Kritik

«Cities Skylines 2» ist der neue King unter den Städtebau-Simulatoren

Philipp Rüegg
19.10.2023

Dynamisches Wetter, europäische Baustile, individualisierte Bewohner und ein komplexeres Verkehrssystem. «Cities Skylines 2» bietet mit vielen Verbesserungen eine würdige Fortsetzung.

Echt jetzt? Kaum angefangen und schon ein Mordsstau? Dabei habe ich extra die vierspurige Strassenvariante gewählt. Die legendären Staus aus dem ersten «Cities Skylines» sollten doch der Vergangenheit angehören. Moment, das ist gar kein Stau. Die Autos parkieren nur. Eine der grössten Neuerungen von «Cities Skylines 2» ist, dass jedes Fahrzeug simuliert und bei Nichtbenutzung abgestellt wird. Was aus der Distanz aussieht, wie ein kilometerlanger Stau vor dem Gotthard-Tunnel ist also in Wahrheit ein Parkplatz, während die Besitzerinnen und Besitzer anderswo tätig sind. «Cities Skylines 2» simuliert deutlich mehr als der Vorgänger.

Jedes Auto wird irgendwo parkiert.
Jedes Auto wird irgendwo parkiert.
Quelle: Colossal Order

Bereits beim ersten Schritt vor einem neuen Spiel wartet eine weitere gewichtige Neuerung auf mich. Es stehen nun europäische und nordamerikanische Regionen zur Auswahl. Bei den nordamerikanischen kann ich zudem zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre auswählen. Das hat einen Einfluss auf das Klima. In kühleren Gefilden muss mehr geheizt werden, dafür geht möglicherweise ein stärkerer Wind, was für alternative Stromerzeugung förderlich ist. Auch der Typ der Fahrzeuge, der Verkehrsschilder und der Gebäude ist mit der Region verknüpft. Ich wähle eine europäische , um mir eine gewisse Schweizer «Grossstadt» nachzubauen.

Mehr Fläche, mehr komfortfunktionen

Nach der Wahl der Region kann ich mit dem Bauen beginnen. Die verfügbare Fläche ist laut Entwicklerstudio Colossal Order fünfmal grösser als im ersten Teil. Ich beginne mit einer handvoll bebaubarer Felder. Im Verlauf des Spiels kann ich mir neue dazu kaufen. 529 Felder darf ich maximal zupflastern. Wenn dir das immer noch nicht reicht, gibt es bestimmt bald Mods, die auch diesen Rahmen sprengen.

Als erstes baue ich ein Stromkraftwerk. Nachhaltigkeit muss ich mir erst verdienen, darum wird die Luft mit Kohle verpestet. Ich platziere es an den Rand und richte es so aus, dass der Wind die verschmutzte Luft nicht über mein geplantes Wohngebiet zieht. Ich hoffe einfach, dass dieser nicht ständig die Richtung wechselt. Jedes Gebäude muss mit einer Strasse, Wasser-, Abwasser- und Stromleitung versehen werden. Praktischerweise sind alle Strassenmodule mit den nötigen Leitungen ausgestattet. Nur manchmal muss ich Leitungen manuell miteinander verbinden, wenn ich etwas ungünstig platziert habe. Dabei muss ich auf die richtige Bautiefe achten, damit sich die Rohre verbinden lassen. Stromleitungen kann ich auch oberirdisch verbauen, falls mir das optisch besser gefällt. Weil die Leitungen aber meistens im Weg sind, wähle ich fast immer die unterirdische Variante.

Stromleitungen können auch unterirdisch verlegt werden.
Stromleitungen können auch unterirdisch verlegt werden.
Quelle: Philipp Rüegg

Auf Strom folgt eine Grundwasserpumpe. Verfügbare Quellen sind durch die blauen Umrisse gut erkennbar. Fehlt nur noch das Abwasser. Das baue ich flussabwärts, damit der Schmutz erstmal nicht mein Problem ist – denn Kläranlagen und dergleichen kann ich noch keine bauen.

Was mich etwas nervt, ist das Tutorial. Das erklärt zwar Schritt für Schritt, was ich zu tun habe und welche Objekte welchen Zweck erfüllen. Aber wenn ich etwas baue, bevor der eigentliche Schritt erklärt wird, muss ich es nochmal bauen. Nur dann verschwindet der Tooltipp und das nächste Kapitel beginnt. Weil ich aber zu wenig Geld für solche Spässchen habe, schalte ich das Tutorial schliesslich ab. Mit einem Klick auf das Fragezeichen am oberen rechten Bildschirmrand kann ich bei Bedarf Informationen zu allen Bereichen manuell abfragen.

Spreng das Raster

Zurück zu meiner noch nicht vorhandenen Stadt. Da die Grundsteine gelegt sind, ziehe ich ein paar Strassen auf und platziere darin Wohnzonen. Die gibt es in verschiedenen Kategorien von niedrig bis dicht besiedelt, über günstig bis teuer und sogar gemischt mit Gewerbeflächen. Aufgrund der quadratischen Feldgrösse ist es am effizientesten, wenn ich Strassen als Raster anordne. Aber auch wenn die Bauzonen nicht optimal platziert sind, greife ich oft zum Kurvenwerkzeug. Damit sieht meine Stadt deutlich organischer aus. Und schliesslich versuche ich auch die Stadt mit W, wie es St.-Gallen-Trainer Peter Zeidler sagen würde, zu reproduzieren. Und die besteht definitiv nicht nur aus langweiligen Rastern.

Auch wenn quadratisch angeordnete Strassen effizienter sind, wähle ich oft die kurvige Version.
Auch wenn quadratisch angeordnete Strassen effizienter sind, wähle ich oft die kurvige Version.
Quelle: Philipp Rüegg

Langsam kommt Leben in meine Stadt. Wenn ich möchte, kann ich jede einzelne Person anklicken, um zu erfahren, wo sie arbeitet, wo sie wohnt und wie es um ihre Finanzen aussieht. Datenschutz scheint in den Städten von «Cities Skylines 2» keine Rolle zu spielen. Mit diesem Stalking könnte ich auch rausfinden, ob die Person einen langen Arbeitsweg hat. Das würde bedeuten, dass meine Wohngebiete zu weit von den Arbeitsorten weg sind. Bisher habe ich mich für solche Informationen aber bei den allgemeinen Infoansichten bedient.

Mit einem Klick auf das eingekreiste «i» am oberen linken Bildschirmrand sehe ich auf einen Blick, wie es um den Verkehrsfluss steht, wie gut die Internetabdeckung ist oder wie die Vermögensverteilung aussieht. Beim Durchklicken fällt mir auf, dass meine Energieversorgung stark von Importstrom abhängt. Dabei habe ich bereits ein zweites Kohlekraftwerk gebaut, aber dort scheint es an Treibstoff zu mangeln. Warum das nur auf eines von zwei Kraftwerken zutrifft und warum die nötige Kohle nicht importiert wird, ist auch im Wirtschaftsfenster nicht ersichtlich. Dort erkenne ich lediglich, dass ich keine Kohle produziere. Das könnte ich aber. Neu gibt es Industriespezialisierungen. Vorausgesetzt, mein Gebiet verfügt über die notwendigen Ressourcen, kann ich Viehzucht betreiben, Getreide anbauen oder eben auch Kohle schürfen. Das schafft nicht nur Arbeitsplätze, sondern verringert auch meine Importausgaben.

Mit Viehzucht und Getreidefarmen werde ich zum Selbstversorger.
Mit Viehzucht und Getreidefarmen werde ich zum Selbstversorger.
Quelle: Colossal Order

Upgrades zum Selberwählen

Die wachsende Bevölkerung, der Ausbau des Strassennetzes und die Zufriedenheit meiner Einwohnerinnen und Einwohner belohnen mich mit Erfahrungspunkten. Damit schalte ich nach und nach Meilensteine frei. Im ersten Teil sind diese direkt an das Wachstum gekoppelt. Das führt dazu, dass ich zwingend eine Grossstadt bauen muss, wenn ich alle Bauoptionen freischalten will. «Cities Skylines 2» wirkt dem entgegen, indem verschiedene Dinge Erfahrungspunkte generieren. Und die meisten Bauprojekte, wie das Solarkraftwerk oder das Raumfahrtzentrum, werden auch nicht mehr automatisch mit dem Erreichen eines Meilensteins freigeschaltet. Stattdessen gibt es Entwicklungspunkte, die ich selber investieren kann. Aktuell spare ich auf ein unterirdisches Parkhaus, um mehr Platz zu schaffen.

Die meisten Bauprojekte kann ich mir selbst aussuchen.
Die meisten Bauprojekte kann ich mir selbst aussuchen.
Quelle: Colossal Order

Gänzlich entkoppelt vom Wachstum ist das Upgrade-System nicht. So erhalte ich für zusätzliche Einwohnerinnen und Einwohner immer noch überproportional viele Erfahrungspunkte. Aber es sollte theoretisch möglich sein, auch mit einem überschaubaren Ort die meisten – wenn nicht alle – Meilensteine zu erreichen. Aber ein Kernkraftwerk passt wohl ohnehin nicht ins Dorfbild.

Mit Parkgebühren gegen Stau

Was anfangs noch ein Fehlalarm war, ist mittlerweile definitiv ein Problem: Stau. Noch möchte ich meine Strassen nicht verbreitern. Das sehen die Anwohnenden ohnehin nicht gerne. Ich muss dann nämlich ihre Häuser platt machen, um den nötigen Platz zu schaffen. Zum Glück gibt es viele Möglichkeiten, den Verkehr zu regeln. Mit Verkehrsschildern kann ich Abbiegeverbote erzwingen, um den Verkehr in eine Richtung zu leiten. Vielleicht helfen auch Rotlichter, um die Fahrzeuge zu staffeln. Kreisel sind auch immer eine gute Option. Ich kann sogar auswählen, ob Strassen nur in eine Richtung befahren werden dürfen oder zwei Spuren in eine und drei in die andere Richtung führen. Ich wähle eine andere Methode. Zuerst erhöhe ich die Parkgebühren im entsprechenden Bezirk. Anschliessend verwandle ich zwei der vierspurigen Strassen in Busspuren und baue anschliessend mein Bus-Netz massiv aus. Sinnvolle Routen zu definieren ist dabei gar nicht so einfach. Aber wenig befahrene Strecken kann ich zum Glück mit einem Klick wieder deaktivieren.

Es gibt viele neue Werkzeuge, um den Verkehr zu bewältigen.
Es gibt viele neue Werkzeuge, um den Verkehr zu bewältigen.
Quelle: Colossal Order

Der Verkehr ist fürs Erste geregelt, ich widme mich dem Bildungssystem. Ich merke nämlich, dass günstiger Wohnraum verlangt wird, aber nicht von Studierenden, sondern von schlecht ausgebildeten Arbeitskräften. Kein Wunder, meine Grundschule ist bereits überfüllt. Nur mit Kindergarten-Erfahrung reicht es höchstens zum Influencer. Ein neues Schulhaus ist mir aber zu teuer. Gut gibt es für die meisten Gebäude Upgrade-Möglichkeiten. Zack, ein neuer Schulflügel und die Probleme sind fürs erste gelöst. Was mir noch nicht klar ist: Warum hat meine Stadt zwar tausende berechtigte College-Studentinnen und Studenten, aber nur knapp die Hälfte der Uni-Plätze sind besetzt. Da ich keine US-amerikanische Region besiedle, sollte es nicht an absurd hohen Ausbildungskosten liegen – oder doch? Trotz Datenflut finde ich keinen Hinweis, wo das Problem liegt.

Der Berg ruft

Zur Abwechslung lasse ich den Stadtausbau ruhen und klicke auf das Schaufelsymbol. Damit kann ich die Landschaft umpflügen. Die von mir gewählte Karte ist, abgesehen von den beiden namensgebenden und dekorativen «Zwillingsbergen», flach. In Winterthur – was könnte es sonst sein – gibt es aber durchaus den einen oder anderen Hügel. Vor den Kosten dieses Projekts graut es mir jetzt schon. Umso erfreulicher, dass Veränderungen am Gelände kostenlos sind. Zum Glück, denn einfach ist es nicht. Ich habe gerade Mal vier Optionen: Terrainhöhe anpassen, Terrain angleichen, Terrain ebnen und Terrainsteigung. Bis ich einen einigermassen natürlich aussehenden Brühlberg gestaltet habe, dauert es locker eine halbe Stunde. Und so richtig zufrieden bin ich mit dem Ergebnis nicht. Autostrassen könne ich keine bauen, dafür ist der Boden zu uneben. Es reicht knapp für einen Fussweg. Für die Funkantenne, die ich für die Spitze geplant habe, bräuchte ich aber eine Strasse. Ich vertage die Planung auf die nächste Stadtratssitzung.

Die Werkzeuge, um die Landschaft zu verändern, brauchen etwas Übung.
Die Werkzeuge, um die Landschaft zu verändern, brauchen etwas Übung.
Quelle: Philipp rüegg

Mittlerweile ist im Spiel der Abend eingekehrt. Das bietet nicht nur visuelle Abwechslung, sondern hat auch einen Einfluss auf das Verhalten der Menschen, den Stromverbrauch, den Verkehr etc. Irgendwie wäre es mir dennoch lieber, die Nacht wäre kürzer als der Tag. In der Nacht leidet die Übersicht und sie erschwert das Bauen. Auch sieht das Spiel bei Tageslicht hübscher aus. Bei Bedarf kann der Tag-Nacht-Wechsel deaktiviert werden. Zeitlich entspricht ein Tag einem Monat. Alle drei Tage fängt somit eine neue Jahreszeit an. Auch bei mir Zuhause im echten Winterthur hat sich die Sonne längst verabschiedet. Mal wieder habe ich länger gespielt, als ich eigentlich wollte. Schlecht für mich, aber ein gutes Zeichen für «Cities Skylines 2».

Performance-Probleme

«Cities Skylines 2» sieht deutlich besser aus als der Vorgänger. Es gibt mehr Details, verschiedene Wetteranimationen und hübsche Lichteffekte. Der Soundtrack besteht aus drei Radiostationen und ist ebenfalls sehr stimmungsvoll. Während meiner Testphase lief das Spiel aber noch nicht rund. In 4K und mit Detailstufe «hoch» erhalte ich mit meiner RTX 4090 und einem Intel i9-10900K gerade mal 17 Bilder pro Sekunde. Publisher Paradox empfahl dann auch, auf niedriger Detailstufe zu spielen. Ich habe die mittlere gewählt und konnte so immerhin mit 40 fps spielen. Auch damit sieht das Spiel noch sehr hübsch aus. Paradox versichert, dass bis zum Launch noch ein Performance-Update kommen soll.

Fazit: Darauf lässt sich bauen

«Cities Skylines 2» bietet (noch) nicht den gleichen Umfang wie der erste Teil. Der besteht aus einem zehnjährigen Fundus an Addons. Dieser Inhalt muss noch seinen Weg in den Nachfolger finden. Colossal Order hat sich stattdessen auf die wichtigen Dinge konzentriert. Die spezialisierten Industrien machen die Stadt komplexer und erlauben differenzierte Distrikte. Das dynamische Wettersystem und der Tag-Nacht-Wechsel sorgen dafür, dass sich die Welt lebendiger anfühlt. Gleichzeitig erweitert es die Simulation um Aspekte wie Energieverbrauch. Die Wahl zwischen US- und europäischem Baustil schafft ebenfalls mehr Abwechslung. Und wenn ich Lust habe, kann ich die beiden sogar kombinieren.

Die europäische Bauweise (links) und die amerikanische kann auch kombiniert werden.
Die europäische Bauweise (links) und die amerikanische kann auch kombiniert werden.
Quelle: Colossal Order

Den grössten Einfluss dürfte die überarbeitete KI der Menschen und der Fahrzeuge haben. Der Verkehr ist nun ein viel lebendigeres System, das ich mit unzähligen Werkzeugen beeinflussen und steuern kann. Nicht, dass ich jemals wirklich selber Fussgängerstreifen aufpinseln würde, aber es ist schön, dass ich es könnte.

Visuell haut mich das Spiel zwar nicht aus den Socken, aber es sieht schon sehr schick aus. Wenn die Abendsonne im richtigen Winkel über die Dächer scheint, dann kommt schon gute Stimmung auf. Sollte Colossal Order bis zum Launch noch die Performance in den Griff bekommen, dann steht dem Gang auf den Thron der «Städte-Bau-Simulatoren» nichts mehr im Wege.

«Cities Skylines 2» wurde mir von Paradox zur Verfügung gestellt. Das Spiel ist ab dem 24. Oktober für PC erhältlich. Die Version für PS5 und Xbox Series folgt 2024.

Paradox Interactive Cities: Skylines II Day One Edition (Windows, DE)
Game

Paradox Interactive Cities: Skylines II Day One Edition

Windows, DE

Paradox Interactive Cities: Skylines II Premium Edition (Windows, DE)
Game

Paradox Interactive Cities: Skylines II Premium Edition

Windows, DE

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 

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