Ich schaue Filme und Serien konsequent im Original an. Synchronfassungen sind für mich unerträglich. Und unverständlich – wie kann man sich so was antun?
«Abends bin ich zu faul, mich noch anzustrengen» – den Satz, mit dem der Konsum von Synchronfassungen erklärt wird, habe ich dutzendfach gehört. Verstanden habe ich ihn nie. Dass man abends müde ist – okay. Aber wie lieblos abgelesene Texte, die höchstens hinsichtlich ihrer Länge zu den Lippenbewegungen auf dem Bildschirm passen, einem das Leben erleichtern sollen, ist mir ein Rätsel.
Besser: Es ist mir ein Rätsel geworden. Ich bin 1974 geboren und hatte in meinen ersten Lebensjahren kaum Möglichkeiten, Filme im Original anzusehen, Serien schon gar nicht. «Ein Colt für alle Fälle», «Fackeln im Sturm», «James Bond», «Raumschiff Enterprise», «Captain Future» – alles war deutsch gesprochen, weil es deutsch gesendet wurde. Und wie das so ist mit den Missständen: Man gewöhnt sich daran. Und übersieht in diesem Fall buchstäblich, dass die Leute, die da reden, etwas anderes sagen als man hört. Es wirkt völlig normal, dass der zu einem «No!» geformte Mund ein breites «Nein!» von sich gibt.
Meine erste Begegnung mit Originalton war 1982, als ich mit meinen Eltern im Kino «E.T.» sah – übrigens bis heute mein Lieblingsfilm. Ich hatte Mühe, den Untertiteln zu folgen, war aber begeistert, die Schauspielerinnen und Schauspieler mit ihren echten Stimmen zu hören. Es wirkte alles viel echter und greifbarer.
Das war aber nur im Kino möglich. Und nur, wenn die Begleitpersonen Wert darauf legten. Zuhause am Fernseher und später mit den VHS-Kassetten war ich weiter dazu verdammt, alles synchronisiert anzusehen. Aber eben – ich war daran gewöhnt.
«Nach Hause telefonieren», sagt E.T. auf Deutsch, im Original viel kürzer: «E.T. phone home» – immerhin ist es bei einem ausserirdischen Mund nicht ganz so einfach festzustellen, dass die Lippen nicht synchron sind.
Irgendwann, ich war schon über zwanzig Jahre alt und wohnte allein, kam die DVD auf. Endlich hatte ich die Wahl. Und die fiel von da an immer auf den Originalton.
Wo Pacino draufsteht, muss Pacino drin sein!
Zunächst ist festzuhalten: Frank Glaubrecht ist nicht Al Pacino. Nur Al Pacino ist Al Pacino und klingt wie Al Pacino. Frank Glaubrecht ist dessen deutsche Synchronstimme. Und klingt wie Frank Glaubrecht. Wenn ich Al Pacino gucke, will ich Al Pacino hören.
Dazu kommt: Synchronsprecherinnen und Synchronsprecher sind meistens keine Schauspieler. Sie stehen, wenn sie den übersetzten Text einsprechen, nicht am Set, inmitten des Geschehens, sondern allein in einem Tonstudio. Sie spielen nicht, sondern lesen ab. Und so klingt das dann meistens auch: monoton und teilnahmslos. Und in keiner Weise wie das Original. Melodie, Intonation, Färbung – alles weg. Synchronfassungen haben einfach keine Seele.
Oder die falsche. Manche Synchronsprecher und -sprecherinnen glauben, besonders cool, krass oder sexy klingen zu müssen. Besonders augen- und ohrenfällig ist das bei der Serie «24»: Tobias Meister, der deutsche Sprecher der Figur Jack Bauer, wollte offenbar deren Abgebrühtheit herauskehren, klingt dabei aber einfach nur unfassbar bescheuert. Als würde er sein eigenes Vorhaben parodieren.
Hinzu kommt, und das ist das wichtigste Argument, dass man mit Synchronfassungen kein richtiges Englisch lernt. In dessen Beherrschung liegt die Schweiz gemäss einer Studie international nur auf Platz 29. Wohlgemerkt hinter Deutschland, wo im Kino fast ausschliesslich Synchronfassungen zu sehen sind.
Die Spitzenplätze nehmen skandinavische Länder ein: an erster Stelle die Niederlande, gefolgt von Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland. Der Grund ist wirtschaftlicher Natur: Die entsprechenden Märkte sind – im Gegensatz zum deutschsprachigen – zu klein, um eigene Sprachfassungen zu schaffen, weswegen man seit jeher die viel günstigere Untertitelung einsetzt. Sozusagen als Abfallprodukt dieser Sparpolitik sind nordische Kinder von Anfang an eng mit der englischen Sprache verbunden.
Das sind die Argumente, die gegen Synchronfassungen sprechen: Erstens klingt es fast immer total doof. Zweitens verpasst man eine Menge von der ursprünglichen Charakteristik. Und drittens die Chance, richtig Englisch zu lernen.
Plötzlich kann das Kind beinahe zu gut Englisch
Als mein Sohn ab der 3. Klasse Englischunterricht hatte, verkündete ich: «Sohn, folgende Neuerung in unserem Haushalt: Du kannst so viel Netflix gucken, wie du willst, aber alles im Originalton.»
Er war total empört, und ein paar Tage lang spielten wir das «Ich schalte auf Deutsch um, sobald Papa den Raum verlässt, und Papa schaltet auf Englisch, wenn er zurückkommt»-Spiel, aber schliesslich war es für meinen Sohn – apropos Gewöhnung – normal geworden, seine Sendungen im Original anzuschauen. Nach zwei Jahren sprach er fliessend Englisch.
Mittlerweile werde ich sogar auf Englisch verspottet. Kürzlich war der Pizzakurier schon über eine halbe Stunde zu spät, und ich wollte anrufen. «Please don’t go all boomer on them», bat mich mein Sohn, dem je länger, desto mehr meine Handlungen peinlich sind.
Und trotzdem: Es gibt Gründe für Synchronfassungen
Nun sind die Menschen verschieden und nicht alle gleich sprachbegabt. Es gibt Leute mit Leseschwäche, die Untertiteln schlechterdings nicht folgen können, und solche, die grundsätzlich Mühe haben mit Fremdsprachen. Sie alle sind gewiss nicht faul. Für sie sind Synchronfassungen die einzige Möglichkeit, einen Film überhaupt anzuschauen.
Ausserdem ist unser Gehirn ohnehin so gebaut, dass es möglichst anstrengungsfrei arbeitet. Jede Denkleistung, die nicht unbedingt nötig ist, versucht es zu vermeiden. Die Aussage «Abends bin ich zu faul, mich noch anzustrengen» gründet also nicht nur in einem etwas bequemen Charakter. Sondern auch in zerebraler Ökonomie.
Einladung zur Anstrengung
Trotzdem solltest Du versuchen, deine Lieblingsserie im Originalton anzusehen. Denn auch wenn das Gehirn eine natürliche Abneigung gegen jede vermeintlich unnötige Anstrengung hat, lohnt sich diese dennoch – tatsächlich ist alles, was sich als Errungenschaft bezeichnen darf, nur dadurch möglich. Darum heisst sie ja so: Man hat die Leistung dem Gehirn abgerungen.
Der Lohn für diese Arbeit besteht in besserem Englisch, was sich für alle lohnt, die auf Platz 29 stehen, und einem viel intensiveren Filmgenuss. Synchronfassungen sind letztlich wie Sex ohne Küssen: Kann man machen, ist aber nur halb so lustig.
Du musst ja nicht von null auf hundert gehen. Probiere es einfach mal aus beim nächsten Filmabend. Wenn du es mühsam findest, erinnere dich daran, dass das nur dein Gehirn ist, das dir sagt: «Mann, was soll das, abends bin ich zu faul zum Arbeiten! Und sonst auch!» Sag ihm: «Mag sein, aber ich will besser Englisch sprechen können und die echten Stimmen hören!»
Halte durch, es lohnt sich wirklich. Und wenn du merkst, dass es nichts ist für dich: Auch gut. Beim Filme- und Seriengucken geht es schliesslich nicht in erster Linie um Sprachkompetenz, sondern um Spass. Leute, die das gleichsetzen, sind eh Boomer.
Synchronfassungen
Wie stehst du zu synchronisierten Filmen und Serien?
Abends bin ich tatsächlich zu faul. Und am Wochenende offengestanden auch. Ich schaue alles synchronisiert. Mir fehlt dabei nichts.
16%
Ich schaue natürlich immer im Original – selbst wenn es Mandarin ist. Es gibt ja Untertitel. Anders geht es nicht – ich schaue einen Film lieber nicht, als dass ich ihn synchronisiert schaue.
69%
Ich bin nicht faul. Ich kann einfach nicht gut genug Englisch und auch nicht schnell genug Untertitel lesen. Synchronisierte Fassungen sind für mich ideal.
Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch.