«Twisters»: Endlich wieder ein mitreissender Katastrophenfilm
Kritik

«Twisters»: Endlich wieder ein mitreissender Katastrophenfilm

Luca Fontana
17.7.2024

Gute Katastrophenfilme sind rar gesät, aber «Twisters» gehört dazu. Nicht wegen der Story oder der Charaktere, die zu klischeehaft sind. Es sind die beeindruckenden Bilder, die den Film aus der Masse herausheben.

Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.

Als «Twister» im Mai 1996 in die Kinos kam, war der von Jan de Bont inszenierte Actionkracher weit mehr als nur ein Film über schlechtes Wetter. Es war eine technische Revolution. Ein Meilenstein der Computer- und Soundeffekte, der trotz seines Spektakels seine Figuren nie aus den Augen verlor. Wir erinnern uns: Bill (Bill Paxton), ein ehemaliger Sturmjäger, kehrt doch nochmals nach Oklahoma zurück, um mit seiner Ex-Frau Jo (Helen Hunt) eine letzte, epische Sturmjagd zu unternehmen.

Heute, fast 30 Jahre später, wäre es ein Leichtes, den Erfolg von «Twister» bloss an dessen Spezialeffekten festzumachen. Schliesslich gab es 1996 noch kein Youtube. Kein Social Media. Die zerstörerische Natur von Tornados sah man höchstens in den Nachrichten. «Twister» befriedigte zwar unser voyeuristisches Lechzen nach der schrecklichen, aber faszinierenden Zerstörung. In seinem Kern ging’s aber um die Menschen. Um Traumabewältigung. Um Freundschaft.

Und um fliegende Kühe.

«Twisters», die Fortsetzung, hat zwei Probleme: Erstens sind verstörende Bilder von Naturgewalten nur einen Klick entfernt; wir brauchen keinen Film mehr, um uns wie echte Sturmjäger zu fühlen, die für wissenschaftliche Erkenntnisse und den Adrenalinkick ihr Leben riskieren. Zweitens gaben Helen Hunt und Bill Paxton der hanebüchenen Story von «Twister» die nötige Glaubwürdigkeit, um das Publikum mitzureissen. «Twisters» fehlen solche Grössen.

Und trotzdem: Wenn nach 122 Minuten der Abspann läuft, stelle ich erleichtert fest, dass «Twisters» mehr als nur solide Unterhaltung bietet – und einen befriedigenden Hauch von 1990er-Nostalgie. Würde ich ihn wieder schauen? Ja, vor allem wegen seiner spektakulären Bilder.

Darum geht’s in «Twisters»

Kate (Daisy Edgar-Jones) hat der Sturmjagd eigentlich abgeschworen, als vor fünf Jahren ein von ihr geleitetes Studienprojekt dramatisch endete: Drei ihrer besten Freunde wurden in einen Tornado gerissen und getötet. Ihre angeblich unfehlbare Intuition für Tornados? Vom Winde verweht. Seitdem studiert sie Stürme in New York City aus sicherer Entfernung – auf Computerbildschirmen.

Dann überredet sie ausgerechnet Javi (Anthony Ramos), ihr einziger überlebender Freund des vergangenen Dramas, nach Oklahoma zurückzukehren – ihrer Heimat, der sogenannten «Tornado Alley». Dank eines unbekannten Geldgebers hat Javi Zugang zu einem neuartigen Ortungssystem, das Tornados umfassender scannen und besser vorhersagen soll. Aber um die Systeme korrekt zu platzieren, braucht Javi Kates sechsten Sinn als Vollblut-Sturmjägerin.

Während Kate allmählich die wahren Absichten von Javis Geldgeber herausfindet, kreuzen sich ihre Wege mit denen des unerträglich arroganten Draufgängers und Social-Media-Stars Tyler Owens (Glen Powell). Er will Stürme nicht nur jagen, sondern «bändigen». Doch auch hinter seiner Fassade verbirgt sich mehr, als Kate zunächst annimmt.

Eine willkommener, nostalgischer Trip

Ich wusste anfangs nicht so recht, was ich von «Twisters» erwarten sollte. Oder besser gesagt, ich hatte eine Befürchtung, die ich nicht recht aussprechen wollte, weil ich das Original zu sehr schätze: auf Hochglanz polierter Schrott, der mit übertrieben eingesetzten Computereffekten eine dünn gespannte Story und oberflächliche Charaktere kaschieren soll.

Schlimmer noch: eine Neuauflage, die den erfolgreichen Namen eines Franchise aus den Neunzigern nimmt, es in die 2020er-Jahre bugsiert und ein paar Gastauftritte alternder Charaktere einbaut – alles so vermurkst, dass es mir im Herzen wehtut.

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«Twisters», das kann ich mit gutem Gewissen sagen, ist nichts davon. Denn der neue Katastrophenfilm ist schon mal keine direkte Fortsetzung des Originals aus den Neunzigern. Abgesehen von den Tornados gibt es kaum Verbindungen zwischen den Filmen. Auch keine billigen Gastauftritte, die man für den Trailer hätte nutzen können, um künstlich Hype für die Neuauflage zu erzeugen.

Richtiggehend begeistert bin ich aber davon, wie «Twisters» aussieht. Entgegen meiner Befürchtungen wurde nämlich nichts übertrieben poliert, entrauscht oder stark bearbeitet, wie es bei vielen heutigen digitalen Produktionen der Fall ist. Das verleiht ihnen diesen unheimlich faden und langweiligen Look, der dir vielleicht auch schon aufgefallen ist.

  • Hintergrund

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Stattdessen setzt Regisseur Lee Isaac Chung, 2020 für «Minari» gar für den Oscar in der Kategorie «Beste Regie» nominiert, buchstäblich auf Film. Dazu noch auf Kodak-Kameras, wie sie in den 1970ern und 1980ern benutzt worden sind. Etwa bei Filmen wie «Star Wars» oder «Indiana Jones».

So sieht auch «Twisters» gerade in seinen Landschaftsaufnahmen wohlig-warm und nostalgisch aus: Stell dir saftig-grüne Felder mit kilometerlangen, terracotta-farbenen Schotterstrassen vor. Im Hintergrund ein schauderhaft-schöner Sturm, dessen kreisende, dunkelgraue Wolkenformationen das drohende Desaster ankündigen. Jep, so geht Gänsehaut. Besonders, wenn du das Spektakel auf einer IMAX-Leinwand geniessen darfst.

Das Kind der 90er in mir jubelt. Ich wähne mich wieder irgendwo zwischen 1993 und 1996, als ich zum ersten Mal «Jurassic Park» und «Twister» sah.

Die rohe Kraft der Natur

Apropos: Die Tornados sind die klaren Stars des Films. Sie sind brutal, grausam und töten ohne Skrupel – und trotzdem schafft es «Twisters», auch ihre Ehrfurcht gebietende Schönheit einzufangen.

Etwa in jener Szene, in der Kate und Tyler ihren Begleitern im Auto erklären, wie ein Tornado «geboren» wird. Zuerst rezitieren sie klischeehaft ganz viel wissenschaftliches Kauderwelsch. Dann aber kommt Tyler zum Punkt: «Ein Tornado ist eine Mischung aus allem, was wir wissen und was wir nicht verstehen. Es ist nicht nur Wissenschaft. Es ist auch Religion.» Passend dazu im Hintergrund: Filmmusik mit Engelsgesang.

Voilà: pure Poesie.

Es ist diese Kombination aus fortschrittlichen Computereffekten und einer Soundkulisse voller Groll, die wahnsinnig unter die Haut geht. Insbesondere bei jenem Tornado, der nachts eine Rodeo-Show «überfällt» und nur in jenen Sekundenbruchteilen zu sehen ist, in denen Blitze den tobenden Nachthimmel erleuchten. Gemixt werden die erschreckend fotorealistischen Wirbelstürme mit praktischen Effekten und ganz, ganz viel Schmutz und Wasser, das den Akteuren fast pausenlos direkt ins Gesicht spritzt.

Die rohe Gewalt der Natur – sie ist in jedem Frame zu spüren.

Seichte Story? Oberflächliche Charaktere? Check

Ich schrieb ja eingangs: «Twister» hätte man auch eine hanebüchene Story vorwerfen können, die mehr dazu da ist, einen Sturm nach dem anderen zu inszenieren. Aber mit Helen Hunt und Bill Paxton, schon damals respektable Hollywood-Grössen, hatte man Schauspiel-Kaliber, die die Story problemlos tragen und sogar tiefschürfender erscheinen lassen konnten, als sie war.

In «Twisters» fehlen solche Grössen. Dadurch wirkt die Story auffallend flach. Genauso wie die Charaktere. Kate zum Beispiel, gespielt von der aufstrebenden Daisy Edgar-Jones. Ähnlich wie Helen Hunt damals verkörpert sie eine leidenschaftliche Sturmjägerin, die Tornados und ihre Wege besser vorhersagen kann als jedes Computermodell; sie greift lieber auf traditionelle Mittel zurück. Etwa Pusteblumen. Einer Helen Hunt nehme ich das ab. Daisy Edgar-Jones hingegen fehlt die Gravitas, um mich so einfach an den üblichen Klischees vorbei schielen zu lassen.

Kate, Javi und Tyler sind kein Ersatz für Helen Hunts Jo und Bill Paxtons Bill – aber gut genug, um den Film trotzdem irgendwie zu tragen.
Kate, Javi und Tyler sind kein Ersatz für Helen Hunts Jo und Bill Paxtons Bill – aber gut genug, um den Film trotzdem irgendwie zu tragen.
Quelle: Warner Bros.

Natürlich dürfen die stereotypen Sturmjäger-Truppen nicht fehlen. Auf der einen Seite sind da die arroganten Genies mit akademischen Titeln, schicken Uniformen und weiss der Kuckuck was. Auf der anderen Seite die groben Haudegen mit ihren lockeren Sprüchen, die dafür eine unübertroffene Felderfahrung besitzen – und ein Herz am rechten Fleck. Als Zuschauer ist mir von Anfang an klar, auf welcher Seite ich mich zu schlagen habe. Mehr Klischee geht fast nicht.

Aber das war 1996 auch nicht anders.

Nur Glen Powells Figur Tyler sticht aus dieser Masse heraus – arrogant und doch unglaublich stilsicher. Das liegt weniger am Drehbuch als vielmehr an Glen Powell selbst. Sein Charisma könnte tatsächlich einen Tornado einfangen und zähmen. Vielleicht bin ich aber auch voreingenommen, weil ich ihn seit «Hidden Figures» und «Top Gun: Maverick» einfach zu sehr mag, um seine Leistung objektiv zu bewerten.

Fazit

Genau das, was ich von einem Sommer-Blockbuster will

Ja, die Story und die Charaktere sind flach und stecken voller Klischees. Einzig Glen Powell kann knapp mit der Star-Power von Helen Hunt und Bill Paxton mithalten. Dennoch reicht das Gebotene aus, um genug Leinwand-Chemie zu erzeugen – ein schauspielerisches «Independence Day 2»-Desaster bleibt aus.

Was «Twister» und «Twisters» sicherlich gemeinsam haben, ist die packende Inszenierung der rohen Naturgewalten. Mehr als einmal konnte ich im Kinosaal nicht anders, als anerkennend zu nicken. Ich mag Katastrophenfilme, aber wirklich gute gibt es nur wenige. «Twisters» darf sich zu den Guten zählen, trotz seiner Story-Macken.

Das liegt daran, dass die Neuauflage nicht dem faden digitalen Look moderner Remakes nacheifert. Im Gegenteil: «Twisters» präsentiert sich in seiner Bildsprache unheimlich schön und old-school, gedreht mit Kodak-Kameras auf Film, ohne viele Möglichkeiten der digitalen Nachbearbeitung. Das rechne ich «Twisters» verdammt hoch an. Ein Hauch 1990er-Nostalgie? Nein, mehr noch: ein Sturm.

Kinostart ist der 17. Juli.

Titelbild: «Twisters» / Warner Bros.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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