Tile Bluetooth-Tracker: Ein nützliches, fragwürdiges Teil
Der Bluetooth-Tracker von Tile ist saupraktisch. Am liebsten würde ich hier eine uneingeschränkte Kaufempfehlung aussprechen. Das Ding hat aber einen riesengrossen Haken.
Es ist Morgen, die Visage noch ziemlich verpennt, und du bist eigentlich total auf dem Sprung. Du möchtest aber noch den letzten Schluck Kaffee – der ist immer so bitter – runterwürgen, ehe du deine Wohnung verlässt. Nur: der vermaledeite Hausschlüssel ist weg.
Dein Puls beginnt zu rasen. Kalter Schweiss läuft dir hinab. «Der war doch gerade noch da», rufst du in einer Mischung aus Frust und Entsetzen. Das ist wie bei Bilbo Beutlin in «Herr der Ringe», als er seinen Ring verloren hat und wie ein Irrer jeden Winkel seiner beschaulichen Hobbit-Höhle absucht. Zum Glück taucht der Schlüssel – und Bilbos Ring – wieder auf. Aber deinen Zug hast du verpasst.
Ja, dieses fiese Gefühl kenne ich auch. Zum Glück gibt’s Tracker, die das verhindern können. Ich habe einen davon ausprobiert. Zuerst war ich begeistert, aber dann habe ich den Haken entdeckt.
Bluetooth-Tracker von Tile
Im Büro. Ich habe mein Portemonaie mal wieder in die linke statt in die rechte Hosentasche versorgt. So panisch, wie ich mich abtaste, mache ich jeden Security-Typen am Flughafen stolz. Category Marketing Manager Andrea Jacob, die eigentlich wegen ganz was anderem im Redaktionsbüro ist, bekommt Mitleid mit mir.
«Da Luca», sagt sie, «versuch’s mal mit diesen Bluetooth-Trackern».
Sie hält mir ihr kleines, etwa 3.5 × 3.5 cm grosses Tile-Kästchen hin.
Zu allen Tile Bluetooth-Trackern.
Ich bin ein wenig skeptisch.
«Was genau soll das können?»
«Du heftest Tiles an allen Sachen dran, die du nicht verlieren möchtest.»
«Aha.»
«Dann installierst du die Tile-App auf deinem Smartphone und koppelst sie mit deinen Tiles.»
«Und dann trackt mein Handy die Sachen?»
«Ganz genau. Via Bluetooth.»
Das klingt doch vielversprechend, denke ich mir. Andrea kommt später wieder, und gibt mir gleich fünf Packungen mit. Das Bild meiner panischen Sucherei hat wohl folgende Botschaft vermittelt: Ich verliere Wertsachen – ständig.
Na dann. Das kriegt alles ein Tile von mir:
- Portemonnaie
- Hausschlüssel
- Autoschlüssel
- Tasche
- Katze «Miez»
Für «Miez» ist die Tile wohl etwas zu gross. Von Dominiks Wau-Wau-Sportuhr-Text inspiriert ist mein initiales Experiment nie über das fragende Gesicht meiner Katze hinausgegangen.
Und so funktioniert’s
Als erstes musst du dir einen Tile-Account einrichten. Dafür benötigt es deinen Namen und deine Email-Adresse. Öffnest du die App zum ersten mal, ist die Auswahl noch leer. Du wirst aufgefordert, deine App mit Tiles zu koppeln. Übrigens, das spricht sich englisch aus – also «Teil» – du verstehst, wie die Teile, an denen du deine Tiles ranhängst. Guter Wortwitz.
Sobald du das gemacht hast, füllt sich dein Home-Screen mit deinen Sachen.
Um Tiles zu koppeln, klickst du zuerst auf das Plus-Icon oben links, dann wählst du dein Tile-Modell und folgst den simplen Anweisungen auf dem Screen.
Die App hilft dir in folgenden beiden Fällen:
- Du hast eine Tile verloren, die du mit dem Handy gekoppelt hast
- Du verlierst das Handy, womit du deine Tiles gekoppelt hast
Also. Stell dir vor, dein geliebter Hausschlüssel ist weg. Du weisst schon, Bilbo Beutlin und so, voll im Stress. Du öffnest die Tile-App, klickst unter dem Schlüssel-Icon auf «Suchen» und wartest, bis du den Schlüssel bimmeln hörst. Das funktioniert aber nur, wenn du eine (ständig) aktive Bluetooth-Verbindung hast. Denn irgendwie muss dein Handy ja mit den Tiles kommunizieren – auch ausserhalb deiner Wohnung, falls du dich fragst, warum die Tile-App nicht das Heimnetzwerk benutzt.
Du kannst den Spiess auch umdrehen. Passiert's dir mal, dass du dein Smartphone verlierst, dann hast du die Möglichkeit, mit den Tile-Kästchen dein Handy zu tracken. Das heisst, dass du einfach auf den Tile-Knopf in der Mitte drückst, und dein Handy beginnt zu bimmeln.
Kurz vermute ich, eine Schwäche im Konzept gefunden zu haben. Das gebe ich Andrea sofort zu verstehen.
«Aber Andrea, ich könnte ja auch einfach von einem anderen Handy aus mir selber anrufen.»
«Und wenn dein Handy stummgeschaltet ist? Was dann?»
«Oh.»
Das schöne an der Tile-App: Sie bimmelt selbst dann, wenn du dein Handy stumm geschaltet hast. Das ist mega praktisch, kann Google Find my Phone aber auch. Dennoch, wie oft scheitert deine Rückruf-Aktion daran, dass dein Handy irgendwo in den Untiefen deiner Sporttasche oder der Sofaritze unbemerkt vor sich hinvibriert?
Was passiert, wenn's passiert: Verlorene Tiles
Angenommen, du verlierst deinen Autoschlüssel. Und zwar wirklich so, dass er nicht mehr in der Nähe ist. Deine Bluetooth-Verbindung nützt dir jetzt nichts. Wie willst du also deinen Schlüssel tracken?
Hier kommt die Tile Community ins Spiel. Markierst du in der App eines deiner Gegenstände als «verloren», nutzt die App andere Tile-Mitglieder, um deinen verlorenen Autoschlüssel zu finden. Befindet sich tatsächlich ein anderes Mitglied in der Nähe deines Schlüssels, kriegst du eine Push-Benachrichtigung, die dir mitteilt, wo dein Schlüssel zum letzten Mal getrackt wurde.
Ich hab's mit meinem Autoschlüssel ausprobiert.
Das Tracking passiert bei allen Usern im Hintergrund: Du bekommst keine Benachrichtigung, die sagt: «Hey, deine App trackt gerade nach verlorenen Tiles anderer Mitglieder». Ist vielleicht besser so. Bei der dreiundzwanzigsten Push-Benachrichtigung würdest du die App entnervt deinstallieren. Abgesehen davon möchtest du nicht, dass andere Mitglieder wissen, dass du dein Portemonnaie mit ähnlich wertvollem Inhalt wie Frodos Mithril-Kettenhemd – das ist in etwa so viel wert wie das gesamte Auenland – verlegt hast.
Mein «verlorener» Autoschlüssel, den ich natürlich ständig bei mir getragen habe, ist mehrmals an meinem Arbeitsplatz getrackt worden. Ausserdem noch ein weiteres mal am Zürcher HB. Ich frage mich, ob der Schlüssel nicht lange genug an Ort und Stelle verharrt ist, um auch anderswo getrackt zu werden. Das Bluetooth-Tracking funktioniert wohl nur, wenn nicht nur meine Tile stillsteht, sondern auch das Tile Mitglied, das meine Tile gerade trackt.
Gut ist, dass andere Mitglieder anonym bleiben. In keiner Benachrichtigung steht, wer meinen verlorenen Schlüssel getrackt hat. Im Umkehrschluss gehe ich davon aus, dass ich auch anonym bleibe, wenn mein Smartphone zum tracken genutzt wird. Ob ich meine Anonymität gegenüber anderen Usern aufgebe, wenn ich auf den blauen Dankeschön-versenden-Button klicke? Ich probier's aus, und prompt poppt ausgerechnet bei Andreas Tile App folgende Nachricht auf:
Jemand. Das ist gut. Ich bin anonym geblieben.
Der Haken: Nicht ersetzbare Batterien
Gemäss Kundenbewertungen von User Guidostm und Promanens soll die Batterie im kleinen, etwa sechs Gramm schweren Kasten ungefähr ein Jahr halten. Die Batterie selbst ist nicht austauschbar. Das heisst: Nach einem Jahr kaufst du alles neu.
Echt jetzt?
Das haben nicht nur unsere beiden User gefunden, sondern gefühlt das ganze Internet. Oder wenigstens so viele empörte Kunden, dass Tile ein Statement dazu abgegeben hat:
We designed Tiles to last for one year, guaranteed. During that year, you don’t have to worry at all about recharging or replacing the battery of your Tile - just use your Tile with peace of mind.
Zusammenfassend:
- Tile funktioniert nur, wenn die Batterie im kleinen Kasten funktioniert
- Tile garantiert, dass die Batterie ein Jahr lang hält
- Tile garantiert somit, dass seine Geräte ein Jahr lang funktionieren
- Es sei nicht möglich, ein Tile zu designen, dass ein Jahr lang funktioniere und gleichzeitig austauschbare Batterien ermögliche
Dass du also nicht ans Austauschen der Batterien denken musst, sei ein Feature und keine Masche, um dir nach einem Jahr neues Geld aus der Tasche zu ziehen. «Peace of mind» nennen sie das. Dass ich nicht lache. So eine Behauptung fasse ich schon fast provokativ auf.
Ehrlich: Im Jahr 2018 sind nicht ersetzbare Batterien reine Profitgier. Egal, ob in 3D-Brillen, Uhren, Smartwatches, Taschenrechner oder-wo-auch-immer: Ersetzbare Knopfzellen gibt es überall und sind keine Raketenwissenschaft. Die Ausrede mit der Garantie nehme ich Tile nicht ab und ist ein Witz. Im Grunde sagen sie: «Die Garantie gibt's solange das Gerät funktioniert. Und das Gerät funktioniert länger, als seine Batterie hält».
Oder zynischer: Kauf es, wirf es weg, und kauf ein Neues.
Viel schlimmer ist aber Tiles Tauschangebot. Wendest du dich direkt an Tile, kannst du dein altes Gerät gegen ein neues eintauschen und kriegst ungefähr 30-40% Rabatt. Das ist im Grunde ein Aboservice unter dem Deckmantel des guten Kundenservices. Was Tile hier macht, ist geplante Obsoleszenz in Perfektion: Statt einmal bei dir abzukassieren und dich die Batterien selber austauschen zu lassen, sollst du im ganz genau festgelegten Einjahresrhythmus immer wieder zurückkommen.
Ein paar Worte zum Datenschutz
Tile ist dazu da, dich darüber zu informieren, wo sich deine Gegenstände befinden. Dafür muss Tile Daten zu deinem Standort sammeln. Behagt dir das nicht, dann lässt du die Sache mit Tile lieber bleiben. Das bedeutet nicht, ich nehme Datenschutz nicht ernst. Ich meine, die App trackt nicht nur Gegenstände, sondern auch seine Mitglieder. Irgendwie interessiert es mich also schon, wer davon erfährt und in welchem Ausmass.
Quelle: David Lee
Also. Tile sammelt deine persönlichen Daten. Allerdings bleibst du für andere Tile-Mitglieder oder Drittanbieter so lange anonym, bis du etwas anderes bestimmst.
Verwendest du die mobile App, verfolgt Tile:
- Deinen Standort sowie den Standort der gekoppelten Tiles
- Wie und wie oft du die App verwendest
- Datum und Uhrzeit deiner Suchanfragen in der App
- Informationen zum Modell deines Smartphone-Geräts und dessen Betriebssystem
Tile sagt, dass sie damit ihre User besser verstehen und Inhalte auf sie zuschneiden wollen. Na klar. Tile versichert aber auch, dass keinerlei Daten an Dritte weitergegeben werden. Immerhin. Das gilt allerdings nur solange, wie du deinen Tile Account nicht mit einem deiner Social-Media-Konten koppelst. Denn Tiles Datenschutzbestimmungen gelten natürlich nicht für Facebook, Twitter und Konsorten.
Die Server, auf denen deine persönlichen Daten gesammelt werden, stehen offenbar in San Mateo, Kalifornien, USA.
Fazit: Was taugt Tile?
Die App hat sich in den vergangenen drei Monaten schon etliche male bewährt. Fast schon ein bisschen unangenehm, das so offen zuzugeben.
Dafür bin ich mir aber ziemlich sicher, dass ich einige persönliche Daten in puncto Privatsphäre eintausche. Was mich beruhigt: Für den Betrachter bleibe ich anonym. Und – andere Mitglieder erfahren nie, was ich verliere, und wann ich es verliere. Selbst dann nicht, wenn ich auf die Community zurückgreife, um verlorene Tiles zu finden.
Meinen Account verknüpfe ich bewusst nicht mit sozialen Netzwerken. Das empfehle ich dir ganz stark. Denn so verhinderst du, dass deine persönlichen Daten via Social Media an Dritte und weitere Werbetreibende geraten. Denn Tiles Datenschutz-Richtlinien geben vor, dass nichts an Dritte weitergegeben wird. Die Büchse der Pandora öffnest du erst, wenn du einwilligst, dass Facebook oder andere soziale Apps auf die Daten zugreifen. Dass deine Daten vor Hacker-Angriffen geschützt sind, kann ich dir dennoch nicht garantieren. Wer kann das schon?
Also. Die App ist toll. Aber die Sache mit der Batterie: Uncool. Wirklich. Sie hinterlässt einen verdammt fahlen Nachgeschmack, der mich davon abhält, dir eine uneingeschränkte Kaufempfehlung zu geben. Nicht, dass es ein Weltuntergang wäre, jedes Jahr neue Tiles zu kaufen. Aber die Art und Weise, wie Tile dir das schmackhaft machen möchte: Widerlich.
Titelbild von David LeeAbenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»