Zu Besuch beim Hersteller der Digitec-Charger
Mit Netzteilen hat vor einem Jahr alles begonnen: Die Eigenmarke Digitec soll Qualität zu angemessenen Preisen liefern. Die Community war skeptisch und hatte offene Fragen zur Produktion in China. Ich bin hingereist, um möglichst viele davon zu beantworten.
Im Video siehst du die Fabrik, die auch unsere Digitec-Charger herstellt. Am Tag unseres Besuchs waren diverse Charger in der Produktion und nicht nur die von Digitec, weshalb du ganz verschiedene Stecker, Gehäuse und Verpackungen siehst. Der Prozess ist allerdings immer gleich.
Irgendwo in Shenzhen steigen wir aus dem Van, der uns vierzig Minuten zuvor im Hotel abgeholt hat. Auf der Autobahn sind wir vorbeigefahren an Foxconn, der Firma, die für Apple, Samsung oder Nintendo produziert und seit Jahrzehnten wegen schlechter Arbeitsbedingungen in der Kritik steht. Unsere Partnerfirma ist im Vergleich eine winzige Nummer. Wir halten in einem Industriegebiet vor einem weissen, dreistöckigen Gebäude mit Flachdach, wie sie hier zu Tausenden stehen. Davor wartet Nolan Lee, CEO der Firma und seit einem Jahr zuverlässige Geschäftspartnerin.
Es ist unser siebter Fabrikbesuch der letzten sieben Tage, der Ablauf ist immer ähnlich. Wieder werden wir in ein modernes Sitzungszimmer geführt, wo Früchte und Starbucks-Kaffee bereitstehen. Wir tauschen Visitenkarten und Nettigkeiten, stellen unsere Firmen in einer kurzen Präsentation gegenseitig vor. Wir, das sind Osman Erdogan, Leader Trade Brand Management und Yannick Cejka, Trade Brand Manager, sowie Manuel Wenk aus der PR-Abteilung und ich. Zehn Tage sind wir vier insgesamt in China und Hong Kong unterwegs, um Fabriken und Produzenten zu besuchen, Beziehungen zu pflegen und hinzuschauen. Ich will vor allem Bedenken aus der Community auf den Grund gehen. Drei solcher Vorwürfe will ich mit konkreten Beispielen angehen und dabei so ehrlich und transparent wie möglich sein.
Vorwurf: Wir packen einfach unser Logo auf günstige Produkte aus China
Wow Whitelabeling vom feinsten. 0815 China billig bestellen, labeln & hier teuer verkaufen
«Wir müssen uns beeilen, sonst schaffen wir es nicht vor der Mittagspause», übersetzt Kevin, der die Reise für uns organisiert hat und unser Kontakt in Hong Kong ist. Es ist 10 Uhr, um 11 Uhr ist Mittagspause für die Angestellten. Die Führung beginnt unspektakulär in einem Raum voller Kartonkisten. Hier lagern die Computerchips, die schlussendlich auf einer Elektronikplatine in unseren Ladegeräten landen. Die meisten Kisten sind mit chinesischen Schriftzeichen angeschrieben. Dazwischen entdecke ich das Logo von Samsung oder Kisten mit japanischer Schrift. «Wir können in allen Qualitätsstufen produzieren», erklärt der Mitarbeiter, der uns in der Fabrik herumführt. «Am günstigsten sind die chinesischen Chips, die unterstützen aber nicht alle Ladeprotokolle und werden schneller heiss».
Die Chips sind dabei nicht lose in einer Kiste, sondern kleben auf einem Band, das auf eine Spule aufgewickelt ist. Das kenne ich so noch von der alten Revox-Bandmaschine, die wir in den 2000er Jahren beim Radio hatten. Oder von den Filmrollen, die es früher in jedem Kino gab. Auf dem Band befinden sich tausende kleiner Chips. Die Spule landet in einer Maschine von der Grösse eines Kleinwagens, welche die Leiterplatten automatisch mit den Chips bestückt. Dazu spannt ein Mitarbeiter lediglich die Spulen ein und ersetzt sie, sobald sie leer sind.
![Auf den Streifen sind die Chips für unsere Ladegeräte angebracht.](/im/Files/7/6/5/9/5/6/9/2/241120_SLOW_TV_VINA_01_00_18_08.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Manuel Wenk
Ein anderes Gerät kontrolliert mit hochauflösenden Kameras, ob die Maschine die Chips richtig aufgesetzt hat. Erst ein paar Arbeitsschritte später platzieren Mitarbeitende die grossen Chips und Bauteile wie Transistoren oder Kondensatoren auf der Platine. Es sind Bauteile, die Osman und Yannick im Vorfeld mit dem Hersteller ausgesucht haben. Mehrere Samples wurden in die Schweiz geschickt, bis der Charger die aktuelle Form hatte. «Das ist Version 1. Der Charger ist gut, aber wir wollen uns in der Qualität steigern», verrät Yannick. Und was sagt er zum Vorwurf «Whitelabeling»?
«Im Prinzip handelt es sich um eine erweiterte Form von Whitelabeling, ja», sagt Yannick. Digitec bestimmt die Qualität der Komponenten, die Anordnung der Anschlüsse, Form und Farbe des Gehäuses. Rein theoretisch könnte eine Marke genau die gleiche Kombination von Bauteilen und Gehäuseform wie wir in Auftrag geben. Laut Yannick wird sich auch das ändern: «Für Version 2 wollen wir enger mit der Entwicklungsabteilung des Lieferanten zusammenarbeiten, um das Produkt noch weiter zu verbessern und unser eigenes Design umzusetzen, von der Platine bis zum Gehäuse». Das auch in Zusammenarbeit mit der Community. Eure Bewertungen zu den Produkten lesen wir aufmerksam und wir versuchen, eure Anregungen einzubinden.
Vorwurf: Wir beuten Menschen für unseren eigenen Profit aus
Digitec verdrängt so andere hersteller und macht preis- und lohndumping in china noch schlimmer.
Die fertig bestückten Platinen fahren durch einen sogenannten Reflow-Lötofen, der die Bauteile verlötet. Hier beginnt die Handarbeit am Fliessband. Stecker ins Plastikgehäuse. Platine anlöten. Gehäuse schliessen. Gehäuse mit Ultraschall verlöten. Arbeitsschritte, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter manuell am Fliessband erledigen. Aktuell sind es gegen vierzig Menschen, die an zwei Bändern konzentriert arbeiten. Die Fabrik wirkt bei unserem Besuch aufgeräumt, die Halle ist gut belüftet und hell beleuchtet. Wer an lauten Geräten arbeitet, trägt Gehörschutz. Dinge, die in Asien nicht selbstverständlich sind. Wir haben auf der Reise ganz andere Bedingungen erlebt, dazu in einem späteren Beitrag mehr. Die Schichten dauern bis zu zwölf Stunden, das mit drei längeren Pausen am Morgen, am Mittag und am Nachmittag, womit zehn Stunden effektiv gearbeitet wird, und das an sechs Tagen in der Woche. Harte Arbeit, die sich nicht komplett mit dem Verhaltenskodex von amfori BSCI vereinbaren lassen.
![Am Schluss kommt der Deckel drauf, wie hier bei einem ähnlichen Produkt.](/im/Files/7/6/5/9/5/6/9/5/241120_SLOW_TV_VINA_01_04_03_20.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Manuel Wenk
Die von uns besuchte Fabrik besitzt ein amfori C Rating, das höchste Rating wäre ein A. Das hätten wir gerne, wird aber kaum möglich sein, denn: Um ein höheres Rating als C zu erhalten, müssen Firmen garantieren, dass die Wochenarbeitszeit 48 Stunden nicht überschreitet und Überstunden nur in Ausnahmefällen angeordnet werden. Das klingt in der Theorie sinnvoll, ist in der Praxis aber schwer anzuwenden. «Unternehmen würden dann schlicht keine Mitarbeiter finden» erzählt Lee. Wie wir auf unserem Besuch immer wieder hören, wollen die meisten Mitarbeiter möglichst viele Überstunden machen, um möglichst viel Geld zu verdienen. Die Nachfrage von Firmen nach Arbeitskräften ist derzeit hoch. Deshalb können sich die Menschen häufig aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Und das ist dann dort, wo sie am meisten Geld verdienen – auch wenn sie dafür länger arbeiten müssen, wie uns mehrfach vor Ort bestätigt wurde.
Daher sinkt das Lohnniveau nicht, im Gegenteil. Zumindest in Shenzhen steigen die Mindestlöhne seit Jahren, die Arbeitsbedingungen verbessern sich stetig. Arbeiterinnen und Arbeiter wohnen in Wohnblocks, welche die Firma zur Verfügung stellt, sie essen vergünstigt in der hauseigenen Kantine. Der Staat sorgt sich mit Tagesstrukturen um die Kinder. Lohndumping ist kaum möglich, da Mindestlöhne gelten, die ein Leben ausserhalb der Armut garantieren. Aktuell sind das in der Region fast 300 Franken pro Monat oder 15 Franken pro Tag. Die Weltbank spricht bei Ländern mit mittlerem Einkommen (dazu zählt China) von Armut, wenn der Lohn tiefer als fünf Franken am Tag ist.
Ein grösseres Thema in China ist Zwangsarbeit. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder das ECCHR prangern schon länger an, dass Menschen aus Straflagern zur Arbeit gezwungen werden. Auch diesen Verdacht hatten wir beim Besuch einer Fabrik, auch hier verweise ich auf einen meiner nächsten Beiträge im Magazin.
Vorwurf: Das ist nicht umweltfreundlich
Wird auf den Produkten ersichtlich sein ob die Arbeitsbedingungen oder der Umweltschutz eine wichtige Rolle spielen.
In der Fabrik packen im letzten Arbeitsschritt Arbeiterinnen und Arbeit unsere Charger ein. Die Digitec-Verpackungen stechen hervor. Produkte für andere Firmen sind in viel Plastik eingeschweisst, bei unseren GaN-Chargern kommt eine Schachtel aus FSC-zertifiziertem Karton zum Einsatz. So garantieren wir, dass nicht noch mehr Plastik in den Umlauf kommt. Das Material des Chargers ist aktuell noch aus nicht rezykliertem Kunststoff. Zwar steigt die Nachfrage nach umweltschonender Produktion vor allem in Europa und den USA stetig, was die Produzenten in China bestätigt haben. Dieser konkrete Produzent kann uns aktuell aber noch keinen Recyclingplastik anbieten. Das könnte bei Version zwei besser aussehen.
Woher die Plastikgehäuse stammen, will ich von Frau Nolan wissen. «Die dürfen wir nicht produzieren, das ist in Shenzhen verboten, da die Produktion zu giftig ist», lässt sie mich wissen. Ein Problem, das wir mehrfach antreffen. Während die Fabriken ihre Hausaufgaben in Form dutzender Zertifikate gemacht haben, können wir das für die Zulieferer nicht garantieren. Hier wird es extrem komplex, da wir jedes einzelne Bauteil der Ladegeräte bis zum Ursprung zurückverfolgen müssten. Wir versuchen, so umweltfreundlich, ethisch und qualitativ hochwertig zu produzieren, wie es möglich ist. Eine hundertprozentige Sicherheit ist bei solch komplexen Produkten leider nicht zu erreichen. Oder zumindest nicht für einen bezahlbaren Preis des Endprodukts.
![Test bestanden, die Platine ist in Ordnung.](/im/Files/7/6/5/9/5/6/9/4/241120_SLOW_TV_VINA_01_00_51_04.jpg?impolicy=resize&resizeWidth=430)
Quelle: Manuel Wenk
Mittagspause. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besuchen die lokale Kantine. Wir hätten jetzt auch Hunger, müssen aber los zum nächsten Termin. Im Auto besprechen wir unsere Eindrücke und sind uns einig: Diese Fabrik wirkt sauber, aufgeräumt, gut organisiert und vertrauenserweckend.
Können wir zu hundert Prozent garantieren, dass hier alles mit rechten Dingen zu und her geht? Nein, so gerne wir würden, können wir nicht. Wenigstens konnten wir einige Vorurteile abbauen, die zur Produktion in China herrschen und die so schlicht nicht mehr stimmen.
Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.