Produkttest

Wo ist das Scart, Man?

Ich habe die Nase voll von Netflix, ich will tiefer in die Filmwelt eintauchen. Dafür werde ich Kundin einer Videothek und kaufe mir einen DVD-Player für unter 50 Franken. Ich hätte wissen müssen, dass der Preis einen Haken hat.

Eine blutige Schlacht in der Antike, intensiver Körperkontakt auf einem leicht schäbigen Ledersofa, ein winterlicher Spaziergang in einer harten Grossstadt aus Beton. Mit nur ein paar Knopfdrucken kann ich mich mitten in diese Geschehnisse begeben. Vom Wohnzimmer aus. Filme sind Unterhaltung, Lehrstunde und Kunst. Gerade jetzt, im Winter, wenn mir nach zehn Minuten draussen kalt wird, zelebriere ich die Abende vor dem Fernseher. Diesen Winter besonders, denn Corona zwingt mich dazu, meine sozialen Kontakte einzuschränken.

Beim Gedanken an die regelmässigen Filmabende träume ich schnell vom eigenen Heimkino. Secondhand-Beamer, alte Sessel zum Einsinken, schwarzgestrichene Wände, dicke Samtvorhänge an den Fenstern. An der weissen Wand läuft ein Film, der mich mit seiner kinematographischen Schönheit packt. Die Geschichte entwickelt sich langsam, alles passiert in einem kleinen Kosmos, harte Schnitte gibt's keine. So wie das im echten Leben der Fall ist.

Zurück auf Anfang

Diese Vorstellung lässt sich auf Dauer nicht allein mit Netflix und Co. erfüllen. Die Inhalte sind mir in der Summe zu «Hollywood», zu herausgeputzt und gestriegelt. Deshalb entscheide ich mich zu einer Mitgliedschaft in der Videothek, die ich vor Monaten für eine Reportage besucht habe. Dort stöbern auch die Zürcher Programmkinos, um sich inspirieren zu lassen. 30 000 Filme vom Historiendrama bis zum Horrorschund sollten selbst mir genügen.

Meine Filmauswahl: «The Legend of the Surami Fortress», «Chicorée», «All or Nothing», «Four Lions», «Trash Humpers» und «Die Geträumten».
Meine Filmauswahl: «The Legend of the Surami Fortress», «Chicorée», «All or Nothing», «Four Lions», «Trash Humpers» und «Die Geträumten».

In der Videothek gibt's vornehmlich DVDs zur Leihe. Ja, es existieren Medien mit besserer Wiedergabequalität. Aber das hat für mich keine Priorität. Grossartige Filminhalte sind mir wichtiger als die neueste Technik. Ich brauche kein Ambilight, keinen rollbaren TV, kein Schwarz, dunkler als der Himmel vor dem Morgengrauen, und keine krassen Special Effects. Ich brauche Filme. Schneller, höher, weiter ist nichts für mich. Ich tendiere eher zu intensiver, nachhaltiger, breiter.

Damit mein Heimkino in spe Form annehmen kann, brauche ich nach Jahren wieder einen DVD-Player. Es wird etwa 2006 gewesen sein, als ich das letzte Mal eine DVD eingeschoben habe. «Winnie the Pooh», der damalige Lieblingsfilm meiner kleinen Geschwister, flackerte zum 21. Mal über den Bildschirm. Noch heute rezitiere ich die Dialoge wie kaum eine Zweite. Nun soll diese Erinnerung mit neuen Inhalten überschrieben werden. Auf digitec werden mir simple Geräte schon beinahe hinterhergeworfen. Ich entscheide mich für den Sony DVP-SR170B für schlappe 41 Franken. Bereits am nächsten Tag soll er geliefert werden. Vorfreude macht sich breit.

Optisch ansprechend, aber ...

Das Gerät ist schlicht, schwarz und klein. Optisch ein Volltreffer. Nie habe ich verstanden, weshalb eine DVD zwei Millimeter dick ist und einen Durchmesser von zwölf Zentimetern hat, der Player aber etwa die Dimensionen eines Kleinwagens. War die Macht der Gewohnheit schuld? Weil Videogeräte aufgrund der Dicke von VHS-Kassetten grösser sein mussten? Oder war der gleiche Tüftler am Werk wie bei den Kartonverpackungen von digitec und Galaxus?

Schlichte Eleganz.
Schlichte Eleganz.

Meiner Neugier nachhängend, stosse ich auf eine Fernbedienung mit – meines Erachtens – relativ vielen Knöpfen. Kurz darauf entdecke ich auch Batterien. Ein Hochgefühl stellt sich ein. Ich schliesse den Sony-Player am Strom an, sehe ein grünes Lämpchen aufleuchten und plötzlich fällt mir es mir wie Schuppen von den Augen. Ich brauche ein Scart-Kabel. Genau, Scart. Die Technologie, die Bild und Ton auf den Fernseher überträgt und 2002 eigentlich vom HDMI-Kabel als Standard abgelöst wurde. Doch nirgends in der Box ist ein Scart-Kabel. Ich durchsuche die Box noch einmal, obwohl ich weiss, dass es zwecklos ist. Da ist nichts. Ich werde jetzt keinen Film schauen, den Player nicht testen können. Meine gute Laune weicht nach und nach einem Gefühl tiefster Ablehnung.

Warum zur Hölle liegt einem Produkt nicht alles bei, was für dessen Betrieb benötigt wird?!

Ein Relikt aus einer anderen Zeit: So sieht ein Scart-Anschluss aus.
Ein Relikt aus einer anderen Zeit: So sieht ein Scart-Anschluss aus.

Wer ist Fust?

Sonys kleine Finte zwingt mich dazu, zur Konkurrenz überzulaufen. Ich will «The Legend of the Surami Fortress» schauen und meinen Test abschliessen, heute noch. Fust befindet sich in der Nähe und hat noch ein paar Minuten geöffnet. Ich versuche erst gar nicht, mich im stationären Handel zurecht zu finden, sondern frage direkt bei einem Angestellten nach. «Was? Ein Startkabel brauchen Sie?» «Nein, SCART.» Der junge Herr kann mir trotz dieser Korrektur und ausschweifender Erklärungen nicht behilflich sein. Also drehen wir den Spiess um. Ich finde das Kabel und zeige es ihm. Er habe so etwas noch nie gesehen, sei wohl zu der Zeit noch nicht geboren gewesen. Ich fühle mich alt, aber auch gut. Weil ich den Horizont eines aufstrebenden Verkauftalents erweitert habe.

P.S.: Der DVD-Player spielt DVDs ab. Auf der Fernbedienung habe ich bislang genau fünf (An/Aus, Play, Pause, Enter, Richtungstaste nach unten) von vierzig Knöpfen benutzt. «The Legend of the Surami Fortress» ist ein georgischer Film aus dem Jahre 1985 und erzählt ein bekanntes Volksmärchen. Der Inhalt wird assoziativ übermittelt, die Geschichte metaphorisch erzählt und gefilmt wird fast immer statisch und in der Totalen. Zu Beginn für mich etwas gewöhnungsbedürftig. Während seiner 88 Minuten Länge habe ich mich aber durchaus für den Film erwärmen können.

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