Produkttest

«Weird West» im Test: Ein packender Trip in einen schrägen Wilden Westen

Fünf gegensätzliche Charaktere, mit einem gemeinsamen Geheimnis, ein experimentierfreudiges Kampfsystem und eine düstere Wild-West-Märchenwelt: Das macht «Weird West» zu einem aussergewöhnlichen Ritt.

Der Name ist Programm. In «Weird West» begegnest du nicht nur schiesswütigen Cowboys und Indianern, sondern auch missverstandenen Schweinemenschen und besessenen Okkultisten. Der Wilde Westen in «Weird West» erinnert an die düstere Fantasy-Saga «The Dark Tower» von Steven King oder die HBO-Serie «Lovecraft Country». Nur dass sich der Rassismus im Spiel gegen vermeintliche Monster statt gegen Schwarze richtet.

«Weird West» ist ab sofort erhältlich für PC, Playstation, Xbox und ist im Game Pass enthalten.

Entwickelt wird das Spiel von den Wolfeye Studios, das von Arkane-Mitgründern geleitet wird. Deren DNA aus Spielen wie «Prey» oder «Dishonored» sind überall spürbar. Die Ego-Perspektive ist zwar der Vogelansicht gewichen, die spielerischen Freiheiten und das taktische Vorgehen sind aber präsent.

Fünf Charaktere, fünf Kapitel

In «Weird West» spielst du in vorgegebener Reihenfolge fünf ineinander verwobene Geschichten. Als Erstes schlüpfst du in die Rolle einer ehemaligen Kopfgeldjägerin. Nach einem Anschlag auf ihre Familie staubt sie die Schiesseisen ab, respektive buddelt sie aus und heftet sich den Banditen an die Fersen.

Die Geschichte beginnt in diesem geheimnisvollen Raum.
Die Geschichte beginnt in diesem geheimnisvollen Raum.

Die Welt besteht aus zahlreichen Ortschaften, Farmen und Minen, die du über die anfangs verdeckte Übersichtskarte ansteuerst. Einer der ersten Orte, den du besuchst, heisst Crackle. In diesem verstaubten Wild-West-Kaff findest du nicht nur Hinweise auf deinen entführten Ehemann, du erfährst auch mehr über ein merkwürdiges Mal an deinem Hals. Das Intro-Video, in dem zwei Figuren vor einer verhüllten, im Stuhl zusammengesunken Person stehen, deutet an, dass übernatürliche Dinge am Werk sind. Im gleichen Raum sind die schattigen Umrisse von fünf Personen auszumachen. Die erste davon stellt sich als die Kopfgeldjägerin heraus.

Vielseitiges Kampfsystem

Zurück in Crackle führt dich die Spur nach einem kurzen Plausch mit dem hiesigen Sheriff in ein Banditencamp. Dort deutet sich zum ersten Mal die Vielseitigkeit von «Weird Wests» Kampfsystem an. Die Level sind meist so abgesteckt, dass sie verschiedene Vorgehensweisen ermöglichen. Wie immer kannst du direkt deine Knarren zücken und losballern. Eine valide Taktik. Die vielen Revolver, Schrotflinten oder Dynamitstangen schreien geradezu danach. Wenn du beim Schiessen zur Seite hechtest, verlangsamt sich die Zeit, was zu epischen «Max Payne»- oder «Matrix»-Momenten führt. Die Gegner verschanzen sich allerdings schnell hinter Hindernissen, kreisen dich ein oder stürmen mit erhobenem Machete auf dich zu. Weil du beim Zielen auch noch die richtige Schussdistanz bestimmen musst, wirst du ordentlich gefordert.

Es lohnt sich, die Umgebung in die Taktik mit einzubeziehen. Du kannst vor dem Kampf herumstehende Gift-, Öl- und Dynamitfässern so aufstellen, dass später explosive Kettenreaktionen entstehen. Mit einem Tritt kickst du während des Gefechts alternativ die Fässer deinen Feinden vor den Latz oder entzündest ein Ölfass mit einem gezielten Schuss auf eine Öllaterne. Mit Wasser und Stromschlägen ergeben sich ebenfalls witzige Kombinationen, Gegner auszuschalten. Du kannst auch auf Häuserdächer klettern und die Gegner von dort aufs Korn nehmen. Oder du seilst dich einen ausgetrockneten Brunnen hinab und schleichst dich durch unterirdische Tunnel hinter die feindlichen Linien.

Neben Zielen und Schiessen stehen dir pro Charakter und Waffen-Typ zwischen drei bis vier freischaltbare Talente zur Verfügung. Die Waffentalente sind bei allen Charakteren identisch. Mit «High Noon» feuerst du mit dem Revolver automatisch auf jedes Ziel in Reichweite. «Sprengschuss» lädt die Schrotflinte mit Sprenggeschossen. «Lautloser Meuchler» macht das Gewehr für den nächsten Schuss lautlos. Individuell sind die Charakter-Talente. Die Kopfgeldjägerin kann kurzzeitig Feinde bezaubern und zu Komplizen machen oder 20 Sekunden extra-kraftvolle Arschtritte verteilen. Über die späteren Figuren verrate ich lieber nichts, um dir nicht die Überraschung zu verderben.

In Deckung kann man sich vor Feinden verstecken.
In Deckung kann man sich vor Feinden verstecken.

Zusätzlich kannst du bis zu zwei Begleiter anheuern und sie mit Waffen und Rüstung ausstatten. Sofern deine Helden ihre Geschichte überleben, kannst du sie im folgenden Kapitel ebenfalls rekrutieren und von ihren Spezialfähigkeiten profitieren – genial.

Leider – muss ich fast sagen – führt stupides Ballern fast immer zum Ziel. Will ich mehr Abwechslung, muss ich mich fast dazu zwingen. Das liegt auch daran, dass die Steuerung etwas umständlich ausfällt. Ich habe primär mit Maus und Tastatur gespielt. Mit WASD bewege ich meine Figur und mit der Maus wird gezielt und geballert. Die Talente der Charakteren liegen standardmässig auf den Tasten eins bis vier. Die Belegung kann ich mir merken, das Problem ist, dass sich die auszuführenden Fähigkeiten ändern, je nachdem, welche Waffe ich ausgerüstet habe. Die fünf Waffentypen, Pistole, Gewehr, Schrotflinte, Bogen und Nahkampfwaffe ergeben mit den Charaktertalenten über zwanzig Aktionen, die ich ausführen könnte. Jeder der fünf Charaktere hat zudem eigene Fähigkeiten. Das macht es schwierig, im Kampf den Überblick zu behalten. Glücklicherweise gibt es den Taktikmodus, der auf Knopfdruck die Zeit verlangsamt. Dummerweise habe ich den die ersten zehn Stunden komplett ausser Acht gelassen. Also mach nicht den gleichen Fehler wie ich!

Mit dem Controller sind die verschiedenen Fähigkeiten etwas einfacher auszuwählen und die Bewegung ist mit dem Analog-Stick ebenfalls präziser. Dafür fällt das Anvisieren der umher rennenden Gegner deutlich schwerer, weshalb ich nach ein paar Stunden auf Maus und Tastatur umgesattelt habe.

Ein lebendige und geheimnisvolle Welt

An Abwechslung mangelt es nicht.
An Abwechslung mangelt es nicht.

Mehr als das Kampfsystem hat es mir die kuriose Welt angetan. Ob als Teil der fünf Hauptgeschichten, bei einer Nebenaufgabe, einer Schatzsuche oder einer der vielen zufälligen Begegnungen beim Reisen, es gibt immer etwas zu entdecken und zu erleben. Eine geheimnisvolle Hexe fordert mich zum Ohrfeigenduell auf, eine Sekte fleischfressender Sirenen greift mich an oder ich spiele den Vermittler in einer Liebesgeschichte zwischen zwei Cowboys. Die Geschichte wird mit jedem neuen Charakter verworrener.

Auch die Welt verändert sich laufend. Der dynamische Tag-Nacht-Wechsel ist nicht nur kosmetischer Natur. Abends gehen die meisten Bewohner schlafen, was sich für leises Vorgehen oder Diebestouren anbietet. Der Tagesverlauf bedeutet auch, dass die Zeit im Spiel fortschreitet. Verschiedene Aufgaben wie Kopfgeldaufträge müssen innert bestimmter Frist erledigt werden. Interessanter sind die Veränderungen durch deine Handlungen in der Welt. Eine geisterhafte Ortschaft, die ich vor einer Zombie-Invasion gerettet habe, ist bei meinem nächsten Besuch wieder voller Leben. Dadurch eröffnen sich neue Einkaufsmöglichkeiten, aber auch neue Nebenquests.

Deine Taten haben Auswirkungen auf die Welt.
Deine Taten haben Auswirkungen auf die Welt.

Mit deinen Handlungen beeinflusst du den Verlauf der Geschichte. Die Entscheidungen sind ziemlich schwarz-weiss, aber nicht ohne Tiefgang. Auf welche Seite schlägst du dich im Streit zwischen Indianer und Farmer oder schaust du nur zu? Entschuldigst du dich für vergangene Taten oder rächst du dich für dein eigenes Leid? Opferst du den Mörder oder den Dieb? Du kannst auch jede Figur im Spiel einfach über den Haufen knallen – inklusive Hauptfiguren. So habe ich mich einer Person entledigt, der ich mehr verraten musste, als mir lieb war, um an mein Ziel zu kommen. Zwei schnelle Grüsse aus dem treffend betitelten «Black Mountain Widowmaker»-Gewehr und das Problem war gelöst – oder etwa nicht? Grosse Auswirkungen meiner Entscheidungen habe ich bisher nicht bemerkt. Das letzte Kapitel habe ich aber noch vor mir.

Wenn du nicht gerade der Hauptquest folgst, kannst dich frei auf der Karte bewegen und jeden neu entdeckten Punkt ansteuern. Vielleicht hat dort jemand einen Auftrag für dich, vielleicht findest du dort wertvolle Beute oder vielleicht lauern auch nur ein paar hungrige Kojoten auf dem Weg. Ich habe mich ausschliesslich an die Markierungen aus meinem Questlog gehalten. Damit war ich gut eingedeckt.

Nach und nach deckst du immer mehr von der Karte auf.
Nach und nach deckst du immer mehr von der Karte auf.

Die comicähnliche Grafik mit den markanten schwarzen Umrandungen setzt die Welt stimmungsvoll in Szene. Auch wenn gewisse Gebäude und Ortschaften wiederverwertet werden, bietet «Weird West» dir insgesamt eine ordentliche Vielfalt. Der subtile und leicht unheimliche Soundtrack tut sein Übriges, dass sich dieser schräge Wilde Westen schaurig schön anfühlt.

Zwang zum Messi

«Weird West» ist im Kern ein Rollenspiel. Dazu gehört ein Crafting-System, um Waffen und Rüstungen zu verbessern. Das Material dazu findest du beim Looten oder durch das Abbauen von Erzvorkommen. Auf deinen Reisen saugst du wie ein Staubsauger alles ein, was nicht niet- und nagelfest ist. Entsprechend schnell platzt dein Inventar aus allen Nähten. Ausser Schusswaffen kannst du nichts auseinander nehmen, um Platz zu schaffen. Und schlimmer noch als beim von mir vernachlässigten Taktikmodus habe ich erst nach 15 Spielstunden herausgefunden, dass du Waffen direkt beim Einsammeln auseinandernehmen kannst. Ich habe immer erst umständlich Platz im viel zu kleinen Inventar geschaffen.

Der Sammelzwang wird mit der Zeit etwas anstrengend.
Der Sammelzwang wird mit der Zeit etwas anstrengend.

Auch die Satteltaschen deines Pferdes, das ausserdem die Reisezeiten verkürzt, sind schnell gefüllt. Wie oft bei Spielen mit Beutesystem verkommt es zum Zwang jede Kiste, Schublade oder Leiche zu plündern. Du weisst schliesslich nie, ob du dabei eine neue schicke Waffe oder gar ein goldenes Pik-Ass findest. Mit dieser Karte schaltest du Extra-Fähigkeiten frei, die über alle Charaktere bestehen bleiben. Dazu gehören mehr Lebenspunkte, schnelleres Nachladen oder eine grössere Chance den Dietrich beim Schlösserknacken zu behalten.

Fazit: fesselnde Welt und motivierendes Kampfsystem

«Weird West» ist eine faszinierende Mischung aus Action-Rollenspiel und Fantasy-Horror. Die Geschichte der fünf spielbaren Charaktere gewinnt zwar keinen Literatur-Preis, aber das Geheimnis, das sie alle verbindet, hat mich stets zum Weiterspielen animiert. Auch fernab der Hauptquest gibt es viel zu entdecken und auszuprobieren. Zwar lässt sich praktisch jedes Problem mit Schiesseisen lösen, damit verpasst du aber einen entscheidenden Aspekt des Spiels: das Herumexperimentieren. Mit dem Wirbelwind-Talent eines späteren Charakters lassen sich Gift– und Feuerstürme entfachen. Oder du findest heraus, wie viele Fässer du zu einem explosiven Domino aufreihen kannst. Nur, um dabei entdeckt zu werden und dich in der Hektik selber in die Luft zu sprengen.

Auf deinen Reisen begegnest du allerhand merkwürdigen Gestalten.
Auf deinen Reisen begegnest du allerhand merkwürdigen Gestalten.

Eine ganz so komplexe Simulation, wie es die Entwickler Glauben machen wollen, scheint «Weird West» nicht zu sein. Ich bin aber sicher, sobald das Spiel rauskommt, werden Spielerinnen und Spieler weitaus kreativere Ideen haben, als ich.

Trotz den vielen Freiheiten kann «Weird West» zu Weilen etwas repetitiv werden. Im Kern geht es fast immer darum, irgendwo hinzureisen und alle Gegner unschädlich zu machen. Weil das Spiel aber in regelmässigen Abständen neue Mechaniken präsentiert, ist es mir nie langweilig geworden. «Weird West» ist ein ungewöhnlicher Trip, den du nicht so schnell vergessen wirst.

«Weird West» ist erhältlich für PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series S/X und wurde mir von Devolver zur Verfügung gestellt.

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 

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