PB Swiss Tools PB 2222 LH RB
Vom Emmental in alle Welt
PB Swiss Tools ist der einzige Schweizer Werkzeughersteller, der bis heute komplett in der Schweiz produziert. Dass sich das lohnt, liegt vor allem am Engagement der Mitarbeitenden – und ein paar Robotern. Ein Besuch im Emmental.
Wuchtige Holzhäuser aus dem 18. Jahrhundert mit Giebeldächern fast bis zum Boden verteilen sich wie dunkle Flecken auf den ansonsten grünen Wiesen. Nicht unähnlich der Felle der Kühe, die darauf weiden. Dazwischen liegen immer wieder Heuballen in Reih und Glied. Auf der Landstrasse daneben tuckern Traktoren.
Das Bauerntum hat hier im Emmental Tradition und wird noch immer gelebt. Auch trotz oder gar dank dem Industriegebäude inmitten dieser Idylle – dem Hauptstandort von PB Swiss Tools.
Von Nasenringen zu Traumatologie-Produkten
Die Geschichte des Familienunternehmens beginnt 1878 in Wasen im Emmental damit, dass in einer kleinen Schmiede Nasenringe für Ochsen hergestellt werden. Mit Übernahme der zweiten Generation folgt 1918 die offizielle Gründung der PB Baumann GmbH, die während des Zweiten Weltkrieges Handwerkzeug für die Schweizer Armee und Anfang der 50er-Jahre europaweit als erstes den heute bekannten Schraubenziehers mit dem rot-durchsichtigen Griff herstellt.
Auch heute noch wird dieser ausschliesslich im Emmental produziert, neben Wasen auch in Sumiswald. Dort treffe ich Christian Baumberger, Sales Director DACH, der mich durch das Fabrikgebäude führt. «Wir produzieren vor allem klassisches Handwerkzeug wie Schraubenzieher, Hammer und Winkelschraubenzieher , aber seit ein paar Jahren auch Medizinprodukte für Traumatologen und Orthopädinnen», schildert er mir. «Der Sprung war nicht weit. Alles muss langlebig, präzise und vor allem aus Stahl sein.»
Ein ganzer Jahresvorrat des Rohmaterials lagert zwischen orangefarbenen Pfeilern und grossen Fenstern auf grünen Regalen, denen die Tablare fehlen. Gut 500 Tonnen Federstahl, die von einem Stahlwerk in Deutschland und einem in Italien extra für PB Swiss Tools nach einem Spezialrezept legiert werden. «Dank dieser Reserve können wir unsere Handwerkzeuge mindestens ein Jahr lang produzieren, auch bei Lieferschwierigkeiten», sagt Christian.
Im Wind eines überdimensionalen Ventilators baumeln Schilder mit motivierenden Mantras von der Decke. Sie wurden im Team erarbeiten und sollen Zusammengehörigkeit und Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Diese Werte sind PB Swiss Tools als grosser Arbeitgeber in der Region wichtig. «Die Mehrheit der Mitarbeitenden kommt aus dem Emmental und ist stolz, dass ihre Produkte in die ganze Welt verschifft werden.» Und das soll auch weiterhin bleiben. Denn der Werkzeughersteller ist darauf angewiesen. «Fachkräfte kommen nicht unbedingt aus Zürich oder Basel hierhin ins ruhige, entlegene Emmental.»
Fluktuation gegen null
Polymechaniker Nathan Reist, der in der Zerspanung arbeitet, hat schon als Schüler auf das PB Swiss Tools Gebäude in Wasen geschaut. «Vom Pausenhof konnte ich es sehen und dachte mir schon damals, dass ich da einmal rein will.» Seit knapp sechs Jahren nun sieht er die Innenräume täglich. Damit ist Nathan hier beinahe Dienstjüngster[MG1] . Kollege Roland Rubin zum Beispiel, der an einer modernen CNC-Drehmaschine steht, die gerade die Köpfe für das teuerste Standardprodukt, den rückschlagfreien Hammer, fertigt, ist schon seit 44 Jahren hier. Direkt nach der Rekrutenschule hat er bei PB Swiss Tools angefangen, im November wird er pensioniert. «Dann will ich endlich einmal richtig reisen. Am liebsten wäre ich mit der transsibirischen Eisenbahn von St. Petersburg nach Wladiwostok gefahren, aber das ist momentan wohl leider nicht möglich. Vielleicht Alaska oder Patagonien stattdessen.»
Nathan hingegen denkt lieber zurück als in die nahe Zukunft. Sein Grossvater hat schon hier gearbeitet, in Teilzeit. Denn hauptberuflich war er Bauer, beim Werkzeughersteller hat er sich bloss einen Zustupf [AM1] verdient. «In seiner Bude stand ein grosser Werkzeugkoffer gefüllt mit Schraubenziehern, Winkelschraubenziehern und Hämmern von PB Swiss Tools.» Auch heute noch arbeiten einige Landwirte hier. Der Firma sei es wichtig, die Traditionen der Region zu unterstützen. «Oft aber bauern sie nur noch zu einem kleinen Teil und verdienen hier ihr Hauptgehalt», sagt Sales-Leiter Christian.
Der Schlitzschraubenzieher als Multi-Tool
So wie Urs Aeschlimann. 80 Prozent kümmert er sich ums Stanzen der Werkzeuge, 20 Prozent arbeitet er zusammen mit seiner Frau auf dem eigenen Hof. Gerade werden an seiner Maschine Schlitz-4-Schraubenzieher auf 900 Grad erhitzt, geglättet, gestanzt und geschliffen. «Viele Leute denken, dass es heute nur noch Torx gibt, aber der Schlitzschraubenzieher ist noch immer unser meistverkauftes Produkt», sagt Christian. «Fast jeder Handwerker hat einen im Hosensack: zum Hebeln, Meisseln, ja sogar Jäten. Auch in meiner Ausbildung zum Töffmech habe ich den Schlitz-Schraubenzieher ständig gebraucht», fügt Urs bestätigend an, während ich förmlich an seinen Lippen hänge, um seine Worte überhaupt zu verstehen. Die Stanzmaschine rattert gleichzeitig tief und schrill, während die Presse daneben einen dumpfen industriellen Rhythmus klopft. Mir dröhnt der Schädel schon nach weniger als zwei Stunden im Fabrikgebäude.
«Normalerweise trage ich einen Gehörschutz, sonst würde ich abends dauernd meine Frau anschreien», sagt Urs und lacht. Er stellt die Maschine ab, um mir deren Innenleben besser erklären zu können. «Momentan dauert es etwa vier Stunden, bis ich alle Einstellungen für eine neue Serie vorgenommen habe. Um diesen Prozess zu beschleunigen, gibt’s eine neue Maschine, bei der sich die Einstellungen speichern lassen.»
Roboter sorgen für Effizienz
Automation ist ein wichtiger Punkt für PB Swiss Tools. «Wir sind der einzige Werkzeughersteller, der komplett in der Schweiz produziert. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir effizient und nachhaltig arbeiten», sagt CEO Eva Jaisli, die das Unternehmen seit mehr als 25 Jahren in vierter Generation führt. «Deshalb hat PB Swiss Tools 1982 als vierte Schweizer Firma erstmals Industrieroboter in der Produktion eingesetzt.»
Unterdessen gibt’s neben den klassischen eingezäunten – sie würden alle, die zu nahe kommen, einfach umhauen – auch kollaborative Roboter. Christian erklärt: «Sie arbeiten Hand in Hand mit den Mitarbeitenden und können viel einfacher angeleitet werden. So wie dieser Biegeautomat.» Er zeigt auf einen einarmigen Roboter, der gerade grosse Innensechskantschlüssel in ihre typische Form bringt. Gleich in der Nähe sitzt Thomas «Tömu» Fiechter, der dieselbe Arbeit manuell ausführt. «Ich biege 5000 Stück des 90°–100°-Modells. Es kann rechtwinklig angesetzt und dann angehoben werden, damit bei flachen Schraubenzugängen trotzdem Handfreiheit gegeben ist.» Solche Spezialwerkzeuge kann kein Roboter in einem Rutsch herstellen, dafür braucht es erfahrene Hände.
Loyalität liegt im Emmentaler Blut
Wegen Mitarbeitern wie Tömu sei es nie eine Option gewesen, mit der Produktion ins Ausland abzuwandern, sagt Eva Jaisli. «Die meisten unserer Angestellten sind in der Region verwurzelt und stolz auf die Produkte, die sie schaffen. Ihr Engagement für die Firma macht unsere Qualität und Innovationsfähigkeit aus.» Diese Loyalität scheint den Emmentalerinnen und Emmentalern im Blut zu liegen. Zumindest hat dies im Jahr 1840 auch schon der Schriftsteller Jeremias Gotthelf beobachtet: «Seinem Lande ähnlich ist der Emmentaler. Weit ist sein Gesichtskreis nicht, aber das Nächste sieht er klug und scharf an; rasch ergreift er das Neue nicht… aber was er einmal ergriffen, das hält er fest mit wunderbarer zäher Kraft.»
Die Rechnung scheint für PB Swiss Tools aufzugehen, das Geschäft läuft. 2021 war für das Unternehmen ein Rekordjahr, auch wegen Corona. «Alle wollten heimwerken und haben sich mit Werkzeug ausgestattet, nicht nur in der Schweiz, in fast allen der 85 Länder, in denen wir unsere Produkte verkaufen», sagt Christian. Es sei so viel zu tun, dass momentan wenig Spezialwünsche und Sonderanfertigungen in kleinen Auflagen, sondern vor allem Bestseller durch die Abteilungen liefen.
Dazu gehören die Torx-Bits, die gerade geschliffen – in der Fachsprache trowalisiert – werden. Würden nicht immer wieder Metallteile aus der Trommel hervorlugen[PG1] , könnte die Maschine auch in einer Süsswarenfabrik stehen. Die pinken Pyramiden sind aber keine Primavera-Erdbeeren von Haribo, sondern normierte Schleifsteine. «Früher hat man dazu einfach Steine aus dem Bach hinter dem Fabrikgelände genommen», sagt Christian.
Verchromt wird bei tamilischen Klängen
Den nächsten Schritt zeigt er mir besonders gern, ist er doch Teil einer hauseigenen Innovation. «Unsere Bits sind nach Schraubenart und die Winkelschraubenzieher nach Grösse farbcodiert, sodass das richtige Teil schnell zur Hand ist.» Dafür werden gerade von Hand die drittkleinsten Schlüssel des sogenannten RainBow-Sets in Grün pulverbeschichtet. Die Teile, die keine Farbe abbekommen, werden derweil galvanisiert, also vernickelt oder verchromt. Das läuft im Gegensatz zur Färbung vollautomatisch ab. Nur das Be- und Entladen der Teile braucht viel Fingerspitzengefühl und muss deshalb manuell ausgeführt werden.
Zum ersten Mal klingen weder Maschinenmotoren noch Berner Dialekt durch die Hallen, sondern tamilische Musik. Überall entlang des breiten Fenstersims sind Böxli installiert. Sairaj Shanmugalingam lacht beinahe durchgehend, als er mir seine Arbeit zeigt. Jedes Werkzeugmodell muss anders an dem roten Rahmen befestigt werden. Mal muss ein Modell eingedreht, mal eingespannt und auch einmal aufgelegt werden. «Bei ganz kleinen Teilen ist es schon etwas mühsam, sodass mir mal ein Gopferdammi über die Lippen rutscht, aber ich mache die Arbeit trotzdem seit zehn Jahren gerne.» Sofort bricht Sairaj wieder in sein ansteckendes Lachen aus und dreht zum Abschluss die Musik seines Heimatlandes extra etwas lauter.
Ganz anders in der Qualitätskontrolle, die sich zehn Schritte weiter in einem Glaskubus befindet. In Ruhe werden hier alle Metallteile noch einmal endgültig auf Fehler korrigiert, bevor der Lastwagen sie ins benachbarte Wasen transportiert. In der ältesten (aber unterdessen modernisierten) Maschine der Fabrik werden im sogenannten Spritzgussverfahren die klassischen durchsichtigen roten und grünen Griffe hergestellt. Überraschenderweise riecht es dort neben Schmieröl auch nach Vanille. «Der Duftstoff wird dem Granulat beigemischt. Und zwar weil das Material – sogenanntes Aceto Butyrat (CAB) – eine Verästerung von Butter- und Essigsäure enthält. Liegt ein Classic-Schraubenzieher lange ohne Luftzirkulation im Werkzeugkoffer, können sich diese Säuren zersetzen und der Griff zu seicheln anfangen», erklärt Christian. «Als Eva Jaisli die Firma übernommen hat, entschied sie, etwas dagegen zu unternehmen. So haben wir mit dem Vanille-Aroma begonnen, das den Geruch übertönt.»
Auch mit einem weiteren Problem hat PB Swiss Tools in der Spritzgusstechnik zu kämpfen. Zum ersten Mal fällt das medial viel zitierte Wort «Fachkräftemangel». «Spritzgusstechniker haben eine sehr spezifische Ausbildung, über die nur wenige Spezialisten verfügen», erklärt Daniel, der den Bereich seit einem Monat vorübergehend führt. Allzu grosse Sorgen mache er sich aber nicht, Entlastung sei in Sicht. «Es sieht gut aus, dass wir bald eine neue Führungsperson einstellen können.»
Klinge findet Griff
Ganz anders sieht es einen Stock höher in der Montage, Daniels eigentlicher Kernbereich, aus. Mit 27 Festangestellten, neun Temporären und meist zwei bis fünf Mitarbeitenden aus der beruflichen Wiederintegration ist das Team vollständig besetzt. Hier werden Winkelschraubenzieher-Sets montiert und verpackt. Hier werden Drehmomentschraubenzieher mit eingebauter Elektronik kalibriert. Und hier werden die Griffe bedruckt, damit sich die Marke erkennen, das Werkzeug aber auch zurückverfolgen lässt.
Sind Logo, Produkt- und Seriennummer auf dem Griff, finden dieser und die Klinge des Schraubenziehers endlich zusammen. Die meisten Griffe durch den Arm eines Roboters, spezielle Modelle mithilfe der Hand eines Menschen und einer Hydraulikpresse. Während die Mitarbeitenden nach Schichtende im Emmental bleiben und sich um Kind, Haus oder gar Hof kümmern, verlässt der Schraubenzieher das mehrstöckige Fabrikgebäude und zieht an der traditionellen Kulisse vorbei. Er lässt die fast bodenlangen Giebeldächern und akkurat aufgerollten Heuballen hinter sich und landet schliesslich in einer Werkzeugkiste in Zürich, Berlin oder sogar Tokio.
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.