Ratgeber

Von Fusion 360 auf Tinkercad: Wie schwierig ist der CAD-Umstieg?

Kevin Hofer
24.5.2021

Ich liebe es, Dinge für den 3D-Drucker zu entwerfen. Egal, ob sinnvoll oder sinnlos. Mein bisheriges Programm Fusion 360 wird leider bald kostenpflichtig, Zeit, sich nach Alternativen umzusehen. Erster Kandidat: Tinkercard.

Da habe ich mich endlich an mein CAD-Programm Fusion 360 gewöhnt und dann das: Es ist bald nicht mehr gratis für mich. Das Aus einer wundervollen Partnerschaft. Ich bin auch am Ende unserer Beziehung weit davon entfernt, Profi zu sein. Dennoch bin ich inzwischen in der Lage etwas komplexere Modelle zu erstellen.

Zur Erklärung: CAD steht für computer aided design. CAD-Programme helfen bei der Erstellung und Bearbeitung von geometrischen Formen am Computer. Das können so simple Dinge wie meine 3D-Drucke aber auch aufwändige technische Konstruktionen sein.

Was nun?

Es muss also ein neues Programm her. Ich entscheide mich für Tinkercad. Dabei handelt es sich um ein browserbasiertes CAD von Autodesk. Sprich: Das Teil läuft auf jedem Gerät, das einen Browser hat und meine Projekte liegen in der Cloud. Es richtet sich an absolute Neulinge, weshalb ich zunächst etwas skeptisch bin. Im Vergleich mit Pros bin ich zwar auch ein Noob, habe aber immerhin schon einige Stunden mit CAD-Programmen verbracht. Tinkercad ist auch kein klassisches CAD-Tool, sondern erinnert an Minecraft: Ich baue die Modelle mit vorgefertigten Formen, die ich nach Belieben anpassen, kombinieren oder subtrahieren kann. Klingt etwas schräg? Am besten nehme ich dich mit auf mein erstes Projekt in Tinkercad.

Ein neues Projekt

Bereits seit längerem steht dieses Teil bei mir rum:

Weisst du, was das ist?
Weisst du, was das ist?

Hast du erraten, was es ist? Genau, ein Anschluss für den Schlauch einer Klimaanlage. Damit soll die heisse Luft durch ein Loch in der Wand abgeführt werden. Den habe ich vom Partner meiner Mutter erhalten. Das Problem: Der Anschluss der Klimaanlage ist nicht mit der Vorrichtung in ihrer Wohnung kompatibel. Ich soll ihm einen neuen drucken. Gut, dass er mal Mathematiklehrer war und mir gleich einen Plan nach seinen Vorstellungen mitgebracht hat.

Auf Basis dieser Pläne soll ich den Anschluss für die Klimaanlage machen.
Auf Basis dieser Pläne soll ich den Anschluss für die Klimaanlage machen.

Eine perfekte Vorlage für mein erstes Projekt in Tinkercad. Nicht zu komplex, aber doch mit ein paar möglichen Stolpersteinen.

Erste Überlegungen

Da Tinkercad wie Minecraft funktioniert, breche ich das Anschlussteil für die Klimaanlage in drei Teile auf. Diese Teile erstelle ich einzeln und füge sie am Schluss zum Ganzen zusammen. Ich nenne sie Basis, Mittelteil und den eigentlichen Anschluss. Sie entsprechen folgenden Teilen auf der Skizze.

Damit ich den neuen Anschluss konstruieren kann, teile ich ihn durch drei: Basis, Mittelteil und den eigentlich Anschluss konstruiere ich individuell, bevor ich sie zusammenfüge.
Damit ich den neuen Anschluss konstruieren kann, teile ich ihn durch drei: Basis, Mittelteil und den eigentlich Anschluss konstruiere ich individuell, bevor ich sie zusammenfüge.

Bei allen drei Teilen handelt es sich im Grunde genommen um Ringe. Mittelteil und Anschluss sind nach innen geneigt. Einzig die Wände der Basis stehen in einem rechten Winkel zum Untergrund, dafür muss ich hier ein Gewinde zur Befestigung des Schlauchs einplanen.

Ich beginne mit der Basis.

Erste Schritte

Tinkercad auf einen Blick.
Tinkercad auf einen Blick.

Tinkercad ist ähnlich aufgebaut wie die meisten grafischen Programme. Links ist die Arbeitsebene mit Ansichtsoptionen und Rastereinstellungen, oben links allgemeine Funktionen, rechts davon die Anzeigeoptionen und Bearbeitungsmöglichkeiten und rechts die Arbeitspalette. Aus dieser kannst du vorgefertigte Formen in die Arbeitsebene ziehen und dort bearbeiten. Um einen Ring in Tinkercad zu erstellen, wähle ich den Zylinder. Es gäbe zwar die Ring-Form, der Zylinder ist für meine Anforderungen jedoch besser geeignet. Sobald der Zylinder im Arbeitsebene ist, kann ich seine Dimension entsprechend der Skizze anpassen. Jetzt habe ich einen Zylinder mit einem Grundflächendurchmesser von 155 und 25 Millimetern Höhe. Was jetzt fehlt, ist das Loch in der Mitte.

Der Zylinder-Körper und die Zylinder-Bohrung.
Der Zylinder-Körper und die Zylinder-Bohrung.

Alle Formen in Tinkercad können entweder Volumenkörper oder Bohrung sein. Einfach gesagt, addiert der Volumenkörper entsprechendes Volumen und die Bohrung subtrahiert es. Also Körper minus Bohrung. Damit ich aus meinem Zylinder einen Ring machen kann, muss ich eine zylindrische Bohrung erstellen. Die mache ich um so viel kleiner als der Volumenkörper wie die Wand dick sein soll. Laut Plan 3 Millimeter. Den Durchmesser der Bohrung lege ich also auf 152 Millimeter fest. Die Höhe wähle ich dieselbe wie beim Körper, das Loch soll durchgehend sein.

Damit die Bohrung genau in der Mitte des Körpers ist, wähle ich Körper und Bohrung durch Mausklick bei gedrückt gehaltener Shift-Taste aus und klicke auf «Ausrichten» bei den Bearbeitungsmöglichkeiten. So kann ich die Bohrung perfekt in die Mitte des Körpers legen. Mit Klick auf «Gruppieren» wird die Bohrung vom Körper subtrahiert und ich habe meinen Ring.

Der fertige Ring.
Der fertige Ring.

Jetzt fehlt noch das Gewinde, in das der Schlauch der Klimaanalage eingedreht wird. Glücklicherweise gibt es dafür eine Vorlage in Tinkercad. Die Form ziehe ich in die Arbeitsebene und kann sie dann über ein eigens für die Form geschaffenes Menü meinen Anforderungen nach anpassen. Danach muss ich das Gewinde nur noch mit dem Ring kombinieren. In diesem Fall subtrahiere ich keine Bohrung vom Körper, sondern addiere zwei Körper miteinander. Wie in Minecraft. Fertig ist die Basis.

Das Gewinde ausserhalb des Rings.
Das Gewinde ausserhalb des Rings.
Gewinde und Ring kombiniert.
Gewinde und Ring kombiniert.

Läuft, bis…

Jetzt ist das Mittelteil dran. Hierfür nehme ich den Kegel als Basisvolumenkörper. Der obere Radius lässt sich im prozentualen Verhältnis zur Grundfläche bestimmen. Bei 0 Prozent ist der Kegel Spitz, in allen anderen Fällen ist er stumpf. Der Radius der Grundfläche unten soll erneut 155 Millimeter betragen. Der Mittelteil soll schliesslich an den Oberteil anschliessen. Oben soll der Durchmesser 113 Millimeter betragen. In Prozent ausgedrückt: Rund 73 Prozent des unteren Kreises.

Der Kegel-Körper neben der Kegel-Bohrung. Im Hintergrund ist die Basis zu sehen.
Der Kegel-Körper neben der Kegel-Bohrung. Im Hintergrund ist die Basis zu sehen.

Das klingt erstmal kompliziert, da ich den oberen Radius prozentual berechnen muss. Es hat jedoch den Vorteil, dass das Verhältnis von unterem und oberem Radius immer gleich bleibt, egal ob ich den unteren verändere. Das kommt mir entgegen, da ich den Ring gleich erstelle wie oben. Dazu kopiere ich den soeben erstellen Volumenkörper und definiere ihn als Bohrung. Jetzt muss ich nur noch seine Grundfläche auf 152 Millimeter einstellen, die Wand soll erneut 3 Millimeter dick sein. Der obere Radius wird jetzt auch prozentual kleiner und ich kann die Körper und Bohrung Ausrichten und Gruppieren. Also wieder die Bohrung vom Körper subtrahieren, fertig ist das Mittelteil.

Das fertige Mittelteil.
Das fertige Mittelteil.

Den Anschluss erstelle ich gleich – ausser dass die Wand dieses Mal etwas dicker sein soll, nämlich 7 Millimeter. Dieses Teil wird dann in das Loch in der Wand gesteckt. Es soll aufgrund der Neigung nach Innen dort von selbst halten. Leider ist es damit nicht gemacht. Beim Loch in der Wand hat es so ein Ding, das ich mangels Vokabular mal als Propeller bezeichne. Es sieht so aus:

Keine Ahnung wie ich das Ding in der Mitte mit den drei Beinen nennen soll.
Keine Ahnung wie ich das Ding in der Mitte mit den drei Beinen nennen soll.

Ich muss also in den Anschluss drei Aussparungen machen, damit er über den Propeller gesteckt werden kann. Die Aussparung sind jeweils in einem 120 Grad Winkel zueinander auf dem Ring angeordnet. In Fusion 360 hätte ich hierfür Hilfslinien zeichnen können. Geht in Tinkercad nicht. Was jetzt?

In der Arbeitspalette stosse ich auf den Formen-Generator. Darin sind verschiedene Vorlagen-Körper zu finden, welche von der Tinkercad-Community erstellt wurden. Und siehe da: Ich werde fündig. Mit der Form «Runde Anordnung» lassen sich x-beliebige Volumenkörper in einem Kreis anordnen, die immer im selben Abstand zueinander sind. Genau das, was ich brauche. Bei drei Körpern auf einem Kreis entspricht das automatisch dem 120 Grad Winkel zueinander. Ich muss die runde Anordnung nur auf meinen Anschluss anpassen, ihn als Bohrung definieren und dann davon subtrahieren. Schon ist auch das letzte Teilstück fertig.

Im Vordergrund ist der fertige Anschluss zu sehen.
Im Vordergrund ist der fertige Anschluss zu sehen.

Letzte Schritte

Jetzt muss ich die drei Teile nur noch miteinander gruppieren. Bevor ich das aber mache, dupliziere ich mein Projekt. Wieso ich das tue? In Tinkercad gibt es keinen Konstruktionsverlauf wie in Fusion 360. Damit lassen sich einzelne Arbeitsschritte wie in der Timeline eines Videoschnitt-Programms anpassen. Wenn ich in Tinkercad die drei Teile gruppiere und dann das Projekt schliesse, kann ich die vorangegangenen Arbeitsschritte nicht mehr rückgängig machen. Sollte ich also etwas an den Massen der Teile anpassen müssen, müsste ich unter Umständen nochmal ganz von vorne beginnen. Dank der Kopie des Projekts, muss ich nur die einzelnen Teile neu machen.

Um die Teile miteinander zu gruppieren, muss ich Mittelteil und Anschluss erst auf die entsprechende Höhe anheben. Ich kann die Teile nämlich nicht nur auf der x- und y-Achse verschieben, sondern auch auf der z-Achse. Dann muss ich die Teile nur noch gruppieren und fertig ist der Adapter für die Klimaanlage.

Die drei Teile sind auf der korrekten Höhe und warten darauf, zusammengeführt zu werden.
Die drei Teile sind auf der korrekten Höhe und warten darauf, zusammengeführt zu werden.

Fazit: Geht, aber ist irgendwie nicht befriedigend

Tinkercad ist sehr intuitiv. Als ehemaliger Minecraft-Spieler fühle ich mich gleich wie zu Hause. Ohne diese «Vorkenntnisse» wäre mir der Umstieg von Fusion 360 auf Tinkercad schwerer gefallen. So gewöhne ich mich schnell an die neue Arbeitsweise.

Ich stosse jedoch auch an Grenzen. Hätte ich die Community erstellte Form «Runde Anordnung» nicht gefunden, hätte ich keine Lösung für mein Problem mit den Löchern im Ring parat gehabt. Sehr wahrscheinlich hätte ich dann «Handgelenk mal Pi» – «Pi mal Daumen» für die deutschen Leser*innen – gearbeitet. Das hätte mich jedoch nicht befriedigt. Zudem fehlt mir der Konstruktionverlauf, wo ich vorangegangene Arbeitsschritte immer wieder anpassen kann.

Was mich zu meinem Fazit bringt: Tinkercad ist zwar okay, aber irgendwie sehne ich mich nach etwas Fusion-360-ähnlichem. Hast du Tipps für weitere gratis CAD-Programme? Schreib sie in die Kommentarspalte und ich probiere sie dann aus.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.

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