VFX: Kino aus dem Computer
VFX-Studios erschaffen 125 Jahre nach der Erfindung des Kinos Filme und Serien, in denen digitale und analoge Bilder scheinbar nahtlos miteinander verschmelzen. Zeit, einen Blick auf die Rolle der visuellen Effekte zu werfen.
Frodo Beutlin steht am Abgrund. Tief unten fliesst die Lava genau so heiss, wie an jenem Tag, an dem der Ring der Macht erschaffen wurde. Samweis Gamdschie, sein treuer Freund, ruft:
«Wirf ihn ins Feuer!»
Verzweiflung. Er spürt, dass etwas nicht stimmt. Der Auftrag, den die beiden von Elronds Rat gefasst haben, ist unmissverständlich: Geht zum Schicksalsberg und werft den Ring in dessen Feuer. Denn der Ring der Macht kann nur an jenem Ort zerstört werden, wo er erschaffen wurde. Aber Frodo zögert. Hat der eine Ring ihn schlussendlich doch noch korrumpiert?
Tränen steigen Sam auf. Wut, Frust und Ohnmacht drohen ihn zu übermannen.
«Lass ihn einfach los...»
Er ahnt nicht, dass Gollum, eine vom Ring verdorbene Kreatur, von hinten naht, und alles gleich noch schlimmer machen wird.
Der Showdown der grossen Fantasy-Trilogie ist perfekt. Der Grund: Visuelle Effekte (VFX). Eine ähnliche Szenerie hätte nur dann besser ausgesehen, wenn die Schauspieler gleich in einen echten Vulkan gesetzt worden wären. Den bedrohlichen Abgrund innerhalb der Kaldera hätte die Filmcrew vielleicht noch bauen können. Aber die giftigen Dämpfe, die sich an den Felswänden hochranken, hätten den Protagonisten das Gesicht von den Knochen geätzt. Visuelle Effekte sind da, um jene Probleme zu lösen, die mit echten, praktischen Effekten nicht zu lösen sind.
Heute sind sie nicht mehr wegzudenken.
Regisseure erzählen ihre Geschichten dank visuellen Effekten, wie sie es nie für möglich gehalten hätten. Die Herr-der-Ringe-Trilogie ist das perfekte Beispiel. Um zu verstehen, welche Bedeutung visuelle Effekte fürs moderne Kino haben – und wie die dunkle Seite der Medaille aussieht – lohnt sich ein Blick zurück auf die Anfänge der digitalen Trickserei.
Bevor gezaubert wird: Die Rolle der Prävisualisierung
Der Dreh eines Hollywood-Blockbusters besteht in der Regel aus folgenden drei Phasen:
- Phase: Die Pre-Production – Vorproduktion
- Phase: Der Filmdreh
- Phase: Die Post-Production – Nachproduktion
Je grösser das Budget des Filmes, desto höher das Risiko fürs Filmstudio. Anno 1963 etwa kostete «Cleopatra» 44 Millionen Dollar – eine Unsumme für damalige Verhältnisse. Heute entspricht der Betrag inflationsbereinigten 340 Millionen Dollar, was «Cleopatra» zum teuersten Film aller Zeiten machen würde.
Long story short: Der Film – heute Kult – floppte, und trieb 20th Century Fox beinahe in den Ruin.
Damals waren es die Filmkulissen, welche die Produktionskosten durch die Decke schiessen liessen. Heute tun das die visuellen Effekte, die aus dem Computer stammen – namentlich CGI, also «Computer Generated Images». Kurz gesagt: Nicht alle visuellen Effekte sind Computereffekte – etwa abgefilmte Modelle wie das Hogwarts-Schloss aus «Harry Potter» – aber sämtliche Computereffekte zählen zu den visuellen Effekten, da sie erst nach dem Dreh, also in der Post-Production-Phase, in den Film eingefügt werden.
Spezialeffekte hingegen werden, anders als visuelle Effekte, bereits während dem Dreh realisiert. Bei ihnen handelt es sich um mechanische oder chemische Effekte wie etwa einen Roboter-Dinosaurier oder eine grosse Explosion, deren Ergebnis der Regisseur noch am Set selbst überprüfen kann.
Für die verantwortlichen VFX-Supervisors dient die Vorproduktion dazu, die visuellen Effekte, die während der Post-Produktion des Films erstellt werden, vorauszuplanen. Sie wollen, dass am Filmset für die effektlastigen Szenen die bestmöglichen Voraussetzungen herrschen. Zusammen mit dem Regisseur erarbeiten sie Kameraeinstellungen, Set Design, Beleuchtung sowie den Look des Films selbst.
Für die Planung üblich sind konzeptionelle Zeichnungen, Storyboards und Prävisualisierungen. Das heisst: Storyboard-Artisten entwerfen unter Aufsicht des Regisseurs und basierend auf dem Drehbuch eine Art «Comic» zum Film. Studiobosse und Filmcrew bekommen eine ungefähre Vorstellung des Endprodukts, und der Regisseur einen Plan, wie er seine Geschichte auf Film bannen will.
Mittlerweile geht die Detailversessenheit gar so weit, dass Storyboards am Computer mittels einfacher 3D-Grafiken prävisualisiert werden. Sie dienen als Diskussionsgrundlage zwischen Regisseur und VFX-Supervisor und helfen dabei, Bilder und Ideen zu entwickeln.
Die Bedeutung dier Prävisualisierungen hat in der Filmproduktion stark zugenommen. Mit ihnen angefangen hat die Spezialeffekt-Firma Industrial Light & Magic (ILM) während der Vorproduktion zum ersten Star-Wars-Prequel. Eine Schippe draufgelegt hat Peter Jackson mit «Lord of the Rings». Nachdem ihm Star-Wars-Produzent Rick McCallum von computeranimierten Prävisualisierungen erzählt hatte, besuchte Jackson die Effektschmiede ILM in Kalifornien. Anschliessend war der Neuseeländer so begeistert, dass er bei seiner eigenen Trilogie nicht nur die effektlastigen Actionszenen prävisualisiert hat, sondern gleich die gesamte Trilogie.
Damals sagte der Neuseeländer:
Erst nach dem Dreh – während der Post-Produktion – kommen die Menschen, welche die visuellen Effekte erstellen, zum Einsatz. Sie werden VFX-Artists genannt, oder eben: Künstler. VFX-Künstler benutzen ihre Programmierwerkzeuge wie der Maurer seine Spachtel und Indiana Jones seine Peitsche. Die Ausreifung dieser Werkzeuge haben die Grundlage für Computereffekte gelegt, die von der Realität kaum zu unterscheiden sind.
Jurassic Park – Der Anfang des CGI-Booms
1973 ist «Westworld» der erste Kinofilm, der computergenerierte Effekte einsetzt. Die Welt, wie sie aus den Augen des Gunslingers zu sehen ist, ist in dieser Szene VFX.
Weitere Versuche mit CGI und 3D-Computergrafiken in Filmen folgen. Die Effekte sind für damalige Verhältnisse gut, aber sie überzeugen niemanden davon, tatsächlich echt zu sein.
Im Jahre 1993 lanciert die Marketingabteilung Universal Pictures den Trailer eines neuen Steven-Spielberg-Films mit dem Titel «Jurassic Park», und lässt dessen Hauptattraktion – die Dinosaurier – klugerweise fast vollkommen aus.
Weltweit sitzen neugierige Zuschauer in ihren Kinosesseln, nichtsahnend, was sie gleich zu sehen kriegen. Dann kommt die Szene, in der ein 56 Tonnen schwerer Brachiosaurus ins Bild stampft und Schauspieler Richard Attenborough, in seiner Rolle als John Hammond, begleitet von John Williams ikonischer Filmmusik, die berühmten Worte sagt:
«Welcome to Jurassic Park.»
Das Kinopublikum ist beim Anblick des Dinosauriers, das seit 65 Millionen Jahren ausgestorben ist, aber trotzdem gemütlich seine Blätter von den Bäumen pflückt, mindestens genauso baff, wie die Figuren selbst. Nie zuvor sind Computereffekte realisiert worden, die analog gedrehtes Filmmaterial so nahtlos mit digitalen Kreaturen vermischen. Es ist die Geburtsstunde dessen, was wir heute unter visuellen Effekten verstehen.
Und der Rest ist Geschichte.
«Avatar» erlebt das blaue CGI-Wunder
Filme wie «Titanic», «Gladiator» und die ersten beiden Harry-Potter-Verfilmungen haben in den Jahren nach «Jurassic Park» die Grenzen der Computeranimation weiter ausgelotet. Aber es ist die Herr-der-Ringe-Kreatur Gollum, die für den grössten Aufschrei seit Spielbergs Dinofilm sorgt.
Mit Motion-Capture-Technologie sind Bewegungen und groben Gesichtszüge von Schauspieler Andy Serkis direkt auf ein Computermodell übertragen worden. Gollum hat auf das damalige Publikum derart real gewirkt, dass du mit heiserer Stimme nur «mein Schatz» zu krächzen brauchst, und jeder weiss, wer gemeint ist.
Angeblich war es genau diese Performance, die James Cameron dazu bewogen hat, seinen Jugendtraum «Avatar» sechs Jahre später in die Tat umzusetzen. Cameron gilt in der Visual-Effects-Szene dank Filmen wie «The Abyss» oder «Terminator 2» als einer der einflussreichsten Regisseure unserer Zeit. Mit Avatar sollte er seinem Ruf, neue Animationstechniken zu entwickeln oder deren Weiterentwicklung zumindest massiv voranzutreiben, gerecht werden. Allen voran das bereits bekannte Motion Capture.
Für «Avatar» hat er eine topmoderne Motion-Capture-Bühne entwickelt, die sechsmal so gross ist, wie alles zuvor dagewesene. Er kann so nicht nur ganze Schauspielgruppen gleichzeitig filmen, sondern Aufnahmen, die in der virtuellen Welt von Pandora entstehen, auf einem separaten Bildschirm und in Echtzeit anschauen – dank einfachen 3D-Grafiken. Gefilmtes Material lässt sich sofort überprüfen, ehe das Effektstudio mit der Produktion der eigentlichen Effekten beginnt: Eine für die Visual-Effects-Industrie ungeheure Vereinfachung für das Filmen mit Motion-Capture-Technologie.
Die Motion-Capture-Technologie hat Cameron aber auch an anderen Fronten weiterentwickelt: Sind es vorher vor allem Körperbewegungen der Schauspieler gewesen, die aufgezeichnet worden sind, kommen mit «Avatar» detaillierte Gesichtszüge dazu. Entscheidend: Selbst die unbewussten, nuancierten Bewegungen der Pupillen der Schauspieler werden haargenau verfolgt und auf das Computermodell übertragen. Ein Hauptgrund, weshalb sich Zoe Saldanas Portraitierung der Na'vi-Frau Neytiri viel lebendiger und echter anfühlt, als der zuvor als Mass aller Dinge aufgeführte Gollum.
Zunehmende Bedeutung visueller Effekte – und deren Schattenseite
Heute, fast 25 Jahre nachdem Spielbergs T-Rex die Kinolandschaft revolutioniert hat, stützen sich fast alle der 15 finanziell erfolgreichsten Filme aller Zeiten auf visuelle Effekte ab – oder sind gleich komplett am Computer entstanden. Und was noch beeindruckender ist: 14 davon sind allein innerhalb der letzten zehn Jahren entstanden.
Zusammen mit der zunehmenden Bedeutung der visuellen Effekte kommt der Vorwurf, dass CGI-abhängige Filme oft übertrieben künstlich oder seelenlos wirken. Denn Computereffekte wurden vor 25 Jahren nur dann eingesetzt, wenn es nicht anders ging.
Heute sorgt die zunehmende Rechenpower moderner Computer für viel schnellere Resultate in der Post-Produktion. Zeit ist nicht mehr unbedingt eine endliche Ressource, und Filmschaffende können Probleme bequem ans VFX-Studio outsourcen.
Dennoch: Visuelle Effekte wirken wie Publikumsmagnete. «Pacific Rim: Uprising», «Tomb Raider» oder «Rampage» – um ein paar 2018 erschienene Blockbuster zu nennen – werden bestimmt nicht wegen ihren cleveren Dialogen oder durchdachten Handlungen in Erinnerung bleiben. Aber bombastische Effekte in aufwändig inszenierten Trailern haben dennoch dafür gesorgt, dass das Publikum massenhaft in die Kinosäle strömt: Zusammen haben sie knapp eine Milliarde Dollar in die Kassen gespült.
Was lernt Hollywood daraus? Die Qualität von Drehbuch, Regie und Schauspiel nimmt eine eher untergeordnetere Rolle ein, solange aufwändige Computereffekte darüber hinwegtäuschen. Und diese sind viel einfacher «am Laufband» hergestellt, als kreative und überraschende Geschichten, die wirklich fesseln.
Dann gibt’s noch jene Filme, die einfach unentschuldbar schlechtes CGI trotz an sich vernünftigen Budgets verbrochen haben.
Im Jahr 2001 haben es die Macher von «The Mummy Returns» geschafft, Dwayne «The Rock» Johnson als Skorpionkönig noch schlechter aussehen zu lassen, als die Mumie im zwei Jahre zuvor erschienenen «The Mummy». Soviel zu: «Computereffekte werden immer besser.»
Zwei Jahre später haben die Wachowski-Geschwister in «The Matrix Reloaded» eine Kampfszene zwischen dem Auserwählten Neo und hundert Agent Smiths mit viel CGI realisiert. Noch heute wird die Szene immer dann zitiert, wenn es um schlechtes CGI in Big-Budget-Filmen geht.
Aber auch in der jüngeren Vergangenheit gibt es grauenhafte CGI-Beispiele. Etwa dann, wenn Legolas in «The Hobbit: Battle of the five Armies» die Gesetze der Physik bricht.
Aller Kritik zum trotz: Erst dank visuellen Effekten kannst du aufregende und exotische Welten erforschen, die du so ansonsten niemals zu sehen gekriegt hättest : Die Flora und Fauna Pandoras aus «Avatar» rauben heute noch vielen den Atem. Und manchmal ist VFX einfach unumgänglich, um eine Geschichte so zu erzählen, wie sie der Regisseur im Sinne hat.
Oder wie sonst hätte der rückwärts alternde Brad Pitt aus «The Curious Case of Benjamin Button» realisiert werden sollen?
VFX: Weniger wird’s bestimmt nicht
«Jurassic Park» hat die VFX-Künstler der heutigen Generation nicht nur schon als Kinder inspiriert, sondern auch bewiesen, dass nichts zu gross, fantastisch oder überwältigend ist, um nicht auf die Leinwand gebannt zu werden – solange es talentierte Programmierer gibt, welche die Entwicklung der visuellen Effekte weiter vorantreiben.
Denn visuelle Effekte in Kinofilmen oder Serien werden nicht weniger werden. Dagegen spricht, dass Regisseure dank VFX Geschichten erzählen können, die sie ohne dessen Einsatz nicht so erzählen könnten, wie sie es wollten. Viel pragmatischer ist aber das Argument, dass effektlastige Filme mehr Publikum in die Kinosäle locken, als anspruchsvolle Dramen wie «Sicario 2».
Der Zenit des Machbaren ist noch nicht erreicht. Die Branche arbeitet konsequent an der Ausreifung diverser VFX-Technologien. Sie trägt dazu bei, dass eines Tages Spielfilme entstehen, die komplett am Computer entstehen – ohne, dass das Publikum es merkt.
Klingt furchtbar? Vielleicht. Aber VFX hat sich seinen Platz im Film erarbeitet und verdient, trotz der vielen schwarzen Schafe, die an dessen Ruf nagen. Ein Blick auf die letzten 25 Jahre verrät: Die Kreaturen, Schrecken und Welten auf der Leinwand – viele davon gäbe es ohne VFX nicht. Nicht in dieser Form. Und das wäre doch jammerschade.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»