Dem Laufen auf der Spur: Stabil auf der Schwabbelmatte
Auf weichem Untergrund kämpfe ich mit Knie, Hüfte und Hintern. Physiotherapeutin Pascale Gränicher bringt mich gezielt aus dem Gleichgewicht, um den Körper auf Überraschungen vorzubereiten.
Heute werden Schwächen gnadenlos aufgedeckt. «Wenn wir uns neben dem Fussgelenk langsam um Knie und Hüfte kümmern, die beim Laufen vor allem während der Standbeinphase eine wichtige Rolle spielen, bietet es sich an, mit instabilen Unterlagen zu arbeiten», sagt Pascale, die als Leichtathletin und Physiotherapeutin weiss, worauf es ankommt. Zuvor hat sie mir auf festem Boden die ersten Schritte der Laufschule beigebracht. Gewölbe aufbauen. Zehen ansteuern. Richtig abrollen. Kleinigkeiten, die manchmal überraschend schwer umzusetzen sind. Anschliessend durfte das Sprunggelenk kontrolliert über eine Achse kippen. Nun folgt der Schritt ins Ungewisse, ohne festen Boden unter den Füssen. «Beim Brettli war die Achse noch definiert, jetzt ist die Aufgabe mehrdimensional und wir können den Fokus auch schon darauf legen, was weiter oben im Körper passiert.» Wir können es zumindest mal versuchen, denke ich.
Sicher ist nur, dass ich dabei nicht schummeln kann. Wie im echten Leben. «Das simuliert Alltagssituationen, die du nicht direkt kontrollieren kannst», erklärt Pascale. «Beim Joggen im Wald kannst du auch nicht immer auf den Boden schauen, sondern musst auf Veränderungen reagieren.» Auf instabilem Untergrund zeigt sich vom Fuss übers Knie bis zur Hüfte und noch weiter nach oben, wie stabil das System ist. Zumindest starten wir in einem geordneten Setting, bevor das Körperchaos beginnt.
Entlarvender Einbeinstand
«Das ist gut, um typische Reaktionen zu erkennen», erklärt Pascale, während wir im Einbeinstand auf eine Airex-Matte steigen. «Manche fallen immer nach aussen, andere kippen nach innen.» Ich kippe mal hierhin, mal dorthin, schwanke und verdrehe mich zunächst wie ein Schilfrohr im Wind. «Es ist auch okay, wenn du dich ein bisschen festhältst», sagt Pascale. «Mit einem oder zwei Fingern und nur, wenn es nötig ist.» Zu Beginn wäre eine Wand oder ein Stab immer wieder nützlich, um meinen wankenden Körper unter Kontrolle zu bekommen und annähernd so zu stehen, wie es das Ziel ist: «Du musst auch auf der Matte versuchen, das Gewölbe zu halten und nicht mit den Zehen zu krallen, obwohl der Untergrund instabil ist.» Es ist schwierig, den Fokus zu behalten, wenn überall gleichzeitig Korrekturen gefragt sind.
Tipps:
- Nicht mit den Zehen krallen. Die Zehen dienen der Feinjustierung, das Gewicht wird mehrheitlich auf Rückfuss und Zehenballen verteilt.
- Achte darauf, ob du immer zur gleichen Seite abstehen musst. Fallen dir Tendenzen auf?
- Statt mit dem Airex-Kissen kannst du mit einer normalen Yogamatte anfangen, die dir das Leben etwas leichter macht.
Tupfen, stabil bleiben, tupfen
Wir stehen vor dem Spiegel, was zur Selbstkontrolle immer eine gute Idee ist und dabei hilft, den Blick vom Boden zu lösen. Nachdem ich mich langsam austariert habe, hilft Pascale mir mit der ersten Übung, die gleichzeitig eine Falle ist. «Wenn du den Einbeinstand mit einem Tupfen kombinierst, bei dem du den Fuss abwechselnd vorne und hinten aufsetzt, hast du kurz eine Orientierung im Raum.» Einerseits ist das hilfreich, doch es verleitet dazu, sich mit dem Fuss auf den Boden zu retten. «Der Schwerpunkt bleibt immer auf dem Standbein auf der Matte», mahnt Pascale. «Das Spielbein trägt nicht das Gewicht, es berührt nur kurz den Boden. Das ist eine Vorübung fürs Laufen, wo das Standbein stabil sein muss und das Spielbein unabhängig vom Restkörper funktioniert.»
Tipps:
- Führe die Übung nicht nur nach vorne und hinten, sondern auch zu den Seiten aus.
- Fuss nicht abstellen, sondern nur kontrolliert auf den Boden tupfen.
- Mit geschlossenen Augen lässt sich der Effekt der instabilen Unterlage verstärken.
Knickender Fuss, Knie in der Achse
Um auf dem instabilen Grund eine Chance zu haben, muss im Körper vieles stimmen. Das gelingt besser, wenn du ein Bewusstsein für mögliche Baustellen hast und nicht in ungesunde Gewohnheiten verfällst. «Die Beinachse schaust du dir sinnvollerweise auch vorher schon mal an», sagt Pascale. «Also wie du stehst oder stehen solltest, bevor du aufs Mätteli gehst.» Das heisst, der Fuss krallt sich nicht irgendwie in den Boden, sondern wird mit gut eingestelltem Gewölbe aufgesetzt. Auch wenn theoretisch klar ist, was der Fuss kann und tun soll, fangen Probleme häufig schon unten an.
Das mit dem gut eingestellten Gewölbe sollte inzwischen ein Selbstläufer sein, denn Pascale gibt mir noch mehr Aufgaben mit auf den Weg: «Ausserdem musst du darauf achten, dass die Kniescheibe nicht komplett nach innen zeigt, sondern Richtung zweite Zehe, ohne dass du das Gewicht deshalb vollständig auf der Aussenseite vom Fuss hast.» Das ist leicht gesagt und schwer zu steuern, sobald das System zu wackeln beginnt. «Auch wenn der Fuss mal knickt, sollte das Knie für eine optimale Kraftübertragung in der Achse bleiben», erklärt Pascale. «Das stellst du aus der Oberschenkel- und Gesässmuskulatur ein.» Auch der Rumpf müsse natürlich schön ruhig bleiben können. Vom Fuss bis zum Kopf verkompliziert sich die Lage. Je weiter wir den Fokus nach oben richten, desto mehr hängt miteinander zusammen und Schwierigkeiten verstärken sich.
Tipps:
- Das Knie in der Achse über der zweiten Zehe halten.
- Den Fuss nicht seitlich aufkanten.
Level zwei oder vergiss den Hintern nicht
Nachdem ich einigermassen stabil tappen und tupfen kann, ohne von der Matte zu kippen, steht Level zwei auf dem Programm. «Jetzt wollen wir die Übung noch mit der Beinachse koordinieren und zwischendrin ein bisschen mehr in die Knie gehen», höre ich und denke mir nichts weiter dabei. Sollte klappen. Erweist sich aber als gemeine Übung, zumindest mit meinen Beinen.
«Du musst versuchen, das Gewicht nur auf dem Fuss zu behalten und die Ferse am Boden lassen, wenn du nach vorne gehst.» Das bedeutet, dass ich recht tief in die Knie gehen muss, um die Ferse aufsetzen zu können, was für den gesamten Unterkörper einen konstanten Kampf bedeutet. Einen Kampf, den er nur gewinnen kann, wenn die geforderten Muskeln gemeinsame Sache machen. «Wenn die Hüfte nicht mitarbeitet und alles aus dem Knie kommt, ist das extrem schwierig und kann auf die Dauer schmerzhaft werden», sagt Pascale.
Tipps:
- Um die Ferse kontrolliert auf den Boden tupfen zu können, musst du tiefer in die Knie gehen.
- Um das Knie nicht zu überlasten und den Schwerpunkt über dem Fuss zu halten, müssen Hüfte und Gesäss aktiv mitarbeiten.
Richtig absitzen und alle Muskeln einzubeziehen ist ein Punkt, den du bei jeder Stufe im Alltag beherzigen solltest: «Du kannst beim Treppenlaufen oder allgemein, wenn es rauf und runter geht, viel Arbeit an die Hüft- und Gesässmuskeln abgeben, aber das vergessen viele.» Aus der heutigen Lektion nehme ich mit: Stabil bleiben. Und öfter mal Hüfte samt Hintern arbeiten lassen. Als einer der grössten Muskeln des Körpers ist er nicht nur zum Plattsitzen da.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.