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«Civilization 7» angespielt: fehlerhaft und unbalanciert
«Civilization 7» will die Serie nach neun Jahren Entwicklungszeit in eine neue Richtung treiben. Im Kern sind die Ideen gut, in der Praxis scheitert das Vorhaben vor allem an einer schlechten Benutzeroberfläche und zweifelhaften Entscheidungen der Entwickler.
Meine von Machiavelli geführten römischen Streitkräfte haben die Stadt Tosali umstellt. Es kann sich nur noch um wenige Züge handeln, bis die Stadt meines Kontrahenten in Schutt und Asche gelegt ist und ich einen gloriosen Sieg feiere! Doch dann … zack! «Das Zeitalter der Erkundung» bricht an und beendet den Krieg. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich muss mich zunächst mit der neuen Mechanik zurechtfinden.
Die «Civilization»-Reihe gilt als die Mutter aller 4X-Spiele. In der Spielserie geht es darum, seinem Volk mittels Entdeckung (explore), Expansion, Ausbeutung (exploit) und Auslöschung (exterminate) zum Sieg zu verhelfen.
Die in Sechsecken (oder Quadraten vor der Version 5) aufgeteilte Karte und die rundenbasierte Spielmechanik gehören seit 1991 zu den Grundpfeilern der Spielreihe. Seitdem gab es immer wieder grössere Änderungen am Spielkonzept. In «Civilization 7» gibt es ebenfalls viele Anpassungen – mit vielen davon kann ich mich leider gar nicht anfreunden.
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Quelle: Simon Balissat
Die guten Änderungen
Generäle
Generäle können deine Armee einerseits verstärken, wenn sie in unmittelbarer Nähe sind. Sie funktionieren aber auch als Transporter. Bis zu sechs Armeeeinheiten können mit ihnen «mitlaufen», was das Verschieben meiner Armee viel einfacher gestaltet. Nach wie vor bietet ein Feld nur für eine Armeeeinheit Platz. Ohne Generäle ist das Verschieben meiner Armee kompliziert und mühsam, da ich immer freie Felder suchen muss.

Quelle: Simon Balissat
Stories
Wer Paradox-Spiele wie «Europa Universalis» oder «Hearts of Iron» spielt, kennt es: Kleine Events sorgen für mehr Tiefgang. Da tauchen plötzlich Hexen auf, mit denen ich entweder zusammenarbeiten oder sie aus der Welt schaffen kann. Meine Entscheidung bringt dann entweder einen Bonus auf Kultur oder mehr Zufriedenheit beim Volk. Solche Storyelemente lassen die Welt von Civilization lebendiger wirken, auch wenn sie teilweise recht plump und zufällig wirken.
Unabhängige Siedlungen statt Stadtstaaten und Barbaren
In früheren «Civilization»-Games konnte ich zu Beginn eines Spiels gegen Barbarenstämme erste Kriegserfahrungen sammeln. Stadtstaaten wiederum waren kleine Staaten, die nicht um den Sieg mitkämpfen und die man unterwerfen konnte. Das wird nun zu «Unabhängigen Siedlungen» zusammengefasst, die mir entweder feindlich, neutral oder freundlich gesinnt sein können, was eine sinnvolle Vereinfachung ist.
Diplomatie als Währung
Neu kann ich Einfluss als Währung dazugewinnen und diese dann für diplomatische Aktionen ausgeben. Das System ist simpel, aber effektiv. Will ich Kriege erklären, brauche ich genauso Einfluss wie wenn ich effizienten Handel betreiben will. Ich kann Einfluss also für grosse Aktionen aufsparen oder direkt immer investieren, um meine Beziehungen stetig zu verbessern.

Quelle: Simon Balissat
Die schlechten Änderungen
Zeitalter
Wie eingangs erwähnt hat das neue Zeitalter-System seine Tücken. Die Idee ist an sich gut: Ich führe mein Volk von der Antike über das Zeitalter der Erkundung in die Moderne, wobei dem Wechsel des Zeitalters eine bedeutende Rolle zukommt.
Einheiten werden zurückgestuft, ein Grossteil der Gebäude ist nichts mehr wert und das Spielziel ändert sich, weil sich auch die Karte erweitert. Ich kann mein Volk weiterentwickeln und etwa von den Römern über die Normannen bei den Franzosen landen. So will man mich bei Laune halten und Snowballing verhindern. Snowballing bedeutet, dass eine Nation schon früh dominiert und nicht mehr einzuholen ist. Tönt gut, bis man selbst die Nation ist, die weit voraus ist und einen grossen Teil des Fortschritts verliert. Das ist frustrierend.
Katastrophale Benutzeroberfläche
Die Benutzeroberfläche von «Civilization 7» ist oft unübersichtlich oder zeigt gewisse Dinge gar nicht erst an. Ausserdem ist sie voller vermeidbarer Fehler, etwa Schriften, die über einen Button hinausragen. Ein Beispiel? Ich will einen Händler losschicken und sehe zwar in einem Menü, welche Städte erreichbar sind und welche nicht. Warum die nicht erreichbar sind, sehe ich nirgends.
Auch kann ich die Städte nicht einfach im Menü anklicken und eine Handelsroute errichten. Ich muss den Händler selbst in die Stadt schicken und dort dann die Handelsroute starten. Warum kann mir das Game nicht einfach einen Button mit der Option «Händler in die Stadt schicken» anbieten?
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Quelle: Simon Balissat
Fehlende Features
Die Geschichte wiederholt sich. Das Spiel ist im aktuellen Zustand schlicht noch nicht fertig entwickelt. Religionen und Städte lassen sich etwa nicht umbenennen. Ein Feature, das in jedem «Civilization» verfügbar war. So befehlige ich dann im letzten Zeitalter die Franzosen und meine Städte heissen immer noch Roma und Pompeji. Auch ist bestätigt, dass ein viertes Zeitalter noch in Entwicklung ist. Ob die Entwickler das gratis nachreichen oder Geld für die Erweiterung verlangen, ist nicht klar. Irgendwie fühlt sich das Spiel dennoch unfertig an und mich beschleicht das Gefühl, dass das letzte Zeitalter ursprünglich für das Grundspiel geplant war.
Zwischenfazit nach einer Woche: Das Potenzial wird nicht ausgeschöpft
Nach einer Woche «Civilization 7» bin ich enttäuscht. Im aktuellen Zustand würde ich die Finger vom Spiel lassen und stattdessen auf die älteren Versionen 6 oder 5 zurückgreifen.
Keine Frage: Es steckt grosses Potenzial in der «Mutter aller Strategiespiele». Die schreckliche Oberfläche gilt es zu bereinigen, danach sollten die Zeitalter fairer gestaltet werden. Wenn Firaxis und 2K die Spendierhosen anhaben und das vierte Zeitalter noch als Update nachreichen, könnte das was werden. In einem Blog-Post haben sie bereits erste Änderungen in die richtige Richtung angekündigt. Auch eine VR-Version von «Civilization 7» wird in Aussicht gestellt. Hoffentlich liegt die Prio zunächst auf der Verbesserung der PC- und Konsolenversionen.
«Civilization 7» ist erhältlich für PS5, Xbox Series X/S, PC und Nintendo Switch. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von 2K für den PC zur Verfügung gestellt.
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Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.