Hintergrund

Super-Bowl-Werbung: Die Geschichte eines Mythos

Luca Fontana
9.2.2021

Der Super Bowl ist nicht nur Amerikas grösstes sportliches Highlight, sondern auch die jährliche Sternstunde der Werbebranche. Ein Phänomen, das mittlerweile Mythos ist.

Der Super Bowl. Allein in den USA bannt er über 100 Millionen Menschen an den Bildschirm. Jährlich. Das ist Rekord. Nur die Mondlandung der Apollo 11 im Jahr 1969 verzeichnete mehr Fernsehzuschauer – 125 Millionen etwa.

Verrückt.

Noch verrückter ist ein ganz anderes Phänomen. Werbung. Oder besser: Super-Bowl-Werbespots. Geschaltet werden sie in den Werbepausen, die’s zwischen Spielzügen, Timeouts und Seitenwechseln gibt. Das lassen sich Marketingabteilungen ganz schön was kosten: 5.5 Millionen US-Dollar pro 30 Sekunden. Für Werbezeit, wohlgemerkt. Die Produktionskosten sind da noch gar nicht eingerechnet.

Und die haben’s in sich. Zurückhaltung? Nope. Es wird aus dem Vollen geschöpft. Mit Promis, state-of-the-art-Spezialeffekten und Kurzgeschichten. Mittlerweile sind diese Werbespots längst nicht mehr «nur» Phänomene, sondern Teil der modernen Popkultur.

Werfen wir ein Blick auf ihre Geschichte. Ihre Entstehung.

Ihren Mythos.

Aus Super Bowl wird Werbung

Es ist 1967. Eines der turbulentesten Jahrzehnte überhaupt neigt sich dem Ende zu. Sexuelle Revolution. Der Krieg im Vietnam. Bürgerrechtsbewegungen. Antikriegsproteste. Vier junge Musiker aus Liverpool mit Pilzfrisuren, die den Klang von kreischenden Frauen neu definieren.

Und der erste Super Bowl der Weltgeschichte.

Seine Geburt ist den Bossen zweier rivalisierender Football-Ligen zu verdanken, National und American Football League – NFL und AFL. Ihre Bosse wollen vom exponentiell wachsenden Fernsehmarkt profitieren. 55 Millionen Fernseher existieren im Land. Das heisst, das bereits 93 Prozent aller amerikanischen Haushalte abgedeckt sind. Tendenz steigend. Gleichzeitig dürstet es der Bevölkerung nach etwas, das mit Familie, Freund und Nachbar genossen werden kann. Zusammen. Amerika feiernd. Ein sportliches Grossereignis zum Beispiel.

Football.

Naheliegend. Football ist genauso amerikanisch wie Baseball, Hamburger und BBQ. Oder Krieg, wenn du mir etwas Politik erlaubst. Da ist etwa die brutal körperbetonte Spielweise oder die Sport-Terminologie selbst, geprägt von Begriffen wie «trench», «blitz» und «bomb».

2018 etwa schreibt Journalist Michael Mandelbaum, dass Football ein Grabenkampf sei, bei dem's wie in den meisten militärischen Schlachten ums Erobern von gegnerischem Territorium geht, Yard um Yard, unter der Führung eines Generals. Eines Meisterstrategen. Den Quarterback.

Das passt den Amerikanern.

Tatsächlich kriegt der Super Bowl anno 1968, ein Jahr nach seiner Geburt, in Zusammenarbeit mit dem US-Militär seine erste Flugzeugparade. Ein Jahr später fusionieren NFL und AFL. Der Name NFL bleibt, aber das Logo zieren neuerdings patriotische Streifen und Sterne. Ein Jahr danach, 1970 – Neil Armstrong ist bereits wieder vom Mond runter –, wird in der Halbzeit-Show die Schlacht von New Orleans von 1815 zwischen US-amerikanischen und britischen Truppen nachgestellt. Natürlich manierlich auf sein Zielpublikum massgeschneidert.

Branding at it’s finest. Das ruft die Werbebranche auf den Plan.

Aus Werbung wird Sex

Das Event wird gefeiert. Der Super Bowl gedeiht. Es ist aber das Jahr 1973, das den Super Bowl auf ein ganz neues Podest hebt. Ein einzelner Werbespot, genau gesagt. Er zeigt «Charlie’s Angels»-Star Farrah Fawcett, wie sie Football-Spieler Joe Namath Rasierschaum ins Gesicht schmiert.

Lasziv. Sinnlich. Provozierend.

«Let Noxzema cream your face», singt Fawcett kokett und lässt dabei eine ganze Nation durchdrehen. Am nächsten Tag erinnern sich mehr Menschen an die Rasierschaum-Marke als ans Endresultat des Super Bowls – das Spiel endete 14:7 für die Miami Dolphins, übrigens.

Fawcett und Namath. Zwei Stars. Eine Message.

Die Werbebranche nimmt Notiz.

Nicht, dass die Werbebranche vor 1973 nicht gewusst hätte, dass die Message eher geglaubt würde, wenn Prominente sie aufsagen. Dass ein Promi-Werbespot aber auch süffisant und – vor allem – polarisierend zugleich sein kann, das ist neu.

Und dass am nächsten Tag nicht nur Football-Fans, sondern nahezu das ganze Land darüber spricht, beweist, dass der Super Bowl nicht nur ein Event für Sportfanatiker ist. Er ist für alle Amerikaner. Frauen und Männer. Mädchen und Jungs. Alt und jung. Für die Werbebranche bedeutet das: maximale demografische Reichweite.

Aus Sex wird Kunst

1979, sechs Jahre später, ist es Coca-Cola, der den typischen Super-Bowl-Werbespot neu definiert. Darin ist Football-Spieler Joe Greene zu sehen. Der Spieler gilt als mürrisch. Beinahe böse. Und vor allem unzugänglich. Nicht nur von Gegnern wird er gefürchtet. Auch von seinen Mitspielern. Sein Spitzname: «Mean Joe».

Dann dieser Spot.

«Er hat mein Leben verändert», wird Joe Greene Jahre später sagen.

Kein Wunder. Der Werbespot hat das Undenkbare geschafft: Er hat nicht nur die Popularität der Marke Coca-Cola gefördert, sondern auch das Image des Joe Greene.

Werbung als Imageförderung!?

Aber wo «Mean Joe» zuvor gemieden wurde, wird «Joe» auf einmal gemocht. Selbst Rookies, Football-Spieler, die ihr erstes Jahr bei den Profis absolvieren, bieten dem ansonsten so grummeligen Joe scherzhaft eine Cola an.

Was hat der Werbespot anders gemacht? «Storytelling», sagt Penny Hawkey, die Autorin hinter dem effektiven Werbespot Coca-Colas. Tatsächlich: Mean Joe, humpelnd in den Stadion-Katakomben, kriegt nach einem Football-Spiel zum Vergessen eine Cola von einem jungen Fan angeboten. Die aufmunternde Geste zaubert dem ernsten Joe ein Lächeln ins Gesicht. Das Kind kriegt als Dank Joes Handtuch.

Simpel, aber effizient.

Dann kommt Januar, 1984. In der Pause des dritten Viertels des 18. Super Bowls enthüllt Steve Jobs sein neuestes Wunderwerk: den Macintosh. Der erste moderne Computer mit grafischer Oberfläche. Der Werbespot dazu gilt für viele noch heute als der beste Spot aller Zeiten.

Der Spot ist nicht ohne. Düster und spannend. Die Inspiration ist George Orwells Roman «1984». Regie geführt hat Ridley Scott. Die Message: «Dank Apples Macintosh wirst du sehen, dass 1984 nicht wie ‘1984’ sein wird.»

Es ist aber nicht die Message oder das dystopische Setting, das den Spot so denkwürdig macht. Es ist die Tatsache, dass der Spot keine Werbung ist. Eher ein Kurzfilm. Auf Hollywood-Niveau. Mindestens. Ein Konzept, dass neu definieren will, wie Produkte beworben werden.

Der Werbespot wird zur Kunstform erhoben.

Aus Kunst wird Wettrüsten

Superstars. Gute Geschichten. Produktions-Standards auf Hollywood-Niveau. Der moderne Super-Bowl-Werbespot hat seine Formel gefunden. Gross was daran geändert wird bis heute nichts mehr.

Die Jahre vergehen. Die Zuschauerzahlen explodieren. Der Super Bowl wird zur immer grösseren Show. Grösser als die NBA-Finals, Wimbledon, die Tour de France, das Finale der UEFA Champions League oder das Stanley-Cup-Finale.

Für Werbemacher wird klar: Wer während dem Super Bowl Werbung machen will, muss auffallen. Muss gross denken. Grösser als die Konkurrenz. Das geht nur mit mehr Geld. Mehr Stars. Mehr Budget für Spezialeffekte. Autohersteller Kia zum Beispiel zitiert anno 2014 mit Morpheus-Darsteller Laurence Fishburne und ganz viel explodierenden Autos «Matrix».

Die US-Supermarktkette Walmart hingegen zitiert im Jahr 2020… nun, sie zitiert einfach alles.

Beispiele, die stellvertretend für den Trend stehen, dass Super-Bowl-Werbespots nicht immer nur Kunst, sondern auch Wettrüsten sind. Auf allerhöchstem Niveau, zugegeben.

Aus Wettrüsten wird Mythos

Zwischen Werbezeit und Produktionskosten geben die grössten Marken gut und gerne zwischen 8 und 12 Millionen Dollar aus. Viel Geld für 30 bis 60 Sekunden an einem Abend. Wie kann sich sowas lohnen?

Der Schlüssel sind wir. Die sozialen Netzwerke. Youtube. Instagram. Facebook. Je auffälliger der Spot, desto grösser die Chance, am nächsten Tag in etlichen «Das sind die 10 besten Super-Bowl-Werbespots»-Listicles zu landen. Und je besser die Qualität, die Liebe zur Kunst, die Geschichte, die der Spot erzählt, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, auch Jahre später immer wieder Erwähnung zu finden.

Dieser 2011er-Spot von Volkswagen zum Beispiel, der einen kleinen Darth Vader zeigt, verzweifelt versuchend, seine Umgebung mit der Macht zu kontrollieren. Die Mama. Den Hund. Vergeblich. Bis er’s doch schafft: Beim Auto des Vaters, ein VW, das der Papa versteckt aber geschickt via Zündschlüssel fernsteuert.

Oder dieser Spot hier, vom vergangenen Super Bowl. Darin stellt sich Amazon vor, welches «Gefäss» besser für seinen Sprachdienst Alexa geeignet sein könnte als die bekannte, dunkle Sphäre.

Schauspieler Michael B. Jordan.

Rekapitulieren wir.

John Greene. Macintosh. Volkswagen. Es sind solche Werbespots, die den Test der Zeit bestanden haben und noch heute ihren Weg in unseren Alltag finden. Sie lösen Nostalgie aus. Bewunderung. Immer wieder stöbern wir danach. Und dann: Da, schon wieder zehn Minuten, die wir freiwillig mit Werbung verbracht haben.

«Kennst du noch diesen Spot, der mit Michael Jordan, der gegen Larry Bird um einen Big Mac spielt», sage ich dann zu Freunden.

«Gab es nicht auch mal diesen Jaguar-Spot mit den drei britischen Schauspielern, die irgendwas von wegen ‘böse zu sein hat Stil’ faseln», antworten sie mir dann.

Aus Werbungen werden überlieferte Legenden. Aus Legenden werden Mythen. Sie verdeutlichen, warum die Werbebranche so viel Geld in wenige Sekunden Screentime investiert: Es geht nicht um Werbung für den Super Bowl. Es geht um Werbung für die Ewigkeit.

Der Super Bowl ist einfach nur die perfekte Bühne dafür.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 

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