Zum ersten Mal an der Tour de Suisse: Von Beat Breu bis Bryan Coquard
Am Zielort der zweiten Etappe der diesjährigen TdS in Regensdorf wird der Radsport ausgelassen gefeiert. Durch die Lautsprecher dröhnt Musik mit der Schweizer Radlegende Beat Breu, über die Ziellinie sprintet ein Franzose als Erster.
Drei Stunden Gaudi, zwei Minuten Sport. Wäre man Zyniker, man könnte die zweite Etappe der 87. Tour de Suisse über 177 Kilometer von Vaduz nach Regensdorf als Zuschauer im Ziel in sechs Worten zusammenfassen. Würde damit dem Spektakel am Zielort dieser TdS-Etappe allerdings nicht gerecht. Im Gegenteil.
Als die Profis 70 Kilometer vom Ziel entfernt sind, wird es auf der Zielgeraden ein erstes Mal ernst. Die Kleinsten geben auf ihren Laufrädern alles, um über 200 Meter ins Ziel zu sprinten. Es kommt zu spektakulären Stürzen und wundgeschürften Knien. Tränen fliessen, Mütter und Väter spenden Trost. Am Ende sind aber alle glücklich im Ziel und werden von Tour-Maskottchen «Tourli» in Empfang genommen.
Trampe, trampe!
Unterdessen ist das Feld noch 50 Kilometer von Regensdorf entfernt und lässt die Spitzengruppe mit rund drei Minuten Vorsprung an der kurzen Leine vorausfahren. Es wird auf einen Massensprint hinauslaufen. Das war nicht die Stärke Beat Breus. Der «Bergfloh» gewann die Tour de Suisse zweimal und versuchte sich nach seiner Profikarriere unter anderem im ältesten Gewerbe der Welt, als Komiker und auch als Sänger. Aus den Lautsprechern dröhnt «Trampe, trampe!» von 1998.
Die Tour de Suisse ist nicht nur eine der bedeutendsten Sportveranstaltungen des Landes, sondern auch ein Stück Schweizer Kulturgeschichte.
Noch eine gute Stunde bis zum Showdown in Regensdorf.
Müsterli gefällig?
Dann rollt die Werbekolonne ein und bringt Müsterli. Schlüsselanhänger, Sonnencrème, Brillenputzmittel und vieles mehr. Während das Feld nun gnadenlos Jagd auf die Ausreisser macht, nehmen es die Fahrzeuge der Sponsoren gemütlich und tuckern im Schneckentempo dem Zielstrich entgegen. Man könnte fast ein wenig nervös werden, ob der Gelassenheit der Werbekolonne, während die Radprofis mit über 50 km/h durchs Zürcher Unterland brettern.
Der letzte Kilometer
Plötzlich geht dann alles ganz schnell. Die Werbekolonne hat rechtzeitig Platz gemacht, die letzten Müsterli sind verteilt. Jetzt steht definitiv der Sport im Mittelpunkt und das Motto lautet: Trampe, trampe! Der Platzspeaker gibt die aktuellen Details zum Renngeschehen durch. Die vierköpfige Ausreissergruppe ist gestellt, die Schlussphase nach einem Sturz im Feld 18 Kilometer vor dem Ziel jedoch sehr hektisch. Wegen des Sturzes können sich die Sprinter-Teams anscheinend nicht wunschgemäss in Stellung bringen.
Der Puls steigt, auch bei mir. Die Mamis und Papis haben ihre Kinder von den Werbebanden entlang der Zielgeraden runtergenommen, damit keine kleinen Beine einen Fahrer möglicherweise zu Fall bringen. Auch haben die Mitarbeiter der Sponsoren in der Werbekolonne penibel darauf geachtet, dass keines ihrer Müsterli auf dem Boden liegen geblieben ist. Denn auch das könnte für die Fahrer böse enden. Noch ein Kilometer.
Ein Massensprint, der irgendwie keiner ist
Und so kommt es am Ende dieser längsten Etappe der diesjährigen Tour de Suisse nach 177 Kilometern in Regensdorf zum erwarteten Massensprint, der sich jedoch irgendwie nicht wie ein solcher anfühlt. Das liegt auch am Pechvogel des Tages. Dem Belgier Arnaud de Lie (Lotto Dstny) springt im dümmsten Moment, als er den Sprint lancieren will, die Kette vom Kettenblatt.
Profiteur des Malheurs ist der Franzose Bryan Coquard vom Team Cofidis, der den Sprint souverän nach Hause fährt. Wie war das nochmal mit dem Leid des einen und der Freude des anderen? Im Siegerinterview nach der Etappe wird Coquard vom grössten Erfolg seiner bisherigen Karriere sprechen.
Zum ersten Mal live an der Tour de Suisse
Heute war mein erstes Mal an der Tour de Suisse. Vor zwei Jahren führte eine Etappe der Schweizer Landesrundfahrt wenige Meter vor meiner Haustüre vorbei. Nach einigen Sekunden war das Feld damals vorbeigerauscht und ich verschwand wieder drinnen.
Dieses Mal war alles anders. Im Zielgelände in Regensdorf steppte der Bär, respektive «Tourli», der Fuchs. Drei Stunden war ich auf Einladung des Sportbrillenherstellers React vor Ort, die Zeit verging wie im Flug. Wer noch nie live die Tour de Suisse besucht hat und sich für Radsport interessiert, dem oder der empfehle ich einen Abstecher wärmstens. Die Tour de Suisse dauert noch bis Sonntag, 16. Juni.
PS: Einziger Wermutstropfen: die Blechlawine rund ums Zielgelände nach der Etappe. Da wünschte ich mir ein wenig mehr Velo oder ÖV und ein bisschen weniger Auto.
Die eigene Bubble ver- und sich auf neue Erfahrungen einlassen. Ist Schwingen altmodisch, Baseball langweilig und Boxen mehr Show als Sport? Diesen und ähnlichen Fragen gehe ich in unregelmässigen Abständen auf den Grund. Bisher zu diesem Thema erschienen:
Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.