Meinung

Vertikale Browser-Tabs und das Problem der Umgewöhnung

David Lee
2.6.2023

Die vertikale Tab-Anordnung scheint mir sinnvoll. Aber die Umgewöhnung braucht Zeit. Viele Oberflächen-Verbesserungen berücksichtigen zu wenig, dass Effizienz in erster Linie auf Gewöhnung basiert.

Neuerdings kann der Browser Brave geöffnete Tabs auch vertikal statt horizontal anordnen. Gewisse Browser können das anscheinend schon länger, aber für mich ist das neu. Die Option habe ich aktiviert, weil sie mir praktisch scheint. So sehe ich auch bei vielen offenen Tabs die Beschriftung. In der horizontalen Anordnung sehe ich nur das Icon und allenfalls zwei, drei Anfangsbuchstaben. Sind mehrere Seiten mit dem gleichen Icon offen, kommt es zu Verwechslungen.

Horizontal sehe ich die Tab-Beschriftungen nicht.
Horizontal sehe ich die Tab-Beschriftungen nicht.
Quelle: David Lee
Vertikal ist das besser. Dafür finde ich mich nicht mehr zurecht.
Vertikal ist das besser. Dafür finde ich mich nicht mehr zurecht.
Quelle: David Lee

An diesem ersten Tag habe ich grosse Mühe mit der Umstellung. Browser-Tabs setzten sich Anfang der Nullerjahre durch. Das heisst, dass ich seit über 20 Jahren jeden Tag mit Tabs operiere. Der Umgang mit ihnen ist tief im Hirn eingebrannt.

Dennoch werde ich mich wohl bald daran gewöhnen. Und wenn nicht, mache ich die Einstellung wieder rückgängig. Kein Problem also.

Die Änderung erinnert mich aber an etwas, das ich durchaus als Problem empfinde.

Die Menüs einer Software, die Anordnung von Buttons, die Navigation einer Website: Das alles wird oft und fleissig umgestellt. Nicht immer ist der Grund klar, und längst nicht immer sind die Änderungen freiwillig. Da wird ein Update ausgerollt, und plötzlich findest du nichts mehr, wo du dich vorher im Schlaf zurechtgefunden hast.

Solange ich weiss, wo ich etwas finde, ist es mir egal, ob es oben, links, unten oder sonst irgendwo platziert ist. Aber ich bin auf eine gewisse Kontinuität angewiesen. Auf gewisse Konventionen. Zum Beispiel, dass der Zurück-Pfeil links zu suchen ist und nicht rechts.

In der physischen Welt gibt es aus diesem Grund Standards. Da kommt niemand und sagt: Wir haben da mal kurz etwas umgestellt: Schrauben lösen sich jetzt nicht mehr gegen den Uhrzeigersinn, sondern im Uhrzeigersinn.

Klar ist das Neue oft besser. Mit dem ergonomischen DVORAK-Layout hätte ich wahrscheinlich schneller tippen gelernt als mit dem gängigen QWERTZ-Layout. Aber jetzt, wo ich es perfekt kann, will ich nicht mehr umlernen. Es gibt keinen Grund dazu. Ich spiele als Linkshänder eine Rechtshändergitarre – einfach, weil ich es so gelernt habe. Ich habe mal versucht, mich auf Linkshändergitarren umzuerziehen. Es klappte nicht.

Darum finde ich es gut, wenn Änderungen freiwillig sind und behutsam eingeführt werden. Insbesondere, wenn sie nicht nötig sind. Der Brave-Browser hat das gut gelöst. Ich kann selbst entdecken, ob ich umlernen kann und will. Bravo Brave!

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 

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