Warum eigentlich essen wir im Kino Popcorn?
5.10.2021
Popcorn gehört zum Kino. Ohne den gepufften Mais ist die cineastische Erfahrung für viele nicht vollständig. Aber wie kam es eigentlich zu der Symbiose zwischen Kino und Snack?
Kino. An der Kasse steht eine mittelmotivierte Person in rotem Poloshirt. Daneben ein gläserner Kasten. Kleine, weisse Wölkchen fliegen munter umher: Popcorn. Daneben stehen drei Tütengrössen: klein, mittel und gross. Oder auch: teuer, teurer und am teuersten. Rote und weisse Elemente zieren das Papier. Es riecht nach Butter. Die mittlere Tüte wird gekauft, noch vor der Bezahlung steckt mindestens eine Hand darin. Ein Fünftel des salzigen Snacks liegt bereits am Boden. Die restlichen vier Fünftel werden während der Kinowerbung vertilgt. Wenn der Film dann endlich beginnt, sind nur noch die salzigen und fettigen Finger übrig.
Popcorn gehört zu jeder seichten Komödie, zu jedem überlangen Thriller und zu jedem Disneyfilm für die ganze Familie. Ohne den salzigen Snack ist Kino nicht vollkommen. Doch Popcorn und Film, das gehörte nicht immer so klar zusammen. Anfangs war der gepuffte Mais bei Kinobetreibern gar verpönt.
Zu vornehm für Snacks
Anfang des 19. Jahrhunderts bringen wahrscheinlich Händler Popcorn von Südamerika, wo der Puffmais schon lange kultiviert wurde, in die Staaten Neuenglands im Nordosten der USA. Einige Jahre später ist Popcorn bereits ein verbreiteter Snack in Nordamerika. 1848 findet sein Name gar Einzug ins «Dictionary of Americanisms». Popcorn ist auf Jahrmärkten, in Zirkussen und auf den Strassen zu finden. Die Erfindung der dampfbetriebenen mobilen Popcorn-Maschine von Charles Cretor im Jahr 1885 lässt die Popularität des Puffmaises weiter steigen. Plötzlich lässt sich Popcorn ganz einfach unterwegs herstellen. Ein weiterer Pluspunkt: Der Duft verbreitet sich in den Strassen und lockt neue Kundinnen und Kunden an.
Popcorn ist also überall – ausser im Kino. Das orientiert sich mit seinen roten Teppichen und schönen Sesseln am vornehmen Theater. Essen während der Vorstellungen ist nicht nur wegen des Drecks, das es verursachen würde, verboten, sondern auch wegen der Ablenkung durch Kaugeräusche. Zudem muss das Publikum in der Anfangszeit des Kinos lesen können. Eine Fähigkeit, die damals bei Weitem nicht alle beherrschen. Stummfilme werden einerseits musikalisch live begleitet, andererseits aber auch mit Zwischentiteln versehen, um einen Teil der Geschichte zu erzählen. Das Kino blieb der reichen, gebildeten Schicht vorbehalten, die gerne auf Snacks verzichtet.
Krisen schweissen Popcorn und Kino zusammen
Dass sich das Kino von einem elitären Ort zu einem für alle sozialen Schichten wandelt, ändert sich vor allem mit der Einführung des Tonfilms, aber auch durch die Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren. Das Kino wird zum kleinen Luxus, den sich die meisten Leute gerade noch leisten konnten. Auch eine Tüte Popcorn, die damals in den USA zwischen 5 und 10 Cent kostet, liegt im Budget. Die Strassenverkäufer erkennen das Potenzial sofort und stellen sich mit ihren mobilen Popcornmaschinen vor die Kinos.
Nach unzähligen in die Säle geschmuggelten Popcorntüten knicken die Kinobetreiber ein und erlauben den Strassenverkäufern, direkt in den Eingangshallen zu verkaufen – gegen eine kleine Gebühr. Es dauert nicht lange, bis die Betreiber merken, dass sich ihr Gewinn vervielfachen würde, würden sie den Mittelmann einfach auslassen. So beginnen sie selbst mit dem Verkauf. Für viele Kinos sichert der Snack gar ihr Überleben in der finanziell schwierigen Zeit der Weltwirtschaftskrise.
Endgültig zusammengeschweisst werden Kino und Popcorn im Zweiten Weltkrieg. Da Zucker zur Mangelware und deshalb rationiert wird, verschwinden süsse Snacks zunehmends. Das salzige Popcorn bleibt und hat viel weniger Konkurrenz. Im Jahr 1945 wird beinahe die Hälfte des in den USA verzehrten Popcorns in Kinos gegessen.
Popcorn gehört zum Blockbuster-Kino – aber was ist mit Arthouse?
Auch in der Schweiz ist Popcorn nicht mehr aus dem Kino wegzudenken – zumindest aus den grossen Blockbusterpalästen. Laut NZZ, die einen Kinobetreiber zitiert, ist das Kioskgeschäft viel rentabler als der Ticketverkauf. Diese Einnahmen müssen im Gegensatz zu denen aus den Kinotickets nicht mit dem Verleiher geteilt werden. Das im Einkauf sehr günstige Popcorn kann mit riesiger Marge verkauft werden. Das Salz sorgt dafür, dass auch noch Getränke dazu gekauft werden. Und in der Schweiz gibt’s in der Hälfte des Films sogar extra eine Pause, um entweder aufs WC oder noch einmal zum Kiosk zu schlendern.
In vielen Arthouse-Kinos und solchen mit einem ausgewähltem Programm gibt es bis heute kein Popcorn. Auch in den Kinos der Neugass Kino AG gab’s bis vor einigen Jahren keins. «Für uns war klar, dass wir keine Popcornmaschine wollen, insbesondere wegen den Geruchsemissionen bei der Produktion, aber auch im Saal. Und es gab einfach sehr lange kein vorproduziertes, abgepacktes Popcorn, welches unseren Ansprüchen gerecht wurde», sagt Daniela Küttel, Leiterin Betrieb und Mitglied der Geschäftsleitung. Ausgerechnet der Geruch wurde zum Problem.
Der Geruch, der für die frühen Verkäufer und deren Kundenakquise doch so wichtig war.
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.