Tim Hänni im Interview: ein Schweizer auf dem Weg in die NFL
Hintergrund

Tim Hänni im Interview: ein Schweizer auf dem Weg in die NFL

Jan Johannsen
22.9.2022

Tim Hänni spielt in der höchsten europäischen Liga für American Football und hat die Chance, den Sprung in die NFL zu schaffen.

Mit den Hamburg Sea Devils steht Tim Hänni im Finale der European League of Football (ELF) und hat kurz danach beim International Combine die Chance, sich für die NFL zu empfehlen.

128 Kilogramm verteilt auf 196 Zentimeter: Tim Hänni ist auf dem Feld eine eindrucksvolle Erscheinung, wenn er aus als Verteidiger aus der Defense Liner den gegnerischen Quarterback jagt oder den Lauf des Running Backs beendet. Der 25-Jährige aus Köniz bei Bern hat sich im Frühjahr 2022 den Hamburg Sea Devils angeschlossen. Damit hat er ein glückliches Händchen bewiesen und sich für das erfolgreichste Team der aktuellen Saison der European League of Football (ELF) – der europaweiten Liga im American Football – entschieden. Der Schweizer Nationalspieler kann die Saison Ende September mit einem Titel krönen und hat danach die Chance, den Sprung in die US-Profiliga NFL zu schaffen.

In den zwölf regulären Saisonspielen war Tim Hänni mit 41 Tackles einer der Pfeiler der insgesamt sehr gut aufgestellten Defense der Hamburg Sea Devils. Gegnerische Ballträger brachte er 14,5 Mal für einen Raumverlust zu Boden – davon 6,5 Mal den Quarterback. (0,5 Punkte verzeichnet die Statistik, wenn zwei Spieler zusammen das Tackle machen.) Einmal stoppte er die Offense sogar in ihrer eigenen Endzone und erzielte damit einen Safety – zwei Punkte – für sein Team.

Tim Hänni am Rande eines Spiels der Hamburg Sea Devils.Foto: Holger Beck.
Tim Hänni am Rande eines Spiels der Hamburg Sea Devils.Foto: Holger Beck.

Tim, wie bist du zum Football gekommen?
Das war 2011. Ich war damals mit der Familie in Spanien zum Camping. Da habe ich andere junge Leute kennengelernt, ein bisschen am Strand gechillt. Da war – aus meiner damaligen Perspektive – so ein Riesentyp dabei. Benjamin hieß der. Den habe ich gefragt: «Was machst du für einen Sport?» Er spielte Football bei den Grizzlies in Bern. Da habe ich mir gesagt, damit fange ich nach den Ferien direkt an. Und seitdem bin ich dabei.

Welche Stationen hast du in der Schweiz durchlaufen?
Ich war immer bei den Grizzlies. Ich musste direkt mit 14 Jahren in die U19 einsteigen. Damals gab es in Bern noch keine U16, der Sport war noch zu unbekannt. Nach fünf Jahren in der U19 bin ich dann mit 19 in die Kampfmannschaft der Grizzlies, das Senior Team, gewechselt. Mit 17 habe ich es außerdem in die U19-Nationalmannschaft geschafft und dort zwei Jahre gespielt. Danach musste ich mich neu für die Herren-Nationalmannschaft qualifizieren.

Was war dein bisher größter Erfolg?
Das ist einfach. Das war 2016, als wir mit den Grizzlies Schweizer Meister wurden. (Was den Grizzlies 2022 wieder gelang, Anmerkung der Redaktion.) Mit der Nationalmannschaft waren wir in der Zeit leider nicht so erfolgreich. Offense und Defense sind da zwar gut aufgestellt, aber es fehlt in der Schweiz der Quarterback, um mit den Top-Nationen mithalten zu können.

Wie hat es dich nach Hamburg zu den Sea Devils verschlagen?
Ich wollte nach der letzten Saison mit den Grizzlies eine neue Herausforderung. Ich wollte in einer bisschen höheren Liga zocken. Ich habe mir dann ein Profil bei «Europlayers», einer Vermittlungsseite für Footballspieler, erstellt und hatte danach auch Gespräche mit mehreren Teams aus der German Football League. So kam auch der Kontakt zu Kendral Ellison, dem Defense Coordinator der Sea Devils, zustande. Nach ein paar Zoom-Meetings hatte ich direkt einen sehr guten Draht zu ihm. Mein Herz hat einfach gesagt: «Hamburg, ich muss nach Hamburg.» Darauf habe ich gehört und es war die beste Entscheidung ever. Es sind sehr geile Leute hier. Der Coaching Staff ist kompetent und sympathisch und ich bin besser als letztes Jahr. Das war das Ziel.

Wie sieht während der Saison eine typische Woche für dich als Spieler aus?
Das ist eine Vollzeitbeschäftigung hier in Hamburg. Der Montag beginnt mit Fitnesstraining. Nachmittags ist dann das Video-Meeting. Da bereiten wir das Spiel vom vorherigen Wochenende mit Videoanalysen auf und schauen auch schon Szenen vom nächsten Gegner in Vorbereitung auf das Spiel am kommenden Wochenende. Am Dienstagmorgen steht wieder Fitness an und am Nachmittag gehen wir auf den Trainingsplatz. Mittwoch und Donnerstag sehen genau gleich aus. Freitag ist ein bisschen entspannter. Da steht nur Fitness an und dann etwas Recovery. Unser Partner-Gym hat auch einen Spa-Bereich. Das tut wirklich gut. Dazu kommen noch weitere Meetings für verschiedene Teamteile und Positionsgruppen. Zwischendurch steht immer wieder Selbststudium an. Wenn noch Zeit ist, schaue ich alleine Videos von Spielen an, um meine Fehler zu erkennen und Schwachstellen der Gegner zu entdecken.

Mit nur einer Niederlage in zwölf Spielen hat dein Team die beste Saisonbilanz der Liga. Im Halbfinale hatten die Tirol Raiders keine Chance. Wie siehst du eure Chancen im Finale in Klagenfurt am 25. September gegen die Vienna Vikings? Es ist ja immerhin das erste Aufeinandertreffen mit den Sea Devils und die Vikings wurden bereits vor der Saison als Titelfavorit gehandelt.
Das ist genau der Grund, warum wir das Finale lieben. Wir wollen beweisen, dass wir mit den Vikings auf Augenhöhe sind. Meiner Meinung nach sind wir sogar besser. Unsere Chancen stehen gut. Wir haben zwei Wochen Zeit, uns vorzubereiten und probieren wirklich, alles herauszuholen. Wir haben ein sehr geiles Team. Das gilt für die Offense und Defense. Und wir haben einen hervorragenden Coaching Staff, der sich wirklich ins Zeug legt, um uns perfekt vorzubereiten und zum Beispiel noch die Signale des Quarterbacks zu optimieren. Also unsere Chancen stehen sehr, sehr gut.

Kein Durchkommen für den Running Back der Tirol Raiders. Tim Hänni bringt ihn zu Boden. Foto: Holger Beck
Kein Durchkommen für den Running Back der Tirol Raiders. Tim Hänni bringt ihn zu Boden. Foto: Holger Beck

Im Oktober bist du zum International Combine der NFL in London eingeladen, wo du vor den Augen von NFL-Scouts Drills absolvierst. Musstest du dich dafür bewerben oder flatterte plötzlich eine Einladung bei dir ins Haus?
Da kam ein Scout auf mich zu. Der hat mir per WhatsApp geschrieben, dass er kurz mit mir telefonieren möchte. Wir haben dann am nächsten Tag ein wenig geschnackt. Er wollte ein paar Background-Informationen haben. Wo habe ich gestartet? Wo war ich schon überall? Wie lange spiele ich schon? Größe, Gewicht etc. Ich musste noch ein NFL-Formular ausfüllen und habe dann nichts mehr gehört. Etwa drei Wochen später, kurz vor dem offiziellen Announcement des International Combine auf Instagram und Twitter, habe ich eine E-Mail bekommen, dass ich eingeladen bin. Das war natürlich sehr, sehr geil.

War das ein Scout von der NFL allgemein oder von einem speziellen Team?
Das ist ein Scout vom IPP, dem International Pathway Program der NFL. Er ist für Europa zuständig und schaut sich europäische Spieler an.

Bereitest du dich speziell auf den Combine, bzw. seine Drills vor?
Das ist schwierig. Das ist ja nur eine Woche nach dem ELF-Finale. Ich bin zwar durch die Saison in Form, aber 14 Spiele über den Sommer hinterlassen auch ihre Spuren. Beim Combine geht es sehr stark um Athletik. Ich bin vielleicht etwas schwächer und langsamer als zu Saisonbeginn. Ich probiere, das zu kaschieren und bis Anfang Oktober noch ein bisschen Speed reinzubekommen. Aber es wird schwierig, sich akribisch vorzubereiten.

Welche Chancen rechnest du dir beim International Combine aus?
Das ist schwierig zu sagen, aber genau darum gibt’s ja den Combine. Da sehen die Scouts , mit wem sie in der NFL arbeiten können und mit wem nicht. Ich kann nicht sagen, wo ich stehe. Ich gehe da blind hin und gebe mein Bestes. Der Rest wird sich ergeben.

Solltest du beim Combine überzeugen und den Sprung in die USA schaffen, wärst du der erste Schweizer in der NFL?
Ja, ich wäre der erste Schweizer. Manche sagen zwar, Ben Roethlisberger, der ehemalige Quarterback der Pittsburgh Steelers, wäre über sieben Ecken und irgendwelche Vorfahren Schweizer. Aber das zählt nicht.

Noch einmal zurück zur ELF. Die Liga wächst weiter und startet nächstes Jahr mit einem Team in der Schweiz, den Helvetic Guards in Zürich. Wird das die Football-Begeisterung in der Schweiz weiter pushen oder ist die schon groß genug?
Nein, am Limit ist die Begeisterung auf jeden Fall nicht. Das Interesse am Sport wächst stetig und wird jetzt natürlich durch das ELF-Team in der Schweiz noch einmal gepusht. Die Medienpräsenz um die Helvetic Guards wird das Thema Football in der Schweiz noch einmal mehr in den Vordergrund rücken und das freut mich riesig.

Zum Abschluss noch ein kleiner Blick in die Glaskugel: Falls die NFL-Karriere nicht klappt, sehen wir dich nächstes Jahr wieder in Hamburg und wirst du zum Local Hero in Zürich?
Da bin ich ehrlich, das weiß ich noch nicht. Sollte es mit dem IPP nicht klappen, gehe ich zurück in die Schweiz und werde ein wenig abseits vom Football arbeiten. Und dann wird für die nächste Saison wieder mit verschiedenen Teams verhandelt. Da schaue ich natürlich, worauf ich Bock habe. Wo ist das Team gut, wie steht die Organisation da? Aber das wird sich später entscheiden. Jetzt kommt zuerst das Finale und dann schaue ich weiter.

Danke für das Interview und als Hamburger wünsche ich dir natürlich viel Erfolg im ELF-Finale.

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Als Grundschüler saß ich noch mit vielen Mitschülern bei einem Freund im Wohnzimmer, um auf der Super NES zu spielen. Inzwischen bekomme ich die neueste Technik direkt in die Hände und teste sie für euch. In den letzten Jahren bei Curved, Computer Bild und Netzwelt, nun bei Galaxus.de. 


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