Carbonträume werden wahr: Ein Blick in die Produktion von Bikes «Made in Switzerland»
Hintergrund

Carbonträume werden wahr: Ein Blick in die Produktion von Bikes «Made in Switzerland»

Manuel Wenk
3.7.2024
Bilder: Manuel Wenk

Fast alle Velos aus Carbon kommen aus dem asiatischen Raum zu uns. Nicht so die Bikes von Nostra. Eine kleine Carbonschmiede entwickelt und produziert Rahmen komplett in der Schweiz. Einblicke in ein einzigartiges, hochkomplexes Handwerk.

Die Hügel um Einsiedeln sind in eine dichte Wolkendecke gehüllt. Es regnet und es ist kalt. Am Ende des Dorfes steht ein kleines Industriegebäude mit einer grossen Fensterfront. Drinnen brennt Licht, Menschen gehen hin und her. Ich betrete die ehemalige Kantine eines grossen Elektronikherstellers und finde mich in einer anderen, faszinierenden Welt wieder – der Welt der Firma Brasch Design Composites.

Über den voralpinen Hügeln liegt ein Wolkenkleid.
Über den voralpinen Hügeln liegt ein Wolkenkleid.
Quelle: Manuel Wenk

Überall liegen angefangene Carbon-Projekte herum. Zu den Kunden von Firmengründer Roman Braschler gehören Privatkunden mit Spezialwünschen wie eine Campingküche aus Carbon, Industriekunden wie der Schweizerische Bobverband oder Firmen, die Roboterarme für die Herstellung von Pet-Flaschen benötigen.

Seit neuestem gehören auch Bikerinnen und Biker zur Kundschaft. Zusammen mit der Firma Gamux Bikes aus Wangen SZ, die für die Kinematik verantwortlich ist, haben Roman und sein Team ein Carbon-Bike «Made in Switzerland» zur Marktreife gebracht. «Ein Traumbike», wie mir Roman Braschler und Swen Kälin, langjähriger Mitarbeiter und Mitentwickler, erzählen.

Roman (l.) und Swen prüfen ein Teil des Hinterbaus.
Roman (l.) und Swen prüfen ein Teil des Hinterbaus.
Quelle: Manuel Wenk

«Wir haben immer wieder Carbonrahmen von Privatkunden repariert und die oft schlechte Verarbeitungsqualität gesehen. Der Gedanke, es selbst besser zu machen, begleitet uns schon sehr lange», sagt Roman. Wie Swen und Roman weiter erzählen, haben sie die Rahmenqualität nur bei zwei oder drei Fahrradherstellern als gut empfunden. Durch die Massenproduktion in Asien seien die Preise zwar niedrig, aber die Qualität leide darunter. In unzähligen Entwicklungsstunden entstand schliesslich das Schweizer Carbonbike: Das Nostra DC (DC steht für Down Country) verfügt über 130 Millimeter Federweg hinten und vorne. Für den Racing orientierten Fahrer kann es mit 120 Millimeter Federweg aufgebaut werden. Die Bikes gibt es nicht von der Stange zu kaufen – deshalb leider auch nicht bei uns im Shop. Der Käufer oder die Käuferin sucht sich die Teile wie Federgabel, Antrieb, Bremse, Felgen oder Reifen selbst aus. Ein Mechaniker baut das Fahrrad aus Carbonrahmen und den gewählten Bauteilen zusammen.

148 Carbonteile für ein Bike

Für das vordere Rahmendreieck legt Mitarbeiterin Manon Antener die benötigten Teile auf einem grossen Tisch aus. Anfangs schnitt Manon alle 148 Prepregs von Hand zu. Inzwischen übernimmt ein Schneideplotter diese Arbeit. Nach und nach klebt sie die Zuschnitte an der richtigen Stelle in die Aluminiumform. Allein dieser Arbeitsschritt nimmt einen ganzen Tag in Anspruch. «Wir legen die Fasern in die Formen und komprimieren alles unter Vakuum. So vermeiden wir Lufteinschlüsse, was die Haltbarkeit des Rahmens deutlich erhöht», erklärt Swen.

Die asiatischen Massenprodukte werden in einem kostengünstigen Verfahren hergestellt. Schaumstoffkerne werden mit dem Fasermaterial ummantelt, so dass ein Rahmen von mehreren Personen parallel bearbeitet werden kann. «Das spart Zeit und Kosten, geht aber zu Lasten der Präzision. Lufteinschlüsse und undefinierte Faserlagen sind die Folge», sagt Roman. Häufig müssen fehlerhafte Rahmen in der Produktion nachgebessert werden.

Früher war es noch Handarbeit, heute schneidet ein Plotter die Teile aus.
Früher war es noch Handarbeit, heute schneidet ein Plotter die Teile aus.
Quelle: Manuel Wenk

Sind alle vorgeschnittenen Prepregs in der Aluminiumform, werden die beiden Hälften zusammengefügt und verschlossen. Die Luft wird abgepumpt und der Aluminiumblock auf über 110 Grad Celsius erhitzt – die genaue Temperatur bleibt ein Geheimnis – damit sich das Harz verflüssigt und die Kohlefasern miteinander verkleben.

Der Aushärtungsprozess ist hochkomplex. Dutzende Versuche hat das Team um Roman durchgeführt, bis alles stimmte und das Ergebnis zufriedenstellend war. Die Temperatur muss so eingestellt werden, dass das Harz gut fliesst und das Vakuum muss die Luft komplett absaugen. Für ein perfektes Ergebnis müssen auch die eingelegten Prepregs genau platziert sein. Den Aluminiumblock für den hinteren Teil des Rahmens (Hinterbau) erwärmt das Team mit eingefrästen Heizspiralen im Werkzeug, den vorderen Teil (vorderes Rahmendreieck) mit einer Heizpresse. Nur so verteilt sich die Wärme gleichmässig auf das grosse Bauteil. Nach drei Stunden Hitze folgt die Entnahme aus der Aluminiumform, solange diese noch warm ist. Beim Abkühlen zieht sich das Metall zusammen und würde den Carbonrahmen beschädigen. Ist alles in Ordnung, werden an den entsprechenden Stellen Löcher für die Kabelführung oder den Bidonhalter in den Rahmen gebohrt und die Titan- und Aluminium-Hardware eingeklebt.

All das ist made in Einsiedeln.
All das ist made in Einsiedeln.
Quelle: Manuel Wenk

Der Hinterbau wird nach dem gleichen Verfahren hergestellt. Etwas komplizierter ist es, die vorgestanzten Carbonteile in die engen Zwischenräume und Durchgänge einzupassen. Die Aluminiumform besteht nicht wie beim vorderen Rahmendreieck aus zwei Teilen, sondern wegen der komplizierten Form aus neun Teilen. Das Entformen aus der neunteiligen Aluminiumform ist entsprechend komplizierter und zeitaufwendiger. Die Schwinge, wie der Hinterbau auch genannt wird, besteht aus zwei Teilen, die nach dem Aushärten zusammengefügt werden. Wie das genau geschieht, ist ein gut gehütetes Geheimnis von Roman und Swen. Jeder Hersteller hat sein eigenes Verfahren. Durch die komplizierte Form und die eingearbeiteten Kabelführungen ist die Schwinge ein sehr komplexes Bauteil und beansprucht in der Herstellung mehr Zeit als das grössere vordere Rahmendreieck.

Die Lackierung erfolgt ebenfalls im Haus und kann nach Kundenwunsch erfolgen. Trotzdem empfiehlt Swen eine Standardlackierung: «Die meisten Kundinnen und Kunden sind von den schier unendlichen Möglichkeiten überfordert. Da ist es einfacher, sich für unsere Standardlackierung zu entscheiden». Vom Einlegen der Kohlefasern in die Formen über das Aushärten und Lackieren bis hin zur Montage vergehen über 50 Arbeitsstunden.

Bis zu fünfmal teurere Schrauben

In Trachslau, nur ein Dorf weiter, stellt eine kleine Firma alle zusätzlich benötigten Metallteile her. Dazu gehören der 5-Achs-gefräste Rocker (Umlenkhebel, welcher Rahmen und Dämpfer verbindet) aus Aluminium sowie Aluminium- und Titanschrauben, die für ein komplettes Rahmenkit benötigt werden. Die zwölf lokal produzierten Schrauben und Aluminiumteile kosten rund fünfmal mehr als gleichwertige Teile aus Fernost. «Wir setzen auf lokale Wertschöpfung und wollen unserer Kundschaft ein Produkt anbieten, das nicht nur funktional, sondern auch ökologisch nachhaltig ist», sagt Roman dazu.

Der komplette Rahmen mit Hinterbau, Umlenkung und Titanschrauben wiegt schlanke 2200 Gramm. Damit ist das Rad nicht das leichteste auf dem Markt. Das Team um Roman hat vor allem auf Langlebigkeit und Robustheit geachtet. Einerseits ist das Ziel, dass jegliche Stürze und Schläge besser weggesteckt werden. Andererseits soll damit auch ein Profifahrer oder eine Profifahrerin nur an die eigenen Grenzen kommen, nicht aber an die des Materials.

Um eine sehr hohe Antriebseffizienz zu erreichen, hat das Team an einer besonders guten Torsionsverstärkung (Widerstandsfähigkeit des Rahmens gegen Verdrehungskräfte) getüftelt. Vom Lenkkopf (Ort, an dem der Lenker angebracht wird) bis zum Tretlager (Ort, an dem die Pedalen angebracht sind) kommen durchgängig hochfeste Carbonfasern zum Einsatz. «Andere Bereiche des Rahmens haben wir etwas elastischer gestaltet. Mit diesem Mix erreichen wir eine hervorragende Festigkeit und Steifigkeit an den Stellen, wo sie gebraucht wird und die höchsten Kräfte wirken», erklärt Roman.

Roman löst die Schwinge aus dem neunteiligen Aluminiumblock.
Roman löst die Schwinge aus dem neunteiligen Aluminiumblock.
Quelle: Manuel Wenk

«Man glaubt es uns nicht»

«Wir sind unglaublich stolz, dass wir mit diesem Projekt zeigen können, dass es möglich ist, die Produktion von Fernost zurück in die Schweiz zu holen. Noch ist es teurer. Doch mit Technologie und Automatisierung stehen die Chancen gut, dass wir in Zukunft kompetitiv in der Schweiz produzieren können», sagt Roman. Es sei aber nicht immer einfach, dies den Leuten zu vermitteln. Oft sind die Menschen ungläubig und überrascht, wenn sie hören, dass die Bikes in der Schweiz hergestellt werden. Swen sagt, dass er den Interessenten erst Fotos von der Produktion zeigen muss, bis sie es wirklich glauben. «Wir sind es einfach nicht mehr gewohnt, dass in der Schweiz so zeitintensive Prozesse durchgeführt werden», ergänzt Roman.

In dieser Produktionshalle entstehen die Bikes.
In dieser Produktionshalle entstehen die Bikes.
Quelle: Manuel Wenk

Grosse Pläne für die Zukunft

Bei ein paar Dutzend Carbonrahmen aus der Schweiz soll es nicht bleiben. Wenn es nach Roman und Swen geht, ist das erst der Anfang. Die rund 7000 Franken teuren Rahmenkits wollen sie nicht nur einer exklusiven Kundschaft vorbehalten. Ständige Optimierungen und eine Automatisierung der Produktion sollen die Kosten senken. «Unser Ziel ist es, dass noch mehr Menschen in den Genuss eines hochwertigen Carbonbikes aus der Schweiz kommen», erklärt Roman. Je nach Komponenten zahlt die Kundschaft zwischen 12 000 und 14 000 Franken für ein komplettes Bike. Ungefähr so viel wie für sehr teure Velos anderer Hersteller. Zum Schluss verraten die beiden noch ein kleines Geheimnis: «Wir haben bereits ein nächstes, schnelleres Gefährt in der Pipeline.» Ein Nostra Rennvelo, ebenso made in Einsiedeln, soll es werden.

Inzwischen hat sich das Wetter in Einsiedeln gebessert. Die Wolken weichen langsam der Sonne. Roman, Swen und Manon, allesamt begeisterte Biker, wollen am Abend noch eine Runde auf dem Bike drehen. Natürlich auf einem Nostra.

Carbon Bike

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Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.

Titelbild: Manuel Wenk

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Als Multimedia-Produzent ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, Inhalte auf vielfältige Art und Weise aufzubereiten. In meiner Freizeit zieht es mich in die Berge, sei es zum Skifahren, Mountainbiken oder Wandern. Und natürlich habe ich meine Kamera immer griffbereit, genauso wie meine FPV-Drohne. 


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