify zeigt, wohin es gehen soll. Der Streaming-Dienst setzt seit einigen Jahren auf exklusive Inhalte, was nur Podcasts liefern können. Musik ist fast nur noch das Grundrauschen. Exklusive Podcasts sollen die Kundschaft zum Zahlen der Abogebühren motivieren. Nun stolpert der Streaming-Pionier über die eigene Strategie. Dabei ist er in eine missliche Lage geraten: Rogans Millionenpublikum soll bloss nicht verärgert werden, da der Deal viel Geld in die Kasse spülen muss. Auf der anderen Seite drohen immer mehr Künstler mit dem Absprung, die schlechte Presse könnte daher noch verheerende Folgen haben, sollte die Geschichte weiter Fahrt aufnehmen. Auf jeden Fall gibt es in diesem Spiel nur Verlierer: Spotify, die Künstler*innen sowie die zahlende Kundschaft, die ihre Lieblingsmusik nicht mehr auf der Plattform findet.
Anmerkung der Redaktion: Diese Version des Textes beinhaltet gegenüber der zuerst publizierten drei Änderungen. Erstens: Wir haben die Stelle aktualisiert, in der stand, Joe Rogan hat den Holocaust selbst geleugnet. Das ist nicht richtig. Nicht Rogan, sondern einer seiner Gäste hat dies getan. Zweitens: Die ursprüngliche Formulierung «Denn in seinem Podcast äusserte er (Anm.: Rogan) sich mehrfach rassistisch und transphob.» haben wir editiert. Rogan hat sich im Januar 2021 sowie im März 2021 kritisch gegenüber Trans-Menschen geäussert. Die hinter dieser Aussage verlinkte Quelle lieferte keinen ausreichenden Beleg. Wir haben die Links deshalb mit passenderen Quellen versehen. Es sind dieselben wie hier. Auch zur Aussage, er hätte sich «mehrfach rassistisch» geäussert, haben wir eine bessere Quelle hinterlegt, konkret zum Gespräch mit dem Rechtskonservativen Jordan Peterson im Januar dieses Jahres. Wir sind uns bewusst, dass es zum journalistischen Handwerkszeug gehört, derart klare Aussagen mit Quellen zu hinterlegen. Drittens: Den Satz «Somit zahlte Spotify Millionen an einen Verbreiter von Falschinformationen.» haben wir an dieser Stelle gestrichen. Die Einordnung ist an dieser Stelle unpassend, weil hier ansonsten nur Fakten genannt sind.
Dass wir es versäumt haben, passende Quellen zu verlinken, ist ein Fehler, der uns nicht hätte passieren dürfen. Ich entschuldige mich dafür im Namen der Redaktion. Was wir auch aus der Diskussion mitnehmen, ist die Erkenntnis, dass das Thema Meinungsfreiheit und wie Tech-Konzerne sie behandeln, spannend ist. Wir werden dieses Thema deshalb weiterhin aufmerksam verfolgen und darüber berichten, möglichst unaufgeregt und fundiert. Genauso wie wir bei anderen Themen hinschauen, die für Nutzerinnen und Nutzer der Geräte, die digitec und Galaxus verkaufen, relevant sind – von Kryptowährungen bis zu Datenschutz und Sicherheit. Martin Jungfer, Head of Content, 1. Februar 2022
Experimentieren und Neues entdecken gehört zu meinen Leidenschaften. Manchmal läuft dabei etwas nicht wie es soll und im schlimmsten Fall geht etwas kaputt. Ansonsten bin ich seriensüchtig und kann deshalb nicht mehr auf Netflix verzichten. Im Sommer findet man mich aber draussen an der Sonne – am See oder an einem Musikfestival.