Vom Nerd zum App-Entwickler: So hat es Kevin Reutter geschafft
Kevin Reutter ist unabhängiger App-Entwickler für Apple-Produkte. Im Interview spricht er über seine Anfänge sowie Erfolge und gibt Einsteigertipps für Interessierte.
Ein Blick in den App-Store: die App des Tages. Weiterschauen: Gibt es etwas Neues? Das mache ich immer mal wieder. Aber wer steckt eigentlich hinter diesen ganzen Apps, die mir bei jedem Store-Besuch vorgeschlagen werden? Dem wollte ich auf den Grund gehen. Dafür habe ich mich virtuell mit Kevin Reutter, einem App-Entwickler für Apple-Produkte, getroffen.
Kevin Reutter ist 28 Jahre alt, kommt aus Hamburg und hat gerade fünf Apps in seinem Portfolio: Planny (Tagesplaner), Flippy (Lernkarten), Freshy (Lebensmitteltracker), SleepingTemp (Handgelenk-Temperaturmesser) und SleepingRecovery (Schlafgesundheitsbeobachter).
Seit 2017 arbeitet er als Indie-Entwickler, anfangs noch neben seinem Studium an der Universität Hamburg im Bachelor Mensch-Computer-Interaktion.
Wie bist du zum App-Entwickeln gekommen?
Meine Leidenschaft begann in der Schulzeit. Ich hatte sehr guten Informatikunterricht und habe mich als Nerd schon früh für Web-Design sowie serverseitige Webentwicklung interessiert. Vor allem die Plattform von Apple gefiel mir und da ich sowieso viele Apple-Produkte hatte, habe ich mich näher damit auseinandergesetzt. So nebenbei einfach.
Und dadurch entstand deine erste App?
Ja, genau. Zu der Zeit ist «Planny» als erstes Projekt entstanden. Mit irgendetwas muss man schließlich anfangen. Ich lerne immer gerne so, indem ich selbst entwickle. Nach ungefähr einem halben Jahr hatte ich mit meiner App im Store die ersten Erfolge. Ich habe sie dann immer weiter verbessert und irgendwann konnte ich davon leben. Und deswegen mache ich das bis heute. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.
Dein Hobby hat dich gleichzeitig zum Jungunternehmer gemacht. Welche Herausforderungen siehst du dabei für dich?
Vor allem im Bereich Marketing sehe ich bei mir und meinen Produkten noch einiges an Entwicklungspotenzial. Ich habe vor, mich insbesondere in diesem Bereich weiterzubilden. Die App-Entwicklung wird immer in meinem Herzen bleiben und deswegen werde ich das auch weiterhin machen. Allerdings ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem Software nicht mehr jeden Tag gepflegt werden muss, weil sie bereits rund läuft. Und diese freigewordene Zeit möchte ich nutzen, um mich fachlich in anderen Bereichen weiterzuentwickeln. Das hilft nicht nur mir persönlich, sondern auch meinen Produkten. Selbstverständlich wird es weiterhin Updates geben, aber zukünftig werde ich mich auch vermehrt auf das Unternehmerische konzentrieren.
Wie kann man sich einen Arbeitstag bzw. eine Arbeitswoche bei dir vorstellen?
Sehr flexibel. Wenn ich nicht gerade festgelegte Termine wie beispielsweise dieses Interview habe, kann ich meine Zeit sehr frei einteilen und nutze diesen Vorteil auch. Ich arbeite zum Beispiel sehr gerne in der Nacht. Ich habe da keinen koordinierten Ablauf, wann ich was genau mache. Zu Studienzeiten war die Koordination schwieriger, aber das habe ich mittlerweile abgeschlossen.
Nach Planny hast du 2018 und 2021 noch zwei weitere Apps gelauncht. Wie bist du jeweils auf die Idee gekommen?
Während ich im Studium für eine bevorstehende Prüfung gelernt habe, fiel mir auf, wie oft ich doch abgelenkt werde – beispielsweise vom Fernseher. Auch fand ich mich ständig auf Social-Media-Plattformen oder anderen Websites wieder, anstatt mich auf meine Arbeit beziehungsweise das Lernen zu konzentrieren. Da kam mir die Idee für die App «Flippy». Ich erkannte, dass ich sicherlich nicht der Einzige war, der mit solchen Ablenkungen zu kämpfen hatte. Warum also nicht eine App entwickeln, die mir dabei hilft, Ablenkungen zu minimieren und meine Konzentration aufrechtzuerhalten?
Die Idee für «Freshy» entstand als weiterer Problemlöser: Als ich zum ersten Mal von zu Hause ausgezogen bin, wollte ich den Überblick über das Mindesthaltbarkeitsdatum meiner Lebensmittel behalten. Es passierte mir immer wieder, dass ich vergaß, welche Produkte im Kühlschrank oder in der Speisekammer schon länger lagerten und dringend verbraucht werden sollten.
Wie läuft dein Arbeitsprozess bei Updates für deine Apps ab?
Das ist eine Mischform. Auf der einen Seite fallen mir selbst immer wieder Features ein, die ich gerne umsetzen möchte. Aber ich erhalte auch sehr viele Kundenwünsche. Da muss ich dann kalkulieren, ob dieses Feature für viele User auf Interesse stößt oder es nur für eine Person ist. Und gleichzeitig fließt natürlich auch dabei ein, wie lange ich für die Umsetzung eines solchen Updates benötige. Sofern dies eine Sache von zehn oder 20 Minuten ist, kann ich es schnell umsetzen. Hinzu kommen die ganzen Betriebssystem-Updates, bei denen ich die neuen Features näher betrachte, ob diese für meine App Sinn ergeben.
Anfang Juni fand die WWDC statt: eine jährliche, weltweit von Apple veranstaltete Entwicklerkonferenz. Diese richtet sich in erster Linie an Software-Entwickler für macOS, iPadOS, iOS sowie auch an die Entwickler von visionOS, watchOS und tvOS, deren größere Updates an jener Konferenz präsentiert werden. Wie sieht für dich der Arbeitsprozess bei einer solchen wichtigen Konferenz aus?
Das ist ein längerer Prozess. Vor einer solchen Konferenz gibt es verschiedene Gerüchte, was denn kommen könnte: unter anderem die interaktiven Widgets in diesem Jahr. Das ist eine Funktion, die ich schon immer umsetzen wollte. Dazu macht man sich im Vorfeld seine Gedanken, wie sowas aussehen und von Apple umgesetzt werden könnte. Zur WWDC kam dann erstmal die große Keynote und das erste große Event. Für mich als Entwickler wird es allerdings erst im Verlauf der Woche mit den ganzen verschiedenen Sessions, die man sich anhören kann, interessant. Diese geben einen tieferen Input. Viele Sessions habe ich direkt gehört, andere habe ich im Verlauf der Wochen nachgeholt.
Du machst das jetzt schon viele Jahre. Was hast du dabei in deiner Vorgehensweise gelernt?
Im Vergleich zu den vergangenen Jahren habe ich da mein Verhalten etwas angepasst. Früher habe ich direkt von Tag 1 an schon entwickelt, aber dann hat sich doch noch beispielsweise durch die Betas zu viel verändert beziehungsweise es traten Bugs auf. Stattdessen gehe ich in einen kreativen Denkprozess und schreibe mir Notizen auf. Dafür nutze ich sehr gerne die Freeform App von Apple. Die interaktiven Widgets wird es übrigens in meinen Apps ab Herbst geben.
Du hast erst dieses Jahr zwei neue Apps herausgebracht. Wie kam es dazu?
Die Apps entstanden tatsächlich als reines Hobby aus meiner Freizeit. Ich habe mir eine Apple Watch Ultra gekauft und habe mich gewundert, dass man sich die Temperatur nicht auf der Uhr anzeigen lassen kann. Da habe ich das einfach umgesetzt und mir gleichzeitig gedacht, dass ich die daraus entstandene «SleepingTemp»-App auch im App Store hochladen kann. Die «SleepingRecovery»-App kam dann etwa drei Monate später und ist quasi eine Art Weiterentwicklung. Vor allem sehe ich da auch noch einiges an Potenzial, um es ausbauen zu können.
**In welchen Märkten laufen deine Apps besonders gut? **
Meine Hauptkunden kommen größtenteils aus den USA und aus Europa, vor allem aus Deutschland. Aber das ist ja kein Wunder. Da ich selbst aus Deutschland komme, ist die Medienpräsenz für mich und meine Apps deutlich höher. Ansonsten gehören insbesondere England und China zu den größten relevanten Märkten. Der Rest verteilt sich bruchstückhaft auf die ganze Welt.
Gibt es Marktunterschiede, die auffällig sind?
Die Preisgestaltung ist da ein spezieller Punkt. In den USA verkaufe ich beispielsweise fast nur Abos und gar keine Lifetime-Lizenzen. Diese habe ich fast nur für den deutschen und teilweise für den europäischen Markt. Gegen das Abo-Modell gibt es hierzulande noch sehr viel Gegenwind. Dazu gibt es Länder, in denen das Einkommen geringer ist. Da muss ich natürlich auch schauen, dass ich die Kosten etwas herunter schraube.
Wie entscheidest du, welche Funktionen du in deinen Apps in die Freeware und welche in die Premium-Version schaltest?
Ich finde es sehr wichtig, dass man die App anhand ihrer Grundfunktionen richtig gut kennenlernen kann. Der Kerngedanke sollte für den User verständlich sein. Daher sollte mindestens die Kernfunktionalität in vollem Umfang den Usern zur Verfügung stehen. Als Beispiel wäre es in meinen Augen nicht richtig, wenn ich bei «Planny» viele Kernfunktionen weglassen würde. Der User würde die Software sonst nur als normale To-do-Listen-App ansehen und direkt deinstallieren. Ansonsten wäge ich auch bei neuen Funktionen immer ab.
Du entwickelst aktuell nur Apps für iOS. Was müsste Android machen, damit du auch dafür Apps entwickeln würdest? Was würdest du von denen erwarten?
Das ist ein schwieriges Thema. Ich habe früher sehr viel Android genutzt, aber mittlerweile fühle ich mich bei Apple-Produkten heimischer. Dazu existiert für mich als Unternehmer das Problem, dass sich auf Android mit Apps kein oder weniger Geld verdienen lässt. Es gibt zwar Ausnahmen, aber Kunden sind im Apple-Universum einfach kauffreudiger.
Was würdest du Einsteigern empfehlen, die sich für das Entwickeln von Apps interessieren? Welche Programmiersprache wäre aus deiner Sicht der optimale Einstieg?
Der optimale Einstieg als Programmiersprache ist in meinen Augen definitiv Swift. Ich habe mich anfangs in zwei Bücher eingelesen: zum Lernen von Swift und für die App-Entwicklung mit Swift. Zusätzlich gibt es mittlerweile die «Swift Playgrounds»-App, in der man das Programmieren noch weiter lernen kann. Darüber hinaus halte ich es für interessant, sich im nächsten Schritt mit dem Swift UI Kit zu beschäftigen. Dazu kommen weitere neuere Themen: Datenbanken und iCloud. Da gibt es jetzt Swift Data oder auch Core Data.
Letztendlich empfehle ich immer, dass man einfach starten sollte: learning by doing. Jeder Mensch ist da anders, aber so würde ich es machen. Ein Projekt aussuchen, an dem man Spaß hat und einfach loslegen kann: lernen und wachsen. Tatsächlich kenne ich das auch von anderen Entwicklern, die genauso angefangen haben. Es ist wie das eigene Baby, das man aufbauen und groß machen möchte.
Was sind deine Top 5 meistgenutzten Apps?
Bei den Top 5 muss ich mal eben nachschauen, aber dazu gehören auf jeden Fall «Xcode», das Entwicklertool für App-Entwickler von Apple. Dann bin ich ein großer Nutzer von «Twitter», da sich dort eine sehr große Community befindet, mit der ich mich stetig austauschen kann. Als drittes gehört auf jeden Fall «Planny» dazu, also meine Tagesplaner-App. Dort plane ich meine ganzen Apps, meinen gesamten Tagesablauf und meine To-do-Listen. Die «Freeform»-App finde ich sehr gut, da es für mich eine gut umgesetzte Notizen-App ist. Sie ist visueller als andere aufgebaut und als User habe ich viel mehr Freiheiten. Und zu guter Letzt: Ich bin kein großer WhatsApp-Fan. Dafür nutze ich regelmäßig die Apple-Nachrichten-App.
Als App-Entwickler und Selbstständiger arbeitest du unabhängig vom Wohnort. Könntest du dir vorstellen, irgendwo anders zu leben und zu arbeiten?
Das stimmt. Ich hatte diesen Gedankengang sogar vor einiger Zeit: einen Umzug innerhalb von Deutschland. Ich habe den großen Vorteil, dass ich von überall aus arbeiten kann. Mir muss die Gegend einfach gefallen, ich möchte natürlich auch nette Menschen um mich herum haben. Witzigerweise ist es gerade die Schweiz, die ich mir als Ausland sehr gut als Wohnort vorstellen könnte. Auch wenn es dort sehr teuer ist, finde ich die Schweiz sehr attraktiv: die ganze Lebensart und Lebensweise, die Menschen. Konkrete Pläne gibt es allerdings noch nicht.
Vielen lieben Dank für das nette Interview. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg.
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