Was wir tun würden, wenn Städte mehr wie Spielplätze wären
Hintergrund

Was wir tun würden, wenn Städte mehr wie Spielplätze wären

Architektur kann uns bewegen. Manche Ideen für «Active Cities» werden bereits umgesetzt, andere sind vielversprechende Gedankenspiele – die das Fussvolk begeistert annehmen würde, wie eine Studie zeigt.

Bewegung muss Freude bereiten. Punkt. Wer sich nicht gerne bewegt, wird es nicht häufig genug tun. Doch nicht immer und überall ist alleine der innere Schweinehund schuld daran, wenn eine Woche mal wieder bewegungsarm zu Ende geht. Mancherorts macht es die Umgebung den Menschen sauschwer, eine Runde um den Block zu geniessen oder den Weg zur Arbeit aktiv statt sitzend zurückzulegen. Dass angenehm gestaltete Fusswege mehr Leute dazu animieren, diese auch zu benutzen, ist erforscht und wenig überraschend.

Wer nicht auf dem schmalen Fussweg neben einer vierspurigen Hauptstrasse entlanggehen muss, sondern durch Grünanlagen spazieren oder auf breiten Wegen flanieren kann, ist eher bereit, das auch zu tun – und tut gleichzeitig etwas für die Gesundheit. Mindestens 150 Minuten moderate Bewegung pro Woche empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO für Erwachsene. Das wäre einfacher zu erreichen, wenn die Umgebung nicht nur für Autos oder Züge attraktiv ist.

High Line Park in New York: Werden Strassen oder Gleisstrecken dem Fussvolk ansprechend gestaltet zurückgegeben, nutzt es diesen Raum auch.
High Line Park in New York: Werden Strassen oder Gleisstrecken dem Fussvolk ansprechend gestaltet zurückgegeben, nutzt es diesen Raum auch.
Quelle: Wikimedia Commons/Wil Fyfordy/CC BY-SA 4.0

Neben Fusswegen, Parks und Sportplätzen gibt es noch andere Möglichkeiten, die Bevölkerung sanft und niederschwellig in Richtung mehr Bewegung zu stupsen. «Nudging» heisst das Stichwort. Wir wollen schliesslich nicht dazu verdonnert, sondern animiert werden. Wie das gehen könnte, hat eine im Journal «Landscape Research» publizierte Arbeit untersucht.

Aktive Städte, aktive Landschaften

Die Forschenden um Hauptautorin Anna Boldina von der University of Cambridge zeigten 595 Britinnen und Briten Alltagssituationen mit unterschiedlich gestalteten Wegen und befragten sie, welchen davon sie wählen würden. Ungefähr so, wie du es oben im Titelbild sehen kannst, das die Londoner Sermon Lane mit animierten Hindernissen zeigt. Sie veränderten die Ausgangslagen auf Wegen und in Parks, bauten Abkürzungen, den Durchgang verengende Figuren oder Balancierpfade über Wasser ein und wollten jeweils wissen, wie sich diese Anpassungen auswirken. Ausserdem war eine Selbsteinschätzung gefragt, ob sich die Probanden die Aufgabe zutrauen und für wie schwierig oder gefährlich sie die gezeigten Wege halten.

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Während neue Velo-Routen, städtische Sportangebote oder andere Infrastruktur häufig die ohnehin schon Sportlicheren abholen, sollte es in diesem Fall um eine andere Frage gehen: Bringt man Erwachsene Menschen dazu, nicht immer den einfachsten Weg ans Ziel zu nehmen und somit dem Bewegungsmangel ein Schnippchen zu schlagen? Zumindest auf dem Papier lautet die Antwort klar: Ja.

Bewegungsanreize für alle

Je nach Schwierigkeitsgrad würden 14 bis 78 Prozent der Befragten einen kleinen Hindernislauf in Kauf nehmen und sich Herausforderungen wie Balancierbalken, Steinen im Teich oder extra hohen Stufen stellen. Alle Altersgruppen zeigten sich offen dafür, sofern die Strecke beherrschbar schien. Sie liessen sich also bewegen – wenn, ja wenn die Städte hier und da etwas mehr wie Kinderspielplätze statt planierter Betonwüsten wären.

Die Umgestaltung von Alltagsorten könnte einen Beitrag dazu leisten, das Verhalten der Menschen zu verändern. Als Ergänzung zu konkreten Sportangeboten wie «Active City» oder der «Well-being Initiative», die zum Beispiel in Liverpool dazu beigetragen hat, dass heute schon 50 statt 30 Prozent der Bevölkerung zumindest ausreichend aktiv sind.

Kombiniert mit aktivierend gestalteten Städten und Parks könnten noch mehr Bewegungsmuffel in Schwung gebracht werden. Sie liessen sich motivieren, wie die Befragung in der Studie zeigt. Und zwar besonders gerne dann, wenn der Weg eine Belohnung bereithält, ohne gefährlich zu wirken. Zum Beispiel, weil er eine schöne Aussicht verspricht oder schlicht den Weg ans Ziel verkürzt. Gut ist, dass das Ausmass der Wegersparnis keine grosse Rolle zu spielen scheint, was die Motivation angeht.

Einladungen statt Aufforderungen

Städte brauchen einfache Wege, die vielseitig sind und für niemanden zu mühsam werden. Wege, die ältere Menschen oder Personen im Rollstuhl nutzen können, die aber ebenfalls kleine sportliche Herausforderungen auf unterschiedlichem Niveau bereithalten. Sie wirken eher wie eine Einladung und weniger als Aufforderung, endlich aktiv zu werden, wie das bei ein paar Fitnessgeräten im Park der Fall sein kann.

Bei dieser «Choice Architecture» können viele Faktoren dazu beitragen, dass die Leute wirklich neue Wege gehen. Geländer, die mehr Sicherheit versprechen, Beleuchtung oder eine Wegführung, die «da geht’s lang» suggeriert. Das ist wichtig, da wir uns gerne an anderen orientieren. Balanciert eine Person, folgen schnell die nächsten zwei oder drei. Der Anblick der Bilder löste bei den Befragten in Szenarien mit Menschen jedenfalls grössere Lust darauf aus, es selbst zu probieren. Aber sie mussten ja auch nicht zur Tat schreiten, sondern nur ihre Einschätzung abgeben. Vermutlich im Sitzen.

Titelbild:Anna Boldina/CC BY 4.0

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Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.


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