Zwischen Indie-Sympathie-Bonus und Vorurteilen: Der Schweizer Game-Publisher Stray Fawn zieht Bilanz
Hintergrund

Zwischen Indie-Sympathie-Bonus und Vorurteilen: Der Schweizer Game-Publisher Stray Fawn zieht Bilanz

Das Zürcher Game-Studio Stray Fawn ist seit einem Jahr auch Publisher. Streng genommen weder der erste, noch der einzige der Schweiz, aber irgendwie doch. Was ein Publisher genau macht, warum sie oft einen schlechten Ruf geniessen und wie man Spiele aus der Masse hervorhebt, erklärt Gründerin Philomena Schwab.

«Wenn kreative Meinungen aufeinanderprallen oder Geld im Spiel ist, ist Konfliktpotential vorhanden». Philomena Schwab hat in den 14 Monaten, seit sich ihr Studio Stray Fawn in einen Publisher erweitert hat, einiges an Erfahrungen gesammelt. Seit der Gründung im März 2023 haben sie drei Spiele unter Vertrag genommen. Gleichzeitig arbeitet das Studio unter der Leitung von Philomena weiterhin an den eigenen Spielen «Dungeon Clawler» und «The Wandering Village». Der Erfolg von Letzterem hat die Diversifizierung überhaupt erst ermöglicht, erklärt die treibende Kraft hinter dem wachsenden Zürcher Unternehmen bei meinem Besuch im Swiss Game Hub.

Erst erfolgreiche Spiele machen, dann Spiele herausgeben

Den Publisher-Traum träumte die Unternehmerin, die es bereits unter die «Forbes 30 under 30» geschafft hat, nicht erst seit Kurzem. «Ich wollte schon lange Publisher werden, aber mein Geschäftspartner fand zurecht, dass wir uns zuerst auf unser Hauptbusiness konzentrieren müssen, um dieses stabil zu halten.» Mit «Niche», «Nimbatus»und besonders «The Wandering Village» gelang dieses Kunststück schliesslich.

Philomena Schwab im Swiss Game Hub in Zürich, der über 60 Game-Entwickler und -Entwicklerinnen beheimatet.
Philomena Schwab im Swiss Game Hub in Zürich, der über 60 Game-Entwickler und -Entwicklerinnen beheimatet.
Quelle: Christian Walker

Das Konzept eines Städtebau-Simulators auf dem Rücken eines Dinosaurier-ähnlichen Wesens stösst bereits in der Early-Access-Phase auf grossen Anklang. Hinzu kommt ein Deal mit Microsoft für die Inklusion im Game-Pass. Dadurch konnte sich das Studio genügend Geld auf die hohe Kante legen, um etwas Neues zu wagen. Dieses Neue heisst Game Publisher. «Mein Geschäftspartner sagte, hier hast du 300 000 Franken, nun zeig mir, was du damit erreichen kannst». Mit dem Vertrauen des restlichen Teams im Rücken hat sich Philomena drei Spiele herausgesucht: «Earth of Oryn», «Airborne Empire» und «Flotsam». Alle gehören zur Kategorie City Builder. Das hing einerseits mit der persönlichen Vorliebe des Studios zusammen. Andererseits brachte es den Vorteil mit sich, dass sie bestehende Kontakte zu Presse, Marketing etc. nutzen konnten.

Dass sie damit den Grundstein für ein wiedererkennbares Publisher-Image legen, sei nicht der Fokus. Viele Publisher wie Annapurna, Devolver oder Raw Fury sind Aushängeschilder für eine bestimmte Art Spiele. Bei Annapurna sind es oft Indie-Titel mit einem narrativen Kern, Devolver setzt häufig auf erwachsenen Humor und Ironie und Raw Fury mag es schräg und ungewöhnlich.

«Earth of Oryn» ist eines von drei Spielen, das Stray Fawn Publishing herausbringen wird.
«Earth of Oryn» ist eines von drei Spielen, das Stray Fawn Publishing herausbringen wird.
Quelle: Christian Walker

Philomena sieht stattdessen das Stärken der Beziehungen zu Presse, Influencern und Plattform-Haltern als Hauptziel. Das sei schwierig, wenn man nur alle drei Jahre ein neues Spiel veröffentlicht. Als Publisher tritt man häufiger in Erscheinung und kann beispielsweise von Publisher Sales bei Steam profitieren. Diese werden auf der dominierenden PC-Plattform prominent beworben. «Leider geht das nur, wenn du über zehn Spiele im Sortiment hast. Bei unserem Tempo bräuchten wir dafür nochmal 30 Jahre», sagt die Unternehmerin lachend. Gleichzeit gehe es um Risikominderung. «Bisher waren unsere Spiele profitabel. Aber irgendwann landest du einen Flop. Das ist einfach so». Gerade in einer Zeit, in der die Branche von Massenentlassungen gebeutelt wird, sei es wichtig, sich abzusichern.

Ich sage immer, am liebsten hätte ich so viele Standbeine wie Onbu.
Philomena Schwab

Onbu ist der gutmütige Gigant aus «The Wandering Village», der auf sechs Beinen läuft.

Geld allein, reicht nicht

Es hat lange gedauert, bis die Schweiz ihren ersten offiziellen Publisher bekommen hat. Zwar gibt es mit Playables und Etter Studio schon frühere Beispiele, dabei handelt es sich aber eher um kleinere Projekte. Erst mit Stray Fawn scheint das Ganze richtig Fahrt aufzunehmen. Davor wurde mit Ibex Games 2018 noch ein Versuch gestartet. Involviert waren mehrere Game-Studios, einige Personen der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK – und Philomena Schwab. Mangels finanzieller Mitteln versandete das Projekt allerdings, bevor es abheben konnte.

Der Erfolg von «The Wandering Village» hat das Publishing-Business erst ermöglicht.
Der Erfolg von «The Wandering Village» hat das Publishing-Business erst ermöglicht.
Quelle: Christian Walker

Dass sich in einem der finanzstärksten Länder der Welt bisher niemand in diesem Investoren-Bereich versucht hat, verwundert. Philomena sieht den Grund im fehlenden Know-how. Etwas, das auch Stray Fawn sich erst aneignen musste. Eine der ersten Lektionen war: Nur Games unter Vertrag nehmen, die eine funktionierende Demo besitzen. So lässt sich das Potential eines Spiels am besten beurteilen. Das reduziere das Risiko deutlich. «Wenn das Spiel im Kern nicht gut ist, nützen alle Marketingmassnahmen nichts», findet Philomena. «Jedes Spiel ist anders. Selbst unsere drei Städtebausimulationen funktionieren sehr unterschiedlich.» Ihr Ziel ist es, dass jedes der drei Spiele auf Steam mindestens 100 000 Mal gewishlistet wird. Damit landet man in der Kategorie der populärsten Spiele, was viel Sichtbarkeit bedeutet.

Steam Wishlists zählt zu den wichtigsten Metriken für Game-Studios und Publisher. «Damit lässt sich am ehesten kalkulieren, wie viel Geld ein Spiel generiert», auch wenn das Ergebnis enorm schwanke. Beim Launch werden zudem alle Personen, die das Spiel auf ihrer Wunschliste haben, automatisch benachrichtigt. Auch Visibilität durch gewisse Events sind Spielen mit einer bestimmten Zahl an Wishlist-Einträgen vorbehalten. 10 000 ist dabei die magische Zahl, die viele Indie-Studios versuchen zu erreichen.

Obwohl Philomena am liebsten Schweizer-Studios unter Vertrag nehmen würde, sind «Airborne Empire», «Flotsam» und «Earth of Oryn» allesamt internationale Titel. Zwar bekomme sie seit dem Startschuss regelmässig Pitches zugeschickt, die Schweiz sei dabei aber noch untervertreten. Alle paar Wochen kämpft sie sich durch einen Stapel neuer Spiele – auch wenn das Budget vorerst aufgebraucht ist.

Ich lasse mich schnell von gut präsentierten Projekten überzeugen und würde bei vielen Spielen gerne zusagen, aber unsere Game-Designer, die mir bei der Evaluation helfen, sind zurecht sehr kritisch. Ich bringe kaum etwas durch.
Philomena Schwab

Auch ohne Zusage sei das ausführliche Feedback für die betreffenden Studios wertvoll. «Und es erhöht unsere Chancen, dass das Studio später doch mal mit uns zusammenarbeiten will», ist Philomena überzeugt.

Was macht ein Publisher überhaupt?

Der klassische Vertrag sieht vor, dass der Publisher das Projekt komplett oder teilfinanziert. Dafür kassiert er 70 bis 100 Prozent aller Einnahmen, bis die Ausgaben amortisiert sind. Danach erhält er noch 30 bis 50 Prozent und der Hauptgewinn fliesst fortan ans Studio. Stray Fawn selbst hat bisher freundlichere Deals offeriert. Wie stark das Engagement des Publishers aussieht, variiert von Spiel zu Spiel. Bei «Airborne Empire» ist Stray Fawn ausschliesslich für das Marketing zuständig. Darum erhalten sie dort nur einen kleinen Prozentsatz der Einnahmen. Werbung und Kommunikation mit Presse und Influencern sind aber nur ein Teil der Arbeit. Ein Publisher kümmert sich je nachdem auch um den Aufbau der Community, hilft beim Zeitplan und der Budgetierung, organisiert die Lokalisierung und QA-Testing, sowie etwaige Plattform-Deals.

Stray Fawn hat klare Design-Vorstellungen und bringt diese bei Bedarf auch bei anderen Studios zur Sprache. Dennoch lassen sie den Studios viele Freiheiten.
Stray Fawn hat klare Design-Vorstellungen und bringt diese bei Bedarf auch bei anderen Studios zur Sprache. Dennoch lassen sie den Studios viele Freiheiten.
Quelle: Christian Walker

Stray Fawn fokussiert sich primär auf Steam. Für Indie-Spiele ist das neben der Nintendo Switch die populärste Plattform. Auch wenn es immer schwieriger wird aus der Masse herauszustechen. Allein im letzten Jahr sind knapp 15 000 Spiele auf Steam erschienen. Exklusiv-Deals mit Epic seien darum nach wie vor eine interessante Option, sagt Philomena. Dort ist der Aufschrei allerdings oft gross, weil die Mehrheit der Gaming-Community das Spiel lieber auf Steam will. Für Philomena ist das trotzdem kein Ausschlusskriterium: «Du musst klar kommunizieren. Du darfst nicht erst einen Steam-Code versprechen und dann zu Epic wechseln. Am besten weisst du die Plattform, bevor du das Spiel ankündigst. Sonst folgt auf einen riesigen Hype der grosse Aufschrei und das ist meist sehr unangenehm.» Hetzkampagnen gegen Entwickler und Entwicklerinnen sind dabei leider keine Seltenheit.

Unverzichtbar, um ein Spiel bekannt zu machen, ist nach wie vor Social Media, allen voran TikTok. Auch Stray Fawn ist dort am aktivsten. Für ihr eigenes Spiel «The Wandering Village» haben sie mehrere Posts veröffentlicht, die je fast eine Million mal angeschaut wurden. Aber auch dort seien die Flitterwochen bereits wieder vorbei. «TikTok migriert in die Werbephase. Anfangs brauchten sie möglichst viele User und der Traffic war gratis. Nun fängt alles an zu kosten». Darum macht Philomena weiterhin auch auf Instagram, X, Reddit und Facebook Werbung. «Ich warte bereits auf die nächste Plattform», meint die 34-Jährige lachend.

Da wir keine TikTok-Videos einbinden können, nehme ich ein Youtube-Short als Beispiel für Stray Faws Social-Media-Kampagnen.

Das wichtigste Element ist und bleibt das eigentliche Spiel. Stray Fawn ist darum auch für Feedback und Qualitätssicherung zuständig. Hier weht Publishern der stärkste Wind entgegen. Kostenpflichtige Zusatzinhalte, Season Pass oder Liveservice werden vielmals von Publishern gewünscht und nicht vom Studio – oft zum Leidwesen des fertigen Produkts. Wenig überraschend wird die Zusammenarbeit darum häufig als Fluch und Segen gleichermassen betrachtet. Philomena ist bisher noch nicht mit diesem Vorurteil konfrontiert worden. Das Thema wurde aber auch in ihrem Team heftig diskutiert.

Wir haben mit unserem Studio einen Ruf aufgebaut. Darum lassen wir unseren Partnern viel Zeit. Der Imageverlust ist für uns schlimmer, wenn ein Spiel zwar pünktlich, dafür unfertig erscheint.
Philomena Schwab

Noch geniessen sie den sympathischen Entwickler-Bonus. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihnen Stray Fawn alles durchgehen lässt. Gerade bei Personen, die noch wenig Erfahrung mit Game-Entwicklung haben, sei die Zeitplanung oft utopisch. Da mussten sie auch schon auf die Finger klopfen. In einem anderen Fall war Stray Fawn mit dem Art-Style nicht zufrieden. Also erstellten sie kurzerhand eigene Design-Entwürfe. In beiden Fällen sei das Feedback gut angekommen.

Risky Business

Laut Philomena holen 95 Prozent aller Spiele ihr Investment nicht raus. Das zeigt, dass keine Marketingmassnahme ein Erfolgsgarant ist. Es brauche einen «Hook». «Ein Spiel muss sich entweder durch etwas Besonderes abheben oder auf einen bestehenden Trend aufspringen und dann richtig abliefern.» Ohne wird es schwierig, ein Spiel zu vermarkten. Darum sei eine Demo so wichtig. Sowohl bei «Earth of Oryn» als auch bei «Airborne Empire» unterschrieben sie den Vertrag trotzdem ohne eine gespielt zu haben. Ersteres befand sich nach einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne bereits im Early Access und letzteres ist der Nachfolger zum Indie-Hit «Airborne Kingdom». Ein gewisses Risiko bleibt immer. Auch das gehört zu einem Publisher dazu.

Nicht alle können damit gleich gut umgehen. Das haben die letzten Monate gezeigt. Die kriselnde Industrie macht auch vor Publishern nicht halt. Wenn die hopsgehen, reissen sie die vertraglich verbundenen Studios in Mitleidenschaft. Stray Fawn hat das Glück, unabhängig zu sein. Während viele Unternehmen 2023 die Computer herunterfahren mussten, war es für Philomenas Team das erfolgreichste Jahr in ihrer bisherigen Laufbahn. Das liegt primär daran, dass das Kerngeschäft weiterhin die Spieleentwicklung ist. Und die stampft mit «The Wandering Village» zielstrebig auf den finalen Release zu. Wenn dort alles richtig läuft, darf Philomena bald wieder ihren Kugelschreiber zücken, und neue Spiele unter Vertrag nehmen. Vorzugsweise mit einer Demo und vielleicht ist dann auch mal eins von einer Entwicklerin oder einem Entwickler aus der Schweiz dabei.

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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