Hast du dich schon mal gefragt, wie es eigentlich funktioniert, dass man durch Krafttraining stärker wird und mehr Muskelmasse zunimmt? Wieso wird man durch Ausdauertraining nicht stärker, sondern ausdauernder? Das funktioniert: So.
Wenn du eine Hantel in die Hand nimmst und zum Beispiel einen Bizepscurl machst, spürt der Körper das bis auf molekularer Ebene. Die Hantel rsp. der externe Widerstand verursacht eine Vielzahl von mechanischen Belastungen, wie zum Beispiel Scher- und Zugkräfte, auf deine Zellen. In der Zellbiologie wird das auch als Mechanosensorik (engl. mechanosensing) bezeichnet [14]. Unser Gewebe und unsere Zellen sind miteinander durch unterschiedliche Strukturen vernetzt. Es wird zwischen extrazellulären und intrazellulären Strukturen und Komponenten unterschieden.
Die extrazelluläre Umgebung unserer Muskelzellen besteht zu einem grossen Teil aus Kollagen. Daran binden Proteine wie Laminin oder Perlecan, die wiederum über Integrin oder Dystroglycan direkt mit inneren Muskelzellenproteinen verbunden sind. Diese internen Proteine haben so wunderbar klingende Namen wie Paxilin, Talin, Vinculin, Dystrophin, Alpha-Aktinin und viele mehr. Für den interessierten Leser referenziere ich hier Mavropalias et al., 2022 [15]. Wirken nun wie oben erwähnt, externe Kräfte, werden diese über Strukturproteine bis ins Zellinnere übertragen und lösen dort über biochemische Reaktionen Signale (engl. cell signaling) aus, die schlussendlich im Zellkern münden [16–18]. Dort werden Gene abgelesen und die entsprechenden Proteine übersetzt. Die Zelle kann so auf externe Stressoren reagieren.
Die grundsätzliche Fähigkeit, sich bewegen zu können, ist ein Hauptmerkmal des Lebens. Diese Fähigkeit ermöglichte den Übergang von Prokaryoten (Zellen ohne Zellkern, keine internen Membranen) zu Eukaryoten (Zellen mit Zellkern, mit internen Membranen) [1]. Die Organisation dieser gesteigerten Komplexität war eine Herausforderung, da sie mit der Erzeugung von Kräften verbunden war. Die Zelle musste ihre internen Organellen organisieren, wozu sie molekulare Motoren brauchte, die Kraft erzeugen können. Molekulare Motoren sind mechanisch-chemische Enzyme, die in Adenosintriphosphat (ATP) enthaltene, chemische Energie in mechanische Arbeit umwandeln und dadurch Kraft erzeugen [2,3]. Diese Kräfte werden unter anderem dazu verwendet, zellinterne Strukturen zu organisieren, Membrane zu transportieren [4], Chromosomen und Organellen fortzubewegen [5,6], die zelluläre Migration [7] zu ermöglichen und die Muskelkontraktion [8–11] zu koordinieren. Die Möglichkeit, gerichtet Kraft zu erzeugen und die spätere Entwicklung von Muskeln, verschaffte frühen Lebensformen einen evolutionären Vorteil [12] und zeigte sich in der Vielfältigkeit der sich daraus entwickelten Lebensformen [13]. Die Fähigkeit, Kraft zu entwickeln, lässt uns mit unserer Umwelt und sozial interagieren. Die natürliche Selektion treibt die Evolution in die Richtung, in die jene Lebensformen überleben und sich durchsetzen, die sich am besten an die gegebene Umwelt anpassen können.
Jegliche Art von Kraftentwicklung für eine Bewegung oder beim Sport ist mit Energieverbrauch verbunden und kann den Stoffwechsel unserer Zellen beeinflussen. Die Störung der Stoffwechselprozesse bleibt innerhalb der Zellen nicht unentdeckt. In der Muskelzelle ist es die AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK), die einen Anstieg des Energieumsatzes detektiert. Sie misst das Verhältnis an Adenosintriphosphat (ATP) zu –diphosphat (ADP) oder –monophosphat (AMP). ATP ist die Energiewährung in unseren Muskelzellen. Wird eine Phosphatgruppe abgespalten, entsteht Energie, die die Muskeln, unter anderem, zur Muskelkontraktion brauchen. Die Abspaltung einer Phosphatgruppe führt zu einer Reduktion der Anzahl Phosphate in ATP. So wird bei einer Abspaltung einer Phosphatgruppe aus ATP ein ADP und bei einer Abspaltung einer weiteren Phosphatgruppe von ADP ein AMP. AMPK erkennt also Energiestress und koordiniert aufbauende oder abbauende Prozesse in der Zelle [19].
Energiestress stimuliert einen Signalweg mit dem langen englischen Namen peroxisome proliferator activated receptor gamma coactivator-1α (PGC-1α), der die Bildung von Mitochondrien und Blutgefässen fördert. Mechanischer Stress stimuliert einen Signalweg über mTOR. Das ist die Abkürzung für den englischen Begriff mechanistic target of rapamycin und ist ein Signalweg, der Wachstumsprozesse, wie zum Beispiel das Muskelwachstum anregt.
Ausdauer- und Krafttrainingsadaptionen
Ausdauertraining ist in der Regel durch kontinuierliche Phasen von geringer Intensität gekennzeichnet [20], die es erlauben, die Übungen über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Typische Ausdauerübungen sind zum Beispiel Gehen, Laufen, Radfahren oder Schwimmen. Ausdauertraining stellt eine Herausforderung für das Stoffwechselsystem dar, da sie die intrazellulären Konzentrationen von Sauerstoff, Laktat, reaktiven Sauerstoffspezies, Adenosintriphosphat und Calcium stört [21]. Im Gegensatz zum Ausdauertraining beinhaltet das Krafttraining kurze Phasen von höherer bis maximaler Intensität [22]. Beim Krafttraining wird die mechanische Integrität [23,24] des Gewebes und das metabolische Gleichgewicht der Muskeln herausgefordert [25,26]. Durch systematische Anwendung mechanischer [27–29] und metabolischer Belastungen [30–32] am menschlichen Körper kommt es zu morphologischen und neuralen Anpassungen [33]. Diese Anpassungen umfassen beispielsweise Veränderungen in der Grösse [34,35] und Struktur [36] der Muskelzellen, Wachstum der Myofibrillen und Vermehrung der Mitochondrien [37,38], Stoffwechselprofile [39] und vieles mehr.
Die Adaptionen von Ausdauer- und Krafttraining sind unterschiedlich und legen daher nahe, dass Unterschiede in der kontraktilen Aktivität der Muskeln zu unterschiedlichen Anpassungen führen.
Bereits 1997 zeigten Dolmetsch et al. [40], dass unterschiedliche Signalwege selektiv aktiviert werden in Abhängigkeit der Intensität eines Signals. Atherton und Kollegen isolierten 2005 Muskeln von Ratten und stimulierten diese elektrisch mit einer hohen Frequenz über einen kurzen Zeitraum (6 x 10 Repetitionen bestehend aus 3-s Schübe von 100 Hz), um ein Krafttraining zu simulieren oder mit einer tiefen Frequenz (3 h bei 10 Hz), was ein Ausdauertraining abbildet. Krafttraining erhöhte die Muskelproteinsynthese 3 h nach der Stimulation im Vergleich zum Ausdauertraining um den Faktor 5.3 (P < 0.05) signifikant. Das Ausdauertraining erhöhte die Muskelproteinsynthesenrate im Vergleich zu der Kontrollgruppe nicht statistisch signifikant. Das Ausdauerprotokoll erhöhte in den Muskelzellen jedoch die AMPK Aktivität nach 3 Stunden und nach 6 Stunden signifikant (P < 0.05) im Vergleich zum Krafttraining. Das führte zu einer signifikanten Aktivierung von PGC-1α gleich nach dem Training (P < 0.5). Unterschiedliche Intensitäten, die Ausdauer- oder Krafttraining simulierten, haben also zur Aktivierung unterschiedlicher Signalwege geführt. Diese scheinen sich gegenseitig zu hemmen.
Faszinierend, wie Zellen sehr sensibel auf externen Stress reagieren können. Das erklärt auch, weshalb die Anpassungen immer sehr spezifisch auf den entsprechenden Trainingsreiz sind. Herzliche Gratulation, wenn du dich bis hierher durchgelesen hast.
Als kleine Denksportaufgabe stelle ich jetzt die Frage:
Umfrage
Ist es sinnvoll, Kraft- und Ausdauertraining in einer einzelnen Trainingseinheit zu kombinieren?
Klar, alles in eine Einheit packen.
20%
Nein auf keinen Fall. Fokussieren!
48%
Keine Ahnung, du bist der Experte. Erklär es mir in einem Artikel.
33%
Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.
Referenzen
Quellen 1-13 beziehen sich auf die Infobox, Quellen 14-40 auf den Fliesstext
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