US-Parlament beschliesst: TikTok wird amerikanisch oder wir verbieten die App – was steckt dahinter?
Hintergrund

US-Parlament beschliesst: TikTok wird amerikanisch oder wir verbieten die App – was steckt dahinter?

Nach dem Repräsentantenhaus hat auch der Senat dem Ultimatum an TikTok-Besitzerin ByteDance zugestimmt. TikTok wird entweder an eine US-Firma verkauft oder wird verboten. Die Eigentümer wollen aber nicht verkaufen. Was passiert nun?

Die US-Regierung will der TikTok-Mutterfirma ByteDance ein Ultimatum stellen: Entweder wird die App an ein US-Unternehmen verkauft, oder aber sie verschwindet aus den App Stores von Google und Apple (und vermutlich auch Microsoft). Nachdem der Vorstoss zu einem entsprechenden Gesetz vom Repräsentantenhaus bereits am Wochenende gutgeheissen wurde, stimmte am 23. April 2024 auch der Senat zu. Sehr deutlich sogar: von 97 anwesenden Senatoren und Senatorinnen waren 79 dafür. Nun muss nur noch US-Präsident Biden die Gesetzesvorlage unterschreiben. Dieser hat bereits gesagt, dass er dies tun wird – und zwar heute, am 24. April 2024. Gemäss dem Gesetz muss TikTok-Besitzerin ByteDance bis zum Ende dieses Jahres einen Käufer finden, soll die App weiterhin in den USA verfügbar sein.

Wieso geht die USA derart rabiat vor?

Der Kurzvideodienst TikTok ist auf der ganzen Welt verbreitet, besonders bei jungen Leuten. Allein in den USA befindet sich die App bei über 170 Millionen Menschen auf dem Smartphone – das ist rund die Hälfte der US-Bevölkerung.

Der Senat und das Repräsentantenhaus möchten aus TikTok eine US-App machen.
Der Senat und das Repräsentantenhaus möchten aus TikTok eine US-App machen.
Quelle: Shutterstock

Dass die beliebte App aus China stammt, ist vielen US-Politikern und -Politikerinnen ein Dorn im Auge. Die App und ihre grosse Verbreitung in den USA wird als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Sowohl Demokraten wie Republikaner behaupten, dass ByteDance die Nutzerdaten an die chinesische Regierung weitergibt. Dadurch könne China US-Bürger und -Bürgerinnen ausspionieren. Ausserdem befürchtet die US-Regierung, dass TikTok zu antiwestlicher Propaganda missbraucht wird. Etwa durch Fake News über die USA oder die Demokratie insgesamt.

Wem gehört TikTok?

Die Besitzer haben ihre Ablehnung gegenüber einem Verkauf bereits kundgetan. Sowohl die Muttergesellschaft ByteDance als auch TikTok selber bestreiten die Anschuldigungen aus den USA. Sie monieren eine mangelnde Beweislage für den Vorwurf, dass der chinesische Staat Zugriff auf die Nutzerdaten habe.

ByteDance sei gar nicht in chinesischer Hand, sagt das Unternehmen
ByteDance sei gar nicht in chinesischer Hand, sagt das Unternehmen
Quelle: Shutterstock

Ausserdem sei die Mehrheit des Unternehmens ByteDance gar nicht in rein chinesischer Hand. Lediglich 40 Prozent gehören zu gleichen Teilen Angestellten der Firma und deren Gründer. Rund 60 Prozent des Unternehmens sind aufgeteilt in Investorenfirmen auf der ganzen Welt (Seite 9/10), darunter auch US-Firmen.

Dabei besonders interessant: Ein grosser Teil dieser 60 Prozent gehört der US-amerikanischen Susquehanna International Group. Mitgründer und Direktor dieses Unternehmens ist US-Amerikaner Jeffrey Yass – einer der Hauptgeldgeber der Republikanischen Partei im aktuellen Wahlkampf. Ex-Präsident und aktueller Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat bereits 2020 versucht, TikTok zum Verkauf zu zwingen, ist vor Gericht aber gescheitert. Mittlerweile ist der Republikaner von seiner früheren Meinung abgerückt.

Für die US-Politiker und -Politikerinnen sind die genauen Besitzverhältnisse aber nicht entscheidend. Vielmehr sei das wesentliche Problem, dass ByteDance seinen Firmensitz in Peking habe, wo man sich des Einflusses der chinesischen Regierung nicht erwehren könne.

ByteDance wird vor Gericht ziehen

TikTok-CEO Shou Chew hat bereits angekündigt, gegen das Gesetz vorgehen zu wollen. Es beschneide das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dies hat bereits bei Trumps Versuch 2020 funktioniert. US-Gerichte waren der Ansicht, dass das Gesetz einen Verstoss gegen den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung darstellt und es darum eingefroren.

TikTok-CEO Shou Chew will das Gesetz anfechten.
TikTok-CEO Shou Chew will das Gesetz anfechten.
Quelle: Shutterstock

Zudem könnte China intervenieren, indem sie den Verkauf «heikler Technologien» ins Ausland verbieten. Der Algorithmus – letzten Endes der Schlüssel zum monetären Erfolg der App – könnte in diese Kategorie fallen. China hat auch bereits Andeutungen in diese Richtung gemacht. Würden beide Staaten auf ihrer jeweiligen Position beharren, wäre dies das Aus von TikTok in den USA.

Wer kauft TikTok?

Sollte der Fall eintreten, dass ByteDance vor Gericht unterliegt und China ebenfalls nichts unternimmt, könnte TikTok zum Verkauf stehen. Das würde aber teuer. Der geschätzte Wert der App beträgt laut Bloomberg etwa 270 Milliarden US-Dollar. Tech-Analyst Dan Ives spekuliert über Microsoft und das Softwareunternehmen Oracle – dann aber ohne den Algorithmus im Hintergrund. Die App würde also neu programmiert. Andere Social-Media-Riesen wie Google oder Meta, die solche Beträge aufbringen könnten, kommen wegen kartellrechtlicher Umstände eher nicht in Frage.

Was bedeutet das für europäische User?

Zunächst wird sich die ganze Geschichte noch ziehen. Auch bei einem US-Bann der App wäre TikTok in Europa noch erhältlich. Zudem würde sich das Entfernen der App nur auf neue Downloads beziehen. TikTok wäre nach wie vor auf Millionen von US-Geräten installiert. Zudem wäre die App über Drittstores vermutlich auch in den USA noch immer verfügbar. Gleiches gilt zum Beispiel auch für US-Apps auf Huawei-Smartphones, die mit einigen Tricks und Kniffen nach wie vor nutzbar sind. Ohnehin hat TikTok aber auch in Europa zu kämpfen. Diese Woche eröffnete die EU-Kommission eine Untersuchung gegen die Plattform wegen möglichen Verstössen gegen den Digital Services Act.

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Dennoch würden die Inhalte sicher weniger. Dadurch würde TikTok sowohl für Investoren als auch für Influencer und Influencerinnen finanziell weniger attraktiv. Allerdings: Sollte vor Jahresfrist keine Einigung erzielt werden, könnte ein allfällig neuer US-Präsident im kommenden Jahr eine andere Lösung anstreben.

Titelbild: Shutterstock

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Seit ich herausgefunden habe, wie man bei der ISDN-Card beide Telefonkanäle für eine grössere Bandbreite aktivieren kann, bastle ich an digitalen Netzwerken herum. Seit ich sprechen kann, an analogen. Wahl-Winterthurer mit rotblauem Herzen.


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